Baumhäuser:Dieses Baumschloss macht aus Kinderträumen Elternträume

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"Ihr könnt euch austoben", sagte der Auftraggeber, und das ist das Ergebnis. Johannes Schelle und seine Kollegen von der Firma Baumbaron haben dieses etwa 100 000 Euro teure Holzhaus entworfen und gebaut. (Foto: Baumbaron)

Johannes Schelle baut Mini-Hütten ebenso wie Luxus-Varianten mit Wendeltreppen, Wlan, Toiletten und Heizung. Manch einer zahlt sogar 100 000 Euro dafür. Ein Werkstatt-Besuch.

Von Philipp Crone

Der Kindertraum liegt platt auf dem Boden. "Hundertachtundzwanzig mal neun", sagt einer der jungen Handwerker zu dem Mann neben ihm mit dem Maßband. Drei Zimmerer stehen an einem Sommertag in einer Halle am Tegernsee auf einer Handballtor-großen Holzplatte und zeichnen diverse Linien. "Das wird nur was Kleines", sagt Johannes Schelle, 43.

Was Kleines, für einen Platz auf dem Baum. Das war früher ein Brett, das der Junge oder das Mädchen nach dem Hochklettern an einer Astgabel festgenagelt hat. Auch Schelle hat so angefangen. Brett, Nägel. Dann lief das etwas aus dem Ruder. Zuletzt hat er ein Baumhaus gebaut mit zwei Wendeltreppen, zwei Stockwerken, einer Hängebrücke mit Aussichtsplattform am Nebenbaum, einer Terrasse und einer Hundehütte. Kosten: 100 000 Euro.

Johannes Schelle ging es um Langeweile. Und um die Herausforderung, ein richtiges Haus in einen Baum reinzubauen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Frage ist ja nicht, warum jemand, der bereits ein Haus mit Garten besitzt, ein paar Meter weiter eine Holzvilla haben möchte. Die Frage ist vielmehr, was das über seine Kunden aussagt, wenn Schelle sich nicht vor Aufträgen retten kann. Und worum es bei so einem Baumhaus im Grunde geht: Um Höhe? Überblick? Macht? Sehnsucht? Freiheit? Oder Flucht?

Für Schelle ging es um Langeweile. Und um die Herausforderung, ein richtiges Haus in einen Baum reinzubauen, den Baum nicht umzubringen, die Statik im Blick zu haben, all das. Er probierte es vor 20 Jahren als erstes im Garten seiner Oma. So ging das los, in den Semesterferien, zusammen mit einem Kumpel. Es funktionierte. Deshalb leitet der Zimmerermeister nunmehr seit zwölf Jahren die Firma Baumbaron und baut Holzhäuser auf Bäume, wie das, das sie gerade für einen Spielplatz ausmessen. "Nur vier Quadratmeter."

Schelle, der ein wenig aussieht wie eine Mischung aus Ludwig Spaenle und Robert de Niro, ging zunächst in München auf das Max-Gymnasium, machte danach eine Lehre als Zimmerer und wollte dann Architekt werden. Er schaffte es in Innsbruck bis zum Vordiplom. "War mir zu theoretisch", sagt Schelle, als müsse er seine Sätze schnell loswerden. Abgehackt.

Die Baumhäuser sind aufwendig gebaut. (Foto: Baumbaron)

In den Semesterferien hatte er dann die Baumhaus-Idee. Bis dahin hatte Schelle immer nur Bretter in Bäume genagelt, Astgabeln zu Sitzplattformen erweitert.

Die Bäume. Grundsätzlich, sagt Schelle, kann man in jeden Baum ein Haus bauen, aber manche Arten sind besser geeignet als andere. Nur Birken und Pappeln eignen sich nicht, "das sind schnell wachsende Arten, die weniger stabil sind". Pionier-Arten, die zuerst Flächen besiedeln, etwa nach Waldbränden. "Die können mit Verletzungen nicht umgehen und sind zu spröde." Am besten sei die Eiche, auch der Ahorn eigne sich, alte Obstbäume hingegen sind oft nicht groß genug, "Eschen wiederum sind okay, wenn sie fit sind".

"Eine Stunde, Buch lesen, runterschauen und sich freuen"

Warum wollte er als Kind da schon hoch? Schelle hat zwei ältere Schwestern, "ich hatte da immer das Gefühl: Die kommen da nicht rauf. Und die wussten das auch". Er saß als Kind dann da oben, auf dem Astgabel-Hochsitz, "eine Stunde, Buch lesen, runterschauen und sich freuen".

Dann betrachtete er eben vor 20 Jahren die Rotbuche im Garten der Oma. Die Kombination aus Zeit, Lust und Herausforderung brachte Schelles Oma ein Haus zwischen zwei Bäumen ein, sieben mal fünf Meter Grundfläche, mit Terrasse, Eckbank, Tisch, Bett und Treppe nach oben. Vier Wochen haben sie zu zweit gearbeitet, "heute machen wir das in einer Woche".

Und da war er dann oft, ob alleine, mit Freundin oder mit Freunden zum Karteln. "Da können so viele hoch, wie auf die Fläche draufpassen." Schelle lächelt, dann geht er aus dem Büro und holt eine Schraube. Wobei Schraube nicht präzise genug formuliert ist, er holt vielmehr: eine riesige, kiloschwere Mörderschraube. Um zu erklären, wie er die Häuser baut und warum es den Bäumen gut geht, braucht er dieses Teil mit den Dimensionen eines Nudelholzes.

"Wichtig ist bei der Berechnung vor allem die Wind- und Schneelast", sagt Schelle. Wie viel Schnee kann auf der Fläche liegen und welches Gewicht erzeugt das, und wie viel seitliche Angriffsfläche bietet das Haus für den Wind. In manchen Fällen, wenn der 43-Jährige nicht sicher ist, bestellt er einen Baumgutachter, der auch prüft, ob der Baum den Anbau verkraftet. Die Schraube, die Schelle auf den Tisch wuchtet, "hält sechs Tonnen aus". Eine Spezialschraube, entworfen von einem amerikanischen Baumhaus-Bauer. Bis vor kurzem hat er die für 140 Euro das Stück importiert, jetzt stellt ein benachbarter Schlosser die Schrauben vor Ort her.

"Der Knackpunkt ist", sagt Schelle und lächelt über seine Wortwahl, "dass man den Baum als Fundament ansehen muss und ihn deshalb so wenig wie möglich beeinträchtigen darf." Keine Nägel reinhauen. Das Haus bei Oma im Garten hatte am Ende vier Schrauben, verteilt auf zwei Bäume.

"Dieses ganz nahe Blätterrauschen und das Singen der Vögel direkt um einen rum", fasziniert Johannes Schelle. (Foto: Baumbaron)

Heute machen Schelle und seine Kollegen das so: Zunächst klettert ein Zimmerer hoch. Alle Mitarbeiter sind ausgebildete Baumkletterer. Oben verankert er eine der Mörderschrauben, indem er ein etwa zehn Zentimeter tiefes und tennisballbreites Loch in den Baum bohrt. Zuvor werden Bohrer und Schraube desinfiziert und darauf geachtet, dass keine Luft eingeschlossen wird. Dann schraubt der Zimmerer die Mordsschraube aus Edelstahl rein. "Der Baum spürt die Verletzung durch die veränderte Oberflächenspannung und schließt die Lücke." Und er wächst durch sein Dickenwachstum über die Schraube weiter in die Breite.

Nun steht ein Edelstahlrohr aus dem Baum raus, auf das eine Metallschiene gesetzt wird. So kann der Baum sich bei Wind und Wetter weiter bewegen. Das Baumhaus gleitet auf der Schiene.

Ein erstes Brett wird aufgelegt, eine zweite Schraube befestigt, noch ein Brett, beide mit einer Querverbindung verbunden, so entsteht die Basis, der Rest ist Zimmermannsarbeit. Je älter das Haus und der Baum, desto stabiler die Konstruktion.

Ein Mitarbeiter ruft nach Schelle; die Männer unterbrechen ihre Arbeit an dem kleinen Konstrukt für den Spielplatz, ein schwarzes Eichhörnchen hat sich in einem Holzstapel versteckt. Es hoppelt irgendwann gemütlich weg. "Eichhörnchen, die begegnen dir auf dem Baum ständig."

Mit Anfang 20 ging Schelle dann doch lieber vom Studium zum Praktischen zurück. Meisterschule, zwei Jahre, dann zum Vater in die Baufirma, "war klar, dass ich da mitarbeiten muss". Er versuchte es wieder mit Theorie, aber Schreibtisch statt Werkbank, das war einfach nichts. Die Finger, die wie kleine Äste aus seiner schwieligen Handwerkerhand ragen, gestikulieren dazu über seinem Schreibtisch im Büro. Hier hält er es nicht lange aus. "Ich habe so gerne auf dem Dachstuhl eines Hauses gearbeitet, gesehen, was ich gearbeitet habe und bin abends müde nach Hause gefahren."

Das Ergebnis: ein Baumschloss

Das Oma-Baumhaus fotografierten er und sein Kumpel damals und beschlossen, einfach mal eine Homepage aufzusetzen und ihre Baumhausbau-Dienste anzubieten, das war vor zwölf Jahren. Sie richteten eine Telefonnummer ein, niemand rief an. Ein halbes Jahr lang. Dann ein Anruf, kurz vor den Osterferien, ein Auftrag, "das müssen wir in den Ferien schaffen", sagte Schelle zu seinem Kumpel. Der Auftraggeber aus Gräfelfing bekam sein Haus, als Werkzeuge hatten die Handwerker zwei Akkuschrauber und eine Handkreissäge. Sie verschönerten anschließend die Homepage, ein zweiter Auftraggeber rief an, beim dritten kündigte Schelle bei seinem Vater.

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Sie legten Prospekte in Grünwald, Solln oder Pullach aus, dort, wo sie dachten, dass ihre Dienste gefragt sein könnten, bei potenten Kunden mit Gärten eben.

Das Baumhaus, das sie gerade in der Werkstatt ausmessen, ist Nummer 180. Vor kurzem "haben wir in Bad Oldesloe unseren Porsche gebaut". Der Auftraggeber sagte nur: Ihr könnt euch austoben. Das Ergebnis: ein Baumschloss. Noch großzügiger war ein Auftrag aus Peking. Da sollte ein Grundstück von der Fläche des Tegernsees mit Baumhäusern bebaut werden, die Umsetzung steht noch aus. Schelle hat auch mehrere Baumhaushotels ausgestattet. Die Hotelzimmer haben dann auch Strom und ein Bad. Immer gibt es eine Terrasse. "Das ist oft das Erstaunliche, wenn wir die Terrasse bauen, dann denkt man sich, mehr braucht es gar nicht." Noch immer ist er gerne bei der Montage dabei, "wenn man da oben ist und zum Beispiel im Frühling das Licht so irre durch die hellgrünen Blätter scheint, dann dieses ganz nahe Blätterrauschen und das Singen der Vögel direkt um einen rum."

In Deutschland gibt es drei große Anbieter in der Nische der Baumhausbauer. Der Architekt Andreas Wenninger ist einer von ihnen, seine Firma heißt Baumraum. Der 52-Jährige sagt: "Wir entwerfen eher zeitgenössische Architektur, während Johannes Schelle und seine Kollegen mehr traditionell rustikal arbeiten, mit Holz." Und auch die Befestigungen sind bei Baumraum anders. "Wir arbeiten mit textilen Gurten und hängenden Systemen", sagt Wenninger. Es gebe da in der Fachwelt sehr unterschiedliche Meinungen, aber "beide Techniken sind vielfach erprobt, haben Vor- und Nachteile". Allerdings arbeite man ja ohnehin auch immer mit Baumgutachtern zusammen, die dann noch einmal auf die Gesundheit der Pflanze achten.

Zu 70 Prozent kaufen Schelles Kunden die Häuser für ihre Kinder. "Während der Planung kommt aber in den allermeisten Fällen irgendwann auch der Satz: Machen Sie es ruhig auch ein bisschen größer." Damit die Eltern das Haus auch nutzen können. Bei denen "funkelt es dann ganz oft auch in den Augen". Und die Anforderungen sind auch ziemlich unterschiedlich. "Strickleitern sind zum Beispiel so eine Sache." Die würden regelmäßig gewünscht, weil man so die Verbindung zur Außenwelt besser kappen kann.

Kinder wollen kontrollieren, wer hochkommt, in das Reich, das ihnen gehört, über das sie herrschen. An dem Ort, an dem sie bestimmen können und das Sagen haben. Aber Strickleitern sind sehr mühsam. "Meist kommt nach ein paar Wochen der Anruf: Können Sie bitte noch eine Treppe anbauen?" Denn die Erwachsenen wollen das Haus auch nutzen, da geht es eher um das Abgeschiedene. "Ein Raum, eine Kerze, ein Buch und sonst nix." Kein Handy, keine Pflichten. "Das ist für die Leute oft ein Kurzurlaub." Wobei Schelle in 80 Prozent der Fälle Strom verlegt und das Haus dämmt. "Es ist halt sonst im Winter gar nicht nutzbar und im Sommer schnell auch zu heiß, die Investition lohnt sich."

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Klos baut Schelle auf Wunsch auch, aber Wasser- und Abwasserleitungen sind aufwendig. Klingt fast, als ob da vielleicht irgendwann mal Leute einziehen wollen. "Darauf warte ich schon ganz lange."

Ein Kunde von Schelle hatte irgendwann keine Lust mehr auf sein Schlafzimmer. Er wollte vom Balkon über eine Brücke auf ein Baumhaus laufen und dort schlafen. Schelle baute ihm das so. Der Mann geht jeden Abend rüber zu dem Holzhaus, das an zwei Mammutbäume gebaut ist.

Ein 85-Jähriger rief an und erzählte, dass er nur knapp einen Herzinfarkt überlebt habe und jetzt ein Baumhaus wolle, davon träume er schon, seit er ein Kind war. Aber nach zwei Hüft-Operationen bitte eines mit einer langsam ansteigenden Treppe. Außerdem müsse das Haus so hoch sein, dass er über die Neubauanlage drüberschauen könne, die ihm seit einiger Zeit die Aussicht in die Main-Ebene verstelle. Das kostete 50 000 Euro.

Das höchste von ihm gebaute Haus ist 14 Meter hoch

Los geht es bei den einfachsten Modellen mit einem Preis von zehntausend Euro, dann beginnt Johannes Schelle mit der Planung. Welche Höhe der Kunde möchte zum Beispiel. "Alles über fünf Meter ist sehr aufwendig, weil da die Bäume sehr schwanken." Das höchste von ihm gebaute Haus ist 14 Meter hoch. Weniger als zwei Meter ist auch nicht gut, dann ist es "ein Klo auf Stützen". Eine Mutter hatte ihrem Sohn mal ein Haus versprochen, aber wegen der Regularien durfte das nicht höher als drei Meter sein, also wurde es auf ein Meter Höhe gebaut.

"Oft ist ein Baumhaus auch eine Entschuldigung", sagt Schelle. Ein dauerarbeitender Vater schenkt zur Entschädigung den Kindern so ein Haus. Man merkt das schon an den Orten, an denen Schelle baut, Frankfurter Bankerviertel, in Hamburg und rund um München. Er selbst hat drei Kinder, neun, elf und zwölf, die haben sein Oma-Baumhaus längst übernommen. Er hat ein Baumhaus für ein Waisenhaus gebaut, "wenn die Kinder brav sind, dürfen sie darin übernachten".

"Ich glaube wirklich, dass sich die Bäume über die Häuser und ihre Bewohner ein bisschen freuen", sagt er. Sie bekämen etwas Positives zurück, wenn sie schon das Haus tragen müssen. Und der Stress sei ja eigentlich nicht so sehr das Gewicht, höchstens, dass die Baumhausfläche die Bodenfläche verringert, über die der Baum Wasser aufnimmt nach dem Regen.

Die Rotbuchen bei der Oma, die jedes Frühjahr austreiben, die beobachtet er seit Jahren. "Und raten Sie mal, welche beiden Bäume im Frühjahr als erste austreiben."

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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