Design:Eine Küche namens Eva-Maria

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Männer am Herd: Lorenz Sternbach (links) und Georg Agostini vor ihrer Modulküche „Eva“, hier mit grünen Fronten. (Foto: Lorenz Sternbach)

Mit einer simplen Modulküche wollen zwei Tischler aus Südtirol eine Alternative zu Großherstellern bieten.

Von Max Scharnigg

An diesem Morgen im September sind sie um halb sechs Uhr losgefahren. Raus aus dem Pustertal, rauf auf den Brenner, über den Zirler Berg und durch Garmisch, um am Ende im zähen Berufsverkehr auf dem Mittleren Ring in München zu stehen. Trotzdem sind Lorenz Sternbach und Georg Agostini fast pünktlich an ihrem Ziel, einer etwas angezählten Ikeaküche in einer Wohnung am Münchner Stadtrand, dritter Stock. Bevor die beiden Männer mit dem Ausmessen beginnen, gibt es erst mal Kaffee und Materialproben, die sie aus ihrer Werkstatt mitgebracht haben.

Der Kunde stellt gleich mal seine Tasse drauf, um zu testen, wie ein Kaffeerand auf der zukünftigen Arbeitsplatte aussieht. Gefunden hat er die beiden Männer und ihr kleines Unternehmen in Südtirol eher zufällig, jemand hatte ihm den Instagramkanal verlinkt, auf dem sie die Arbeit ihres jungen Labels dokumentieren.

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Ihre Arbeit, das sind schlichte Küchen und Sideboards in Birke-Multiplex, die den Namen "Eva" tragen oder neuerdings auch "Eva-Maria", für eine Luxusvariante mit Marmorarbeitsplatte. Gerade weil sie so sachlich auf den Fotos stehen, frei von irgendwelchen optischen Ballaststoffen, fallen diese Küchenzeilen und Arbeitsschränke auf. Die Arbeitsmodule mit simplen Lochgriffen an den Türen und Schubladen, die klaren Multiplex-Kanten und auch die Frontfarben wie Lindgrün oder Grau sehen jedenfalls urbaner und nach junger Küche aus, nicht unbedingt nach Schreinerwerkstatt in Südtirol.

Das war auch das Ziel, als die beiden Freunde Lorenz Sternbach und Georg Agostini im Juni 2016 bei einem Abendessen in Stuttgart ihre Idee ausbrüteten. Gerade hatten sie für Lorenz' Freundin eine Küche getischlert, die sozusagen der Vorläufer ihres Projekts werden sollte, aber das wussten die beiden damals noch nicht. Was sie wussten, und was den Abend in die Länge zog: Sie wollten zusammen etwas auf die Beine stellen. Ein Produkt entwerfen, das es in ihrer Heimat noch nicht gab, etwas Aufregendes, bei dem sie ihre Erfahrungen als Tischler und Inneneinrichter vereinen konnten. Schnell blieben sie beim Thema Küche hängen.

Kein Wunder, kaum ein Wohnbereich hat in den vergangenen Jahrzehnten eine solche Neudeutung erfahren. Von der ehemals praktisch konzipierten Domäne der Hausfrau wurde die Küche zum Revier des Küchenbullen und Statussymbol, in dem nicht unbedingt mehr gekocht wird, aber eben mehr repräsentiert. Diese Transformation spiegelt sich in den Zahlen der Branche, laut Statistik geben die Deutschen Jahr für Jahr mehr Geld für ihre Küche aus, besonders das Luxussegment mit Preisen jenseits der 20 000 Euro wächst.

Was sie keinesfalls wollten: Spanplatten, Firlefanz, massive Eiche

"Ich habe mich als Einrichter immer darüber gewundert, warum auch junge Menschen bei Küchen so bereitwillig Fantasiepreise bezahlen, sogar Kredite dafür aufnehmen," sagt Lorenz Sternbach dazu. Sie schrieben damals in Stuttgart Begriffe auf einen Zettel, die ihnen zu ihrer Idealküche vorschwebten: jung, erschwinglich, modular, nachhaltig, irgendwie mobil. Und sie hielten nach einer Flasche Rotwein auch fest, was sie keinesfalls wollten: Dekorfolien, Spanplatten, Firlefanz und massive Eiche, wie sie alle Schreiner in ihrer Gegend verbauten. Die kam ihnen zu teuer, zu schwer und irgendwie zu endgültig vor. Sternbach lächelt heute über diese Radikalität und sagt entschuldigend in seiner schönen Bergsprache: "So ist das in Südtirol, wenn man jung ist, die Berge sind hoch und die Täler lang, und wir wollten da unbedingt mal drüber schauen!"

Den Zettel von diesem Abend gibt es noch. Er ist schon voll mit Skizzen zu Türen und Formen der Küchenmodule, die dann im September 2016 bereits als Prototyp in Agostinis Werkstatt entstanden. Aus drei Elementen setzte sich diese Musterküche zusammen: Eine tragende Basis, in welche die einzelnen Schrankmodule eingeklinkt werden, darüber eine Arbeitsplatte, fertig. Reduziert auf das Notwendigste, aber handwerklich sauber gelöst.

Ein bisschen Marktforschung bestätigte den beiden Freunden, was sie schon vermutet hatten - das was da vor ihnen stand, gab es so eigentlich nicht. Eine Designerküche, die hochwertiger war als von Ikea, aber günstiger und mobiler als vom Schreiner. Überhaupt, eine "Indie"-Systemküche in einer Branche, die von Großherstellern dominiert wird. "Jeder Kunde sollte sie mit ein bisschen Geschick selbst abbauen und wieder aufbauen können, das war das Ziel." Deshalb auch der etwas sperrige Titel, den sie dem Projekt schließlich gaben: Das Ganze Leben. Das sollte die Mitnahmequalitäten unterstreichen und den Anspruch, dass die Küche als Lebensort beweglich bleiben müsse.

Als Material entschieden sich die Tüftler nach einigen Tests für Birke-Multiplex, das in der Wertigkeit gleich nach Massivholz kommt. Beschichtet ist es mit einer modernen Oberfläche, die in Skandinavien entwickelt wurde und die den meisten Küchengefahren widerstehen soll. In Skandinavien fühlt sich Lorenz Sternbach übrigens auch stilistisch heimischer als bei den näher gelegenen italienischen Designern, die ihre Küchen immer noch mit viel Effekt, Materialwucht und Drama konzipieren. Die erste Eva-Küche im Pustertal, war das Gegenteil: leicht, hell und "to go".

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Die Bewährungsprobe für ihre Idee sollte nicht lange auf sich warten lassen. Denn ein Zufall und ein bisschen Südtiroler Nachbarschaftshilfe sorgten dafür, dass die beiden ein paar Quadratmeter Ausstellungsfläche beim Salone del Mobile in Mailandangeboten bekamen - der wichtigsten Möbelmesse der Welt. Sie überlegten eine Weile, ob sie so viel Scheinwerferlicht schon vertragen konnten, und druckten gerade noch rechtzeitig ein paar freche Flyer als Werbematerial. Keine neun Monate nach dem Gründungsabend standen sie zusammen mit anderen jungen Designlabels in Mailand und präsentierten ihre Küche, mittlerweile noch ergänzt um ein Wandregal und einen Tisch in der gleichen Formensprache.

Die Kunden - eher jung, eher modern eingerichtet und vor allem: Mieter

Dieser Schnellstart war eine arbeitsintensive Phase, in der sich ihre Rollen wie von selbst verteilten: Georg Agostini fertigte mit seinen Arbeitern in der Schreinerei die ersten Küchen, Lorenz Sternbach hielt in seinem kleinen Möbelgeschäft in Bruneck die geschäftlichen Fäden in der Hand - die erste Küche kaufte ein Freund spontan, nachdem er den Prototypen gesehen hatte. Aber erst mit dem Frontalstart in Mailand begann "Das Ganze Leben" richtig. Die beiden gaben Interviews und fanden ihre Küche in Wohnmagazinen wieder, Architekten drängelten sich vor dem kleinen Stand genauso wie Passanten, die sich von den simplen Designs angesprochen fühlten. Mit vielen Visitenkarten und neuer Motivation kehrten sie ins Pustertal zurück und - legten los.

"Wir hatten uns zu Beginn vorgenommen, im ersten Jahr zehn Küchen zu verkaufen. Geschafft haben wir neun", sagt Georg Agostini an diesem Morgen, zwei Jahre nach dem ersten Prototyp. Er hat die Küche in München jetzt gewissenhaft ausgemessen, in der bald eine "Eva" aus Südtirol stehen soll. Der Auftraggeber entspricht ziemlich genau dem Kundenprofil, das die beiden bisher erlebt haben: eher jung, eher modern eingerichtet und vor allem: Mieter.

Die Aussicht, die Küche auch bei einem Umzug mitnehmen zu können und vielleicht noch zu ergänzen, sei für viele ein wichtiges Argument, sagen die Männer aus Südtirol. Auch der Preis von etwa 10 000 Euro für eine L-Küche mit Geräten dürfte eine Rolle spielen. Zumal die Aufträge wie hier mit ziemlich viel persönlicher Betreuung einhergehen. Die Rohre, Boiler, Steckdosen und andere Hindernisse des Altbaus erfordern beim Einbau eben doch den Tischler vor Ort. Wird ihnen das nicht zu viel, mit den Küchen über den Brenner und eigenhändigem Einbau? Die Freunde schauen sich an und schütteln vorsichtig den Kopf. Na, bis jetzt passt's noch so.

© SZ vom 22.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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