Männer dürfen längst auch rein. Das war nicht immer so. Ursprünglich wurde die Bahnhofsmission am Hauptbahnhof zum Schutz von Frauen und Mädchen ins Leben gerufen. Vor 125 Jahren am 28. Januar 1897 war das. Auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben strömten damals auch viele von ihnen nach München.
Doch kaum waren sie aus dem Zug gestiegen, warteten schon Zuhälter und windige Arbeitsvermittler auf die mitunter halben Kinder, lockten sie als rechtlose Arbeitskräfte in Fabriken oder verkauften sie als Prostituierte ins In- und Ausland. Der beste Platz, um die Ankommenden rechtzeitig vor diesem Schicksal zu bewahren, war, sie gleich an den Gleisen in Empfang und vorübergehende Obhut zu nehmen. So die Idee der Gründerin der Münchner Bahnhofsmission, Ellen Ammann, gebürtige Schwedin und spätere Landtagsabgeordnete und Sozialpolitikerin.
Am Bahnsteig wartete auf die Neu-Münchnerinnen auch echte Vermittlung von Unterkunft und Arbeit. Es war die erste ökumenische Bahnhofsmission in Deutschland, getragen vom Internationalen Verein Freundinnen junger Mädchen, der stark von bürgerlich-protestantischen Frauen geprägt war und dem katholischen Mädchenschutzverein (heute In Via München). Noch immer steht die Anlaufstelle unter katholischer und evangelischer Leitung und Trägerschaft und wird von der Landeshauptstadt mitfinanziert.
Bis heute gibt es wenige Institutionen, an denen sich unmittelbarer die Folgen gesellschaftlicher und auch weltpolitischer Missstände und Krisen ablesen lassen. Der "Mädchenschutz" wurde mit Beginn des Ersten Weltkriegs im Portfolio dieses sozialen Anlaufhafens ausgeweitet auf die Betreuung Verwundeter, später Hungernder und Kranker. Während der Hyperinflation 1923 richtete die Bahnhofsmission eine Suppenküche ein. Als nach dem Zweiten Weltkrieg weite Teile der Stadt zerbombt waren und die Züge nurmehr bis Laim rollen konnten, mietete sich die Mission hier in einem Raum ein, kochte Tee und verteilte auch Brot und Medikamente.
Längst sind die Helferinnen wieder in den Hauptbahnhof zurückgekehrt, an Gleis 11, wo die Bahnhofsmission bis heute ihren Sitz hat. Hier kümmerte sie sich im Auftrag der Landeshauptstadt - wenn die Beamten im Feierabend waren - als "Wochenend-Sozialamt" um "Problemfälle" und begleitete in den 1960er- und 1970er-Jahren die ankommenden Gastarbeiter.
Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien, die erst mal nicht wussten wohin, landeten in den Räumen der Einrichtung an, und die Bahnhofsmission war auch dabei, als im September 2015 der Strom Geflüchteter aus den Zügen floss und erstversorgt werden musste. In den vergangenen Jahren klopften zunehmend Münchnerinnen und Münchnern an die Missionstür. Viele haben zwar noch eine eigene Wohnung, aber kein Geld mehr fürs Leben. Psychisch auffällige Menschen stellen sich zunehmend ein, erzählen die Mitarbeitenden, während der Pandemie wurde die knapp 20 Hauptamtlichen und 140 ehrenamtlichen Helfer zur Anlaufstelle für Menschen am Rande der Gesellschaft.
Und seit Ende Februar haben hier noch an die 3500 Ukrainerinnen und Ukrainer angeklopft. "Manchmal gerät das Leben aus der Spur", heißt es auf der Homepage der Bahnhofsmission. "Dann finden Sie einen Haltepunkt an Gleis 11 am Münchner Hauptbahnhof." 24 Stunden lang, an 365 Tage im Jahr.