Das ist schön:Noch ohne Bussi-Bussi

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Kaum sind in der Kunstszene wieder Ausstellungseröffnungen erlaubt, sind die Vernissagenprofis unterwegs.

Von Karl Forster

Die drei Herren plus eine Dame warten geduldig auf die Kunst. Sie sitzen auf dem kleinen Bänkchen in dem idyllischen Garten vor der Orangerie am südöstlichen Rand des Englischen Gartens und ratschen ein bisschen, auf dass die Zeit vergeht bis zur Eröffnung. Eine Künstlerin hat zur Vernissage geladen an diesem Ort, der von der bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung wochenweise für Kunst und Artverwandtes vermietet wird. Die drei Herren plus Dame sind dann immer dabei. Und sie fallen, wenn überhaupt, nur dadurch auf, dass sie selber so aussehen, als würden sie sich der Künstlergilde zurechnen.

Der eine hat einen Seidenschal locker um den Hals gelegt; der andere trägt eine Baskenmütze auf dem längeren, grau melierten Haar; der dritte, der mit dem zarten Menjou-Bärtchen, hat den Körper in einen Dufflecoat gehüllt, er könnte auch als Kunstsammler durchgehen. Die ältere Dame schmückte sich mit einer lila Strähne und erinnert ein wenig an die Mutter von Rudolph Moshammer. Vermutlich hofft das Quartett nichts mehr, als dass der Vernissagenwein kein Kopfweh und die Canapés satt machen. Schon öffnet sich das Tor zum Abendessen. Jetzt ist Strategie gefragt!

Was haben die Vier nur gemacht in der Zeit des Lockdowns? Wovon haben sie sich ernährt, wie haben sie die Kehlen befeuchtet, die Mägen gefüllt, das Gehirn fröhlich getrunken? Eineinhalb Jahre lang keine Vernissage, nicht die kleinste kulturaffine Zusammenkunft, kein schmeichelnder Vortrag über die Genialität des oder der Kunstschaffenden, der mit dem Satz endete: "Das Buffet ist eröffnet!" Unsere Vernissagenprofis saßen wahrhaft auf dem Trockenen. Doch seit ein paar Wochen heißt es auch für sie: Es geht wieder los!

Sie sind überall. Man erkennt sie kaum im Gewusel der Vernissage, wenn es, vielleicht noch ohne Bussi-Bussi, heißt: Schön, dich wiederzusehen, wunderbare Bilder, dieses Pastose erinnert mich ein wenig an Van Gogh, und erst die Farben, Franz Marc ist nichts dagegen. Doch während das geladene Volk pflichtschuldigst die dargebotene Kunst ganz vortrefflich findet, platziert sich unser Profiquartett dezent in Reichweite von Speis und Trank, der eine hat schon die Hand am Rotweinglas, die lila Strähne drückt sich links der Schinkenröllchen und der Spargel-Avocado-Kombi an den Gabentisch. Man wartet gebannt auf den Startschuss.

Es gibt ja einige Variationen der Vernissagenfreigänger. Unser Quartett ist eher der stillen Sorte zuzurechnen, die dem Motto folgt: Nur nicht auffallen. Auch das Gegenteil ist erfolgversprechend, also jener Gast, der mit gezücktem Montblanc-Fake Anmerkungen in den Moleskine-Notizblock notiert, als sei er der Exklusivgesandte des Kunstmagazins. Nicht zu vergessen die Dienstbotenvariante, bei der sich der Protagonist in eine Art Kellner verwandelt, kunstvoll ein Canapé-Tablett durch die Menge jongliert, ein paar Gästen nachschenkt ("Rot oder Weiß?) und sich dann mit Flasche und Brötchen an den hintersten Ecktisch verkriecht.

Aber eigentlich ist es doch egal, wer den Wein trinkt und die Brötchen isst. Ist das Buffet leer, dann ist das Fest aus. Und jeder sagt für sich: Das war doch schön! Und unser Quartett freut sich schon auf den nächsten Termin.

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