Debatte um Laufzeitverlängerung:Atom-Streit bei den Grünen - "Wir lassen uns nicht spalten"

Lesezeit: 3 min

Nicht ganz einig: Dominik Krause, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stadtrat (links), und Thorsten Kellermann vom Bund Naturschutz in München. (Foto: Robert Haas)

Der Atommeiler Isar 2 gerät zum Streitpunkt innerhalb der Partei: Soll er wegen der drohenden Energiekrise länger in Betrieb bleiben als bis Ende 2022?

Von Thomas Anlauf

Als Ende März 2011 Zehntausende Menschen in München auf die Straße gehen, wehen Hunderte Fahnen mit der Aufschrift "Atomkraft - nein danke!". Das Symbol mit der roten Sonne stand damals noch sinnbildlich für die Anti-Atomkraft-Bewegung, zu der sich auch die Grünen zählten. Wenig später war es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die das Aus für die Kernkraftwerke in einer Kehrtwende proklamierte. Heute sind es ausgerechnet die Grünen, die angesichts der drohenden Energiekrise im Herbst und Winter für eine längere Laufzeit der letzten Atommeiler sind. In München setzt sich dafür neben Bürgermeisterin Katrin Habenschaden auch Grünen-Fraktionschef Dominik Krause ein. Doch mittlerweile bekommt die Partei aus den eigenen Reihen und von Umweltverbänden Gegenwind.

In der aktuellen Situation hielten es die Grünen im Stadtrat "für geboten, dass die Bundesregierung eine erneute Bewertung eines Streckbetriebes von Isar II vornimmt. Damit würden die bereits genutzten Brennelemente für einige Monate weiterverwendet, ohne dass neuer Atommüll entsteht", sagte Krause. Im Gespräch mit Thorsten Kellermann, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Naturschutz, und der Süddeutschen Zeitung wird Krause allerdings zurückhaltender. "Wir wollen nicht verlängern, sondern wir wollen eine Prüfung des Streckbetriebes vornehmen, wobei wir sowieso von maximal sechs oder sieben Monaten sprechen würden." Es handelt sich dabei um das letzte in Betrieb befindliche Atomkraftwerk Isar II bei Landshut, das laut Plan Ende des Jahres abgeschaltet werden soll.

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Streckbetrieb bedeutet, dass die bestehenden Uran-Brennstäbe weiter verwendet werden, ohne dass neue eingekauft werden müssen. Deshalb handelt es sich dabei um eine Gesamtmenge an Energie, die wegen des möglichen Gasengpasses bis in den Winter verlängert und dafür vorher gedrosselt wird. Das Ergebnis des sogenannten Stresstests für Isar II - und ob es überhaupt eine rechtliche Genehmigung dafür gäbe - soll erst in einigen Wochen vorliegen. Die Stadtwerke München, die 25 Prozent an Isar II besitzen, sprechen laut Krause davon, "dass wir in eine Krisensituation laufen - sowohl beim Erdgas, als auch beim Strom". Somit gehe es um die Versorgungssicherheit in der Stadt.

Wirbt für mehr Gelassenheit: Thorsten Kellermann. (Foto: Robert Haas)

Thorsten Kellermann vom Bund Naturschutz hält "die Argumentation für unglaubwürdig". Hier zeige man ein Worst-case-Szenario auf. Derzeit beliefere Deutschland Frankreich mit Gas, anstatt die eigenen Gasspeicher zu füllen, weil im Nachbarland aus verschiedenen Gründen etwa die Hälfte der Atomkraftwerke abgeschaltet seien, unter anderem wegen Wartungsarbeiten. Kellermann, der wie Krause Physiker ist und Mitglied bei den Grünen, betont: "Wir brauchen Wärme und nicht Strom." Es sei fraglich, ob der Strom, der durch den verlängerten Betrieb der drei bundesweit noch laufenden Atomkraftwerke erzeugt werde, "überhaupt mit Gas betriebene Kraftwerke ersetzen kann". Der 45-Jährige mahnt in der Debatte auch zu mehr Gelassenheit: "Warten wir doch erst mal den Stresstest zwei ab", sagte er im Gespräch mit der SZ.

Tatsächlich haben auch andere Umweltverbände Probleme mit dem schnellen Statement der Grünen-Fraktion in München. Das Umweltinstitut München beispielsweise sieht gar den Atomausstieg in Gefahr. Die Atomkraft könne schließlich Erdgas nicht ersetzen, denn derzeit kämen nur noch sechs Prozent des in Deutschland produzierten Stroms aus Atomkraftwerken. Auch seien die verbliebenen Meiler derart in die Jahre gekommen, und dennoch habe es zuletzt vor 13 Jahren die eigentlich vorgeschriebenen Generalüberholungen gegeben.

Nicht nur das Atomkraftwerk in Neckarwestheim in Baden-Württemberg sei davon betroffen. "Die weiter in Betrieb befindlichen AKW Isar II und Emsland (Niedersachsen) dürften ähnliche Probleme aufweisen, jedoch sahen Betreiber und Aufsichtsbehörden sich bisher nicht veranlasst, hier genauere Prüfungen zu veranlassen", teilt Kasimir Buhr, Referent für Energie- und Klimapolitik beim Umweltinstitut München mit.

"Ein Stromengpass ist für uns nicht erkennbar", so Sabine Krieger, energiepolitische Expertin beim Bund Naturschutz in München und auch bei den Grünen. "Zumindest hätte der Münchner Stadtrat das Ergebnis des Stresstests von Wirtschaftsminister Habeck abwarten müssen."

Dominik Krause soll Katrin Habenschaden als Bürgermeister nachfolgen. (Foto: Robert Haas)

Doch Dominik Krause geht schon jetzt davon aus, dass "die Situation der Versorgungssicherheit sehr ernst" sei. Es könne durchaus sein, dass bei den Kunden im Winter Strom und Wärme nicht so ankämen wie gewohnt. Da stelle sich die Frage, weshalb die Stadt nicht längst stärker in Erneuerbare Energien investiert habe, um sich so auch von russischem Gas unabhängiger zu machen.

"Im Strombereich ist das Hauptproblem die 10-H-Regelung für Windkraft vom Freistaat", sagt der Grünen-Fraktionsvorsitzende. Photovoltaik wiederum könne die Stromlücke nicht schließen. Und bei der Wärmeversorgung sei zwischen 2014 und 2020, als in München CSU und SPD regierten, "viel verschlafen worden". Doch seither gehe es "in Riesenschritten voran".

Selbst bei der Geothermie hätten Gutachter der Stadt Grenzen aufgezeigt, obwohl München zu den Hotspots der Tiefenthermik in Deutschland gehöre. Den Bedarf Münchens können die Geothermie-Kraftwerke nach Angaben der Stadtwerke indes nicht ansatzweise bis 2040 decken.

Thorsten Kellermann vom Bund Naturschutz räumt ein, die drohende Energiekrise wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sei eine "sehr unangenehme und sehr kritische Situation". Und Grünen-Fraktionschef Dominik Krause betont, in der Diskussion gehe es lediglich darum, zu prüfen, ob es für Isar II einen Streckbetrieb über den Winter geben könne oder nicht. Es gehe nicht um die Beschaffung von neuen Brennstäben für das Atomkraftwerk.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder "versucht, Grüne und die Umweltbewegung vor sich her zu treiben", sagt Kellermann. "Wir werden uns sicherlich weiter streiten, aber wir lassen uns nicht spalten."

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