Kritik:Scheiterhaufen mit Kontrapunkt

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Die Arcis-Vocalisten entdecken Carl Loewes Oratorium "Jan Hus".

Von Michael Stallknecht, München

Freude haben am Ende nur die Flammen: Sie singen im Chor, während sie Jan Hus verbrennen. Die Kirche dagegen ist halsstarrig, die Politik opportunistisch - und der böhmische Reformator tot, auf dem Konzil von Konstanz 1415 zum Scheiterhaufen verurteilt. 1841 hat ihm Carl Loewe, Kantor an der Stettiner Marienkirche, ein Oratorium gewidmet, das von der Berliner Singakademie uraufgeführt wurde, aber nie im Druck erschien. Dass es nun die Arcis-Vocalisten in der Sendlinger Himmelfahrtskirche neu der Öffentlichkeit vorstellen, ist ein geschickter Schachzug ihres Chorleiters Thomas Gropper. Schließlich ist Carl Loewe nicht nur älteren Konzertbesuchern noch als Komponist einst viel gesungener Balladen vertraut. Die Arcis-Vocalisten haben auch bereits 2019 sein Oratorium "Das Sühnopfer des neuen Bundes" auf Platte herausgebracht, das inzwischen sogar von anderen Münchner Chören aufgegriffen wird.

Auch "Jan Hus" wurde bereits vor der Aufführung vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet und wird im kommenden Jahr unter dem Label Oehms Classics erscheinen. Mit dem Orchester L'arpa festante, der Sopranistin Monika Mauch, der Mezzosopranistin Ulrike Malotta und dem Bassbariton Dominik Wörner ist es mehr als solide besetzt. Vor allem der Tenor Georg Poplutz verleiht der Titelfigur mit prononcierter Textgestaltung eine verinnerlichte Überzeugung.

Schließlich sind alle inneren Konflikte schon ausgefochten, wenn die Handlung beginnt. Zwei Teile lang begleitet man Hus auf dem Weg nach Konstanz, erst im dritten wird bündig das Konzil abgehandelt. Dass das eineinhalbstündige Werk ziemlich statisch und undramatisch wirkt, liegt wesentlich am Libretto des Gelehrten und Pädagogen August Zeune. Dabei arbeiten er und Loewe, der neben 17 Oratorien auch sechs Opern hinterließ, mit einem interessanten Formzwitter: "Jan Hus" wird einerseits nach Bachschem Oratorienmodell von Chorälen gegliedert, enthält andererseits opernhafte Arienmodelle und Genreszenen wie Studenten- und Zigeunerchöre.

Auch im Detail hat Loewe einige schöne Ideen, etwa wenn die dramatische Ouvertüre von einem a cappella gesungenen Incipit der vier Solisten durchbrochen wird. Oder eben für den Flammenchor, der aber eher makaber als ergreifend wirkt. Dafür bleibt Loewe letztlich doch zu sehr der biedere Kantor. Der seinen Kontrapunkt beherrscht (wie man einigen fugierten Chorsätzen anhört), dem aber im Melodischen die Inspiration fehlt und der in der Harmonik ausgetretene Pfade nie überschreitet. "Jan Hus" ist ein Einblick in die Chorkultur des 19. Jahrhunderts, der mehr die diskographischen Archive als wirklich den Konzertalltag bereichern dürfte.

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