Ansager im Fahrgeschäft:Alles klar, Baby? Schubidu!

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Beim Fahrgeschäft High Energy stellen Leute lieber ihre Schuhe vor dem Einsteigen ab. Die Energie wird so groß, dass es diese sonst von den Füßen drücken könnte. (Foto: dpa)

Na, Baby? Nur rrrrrrein hier, immer schön reineieieiein: Denny Strothmann ist Rekommandeur im Oktoberfest-Karussell "High Energy" - und ein Meister des Nonsens und der Anzüglichkeiten. Doch damit lockt er das Publikum reihenweise in sein Fahrgeschäft. Let's go, Baby!

Von Rudolf Neumaier

Ungefähr so würde Denny Strothmann in einen Zeitungsartikel einsteigen: Na, Baby? Nur rrrrrrein hier, immer schön reineieieiein. Und los! Jajajaaaaa! Schnall Dich an, Baby, sonst schnallst Du ab. Du bist hier im absolut geilsten Teil der Zeitung. Yeah. Feuilleton! Politik macht dick, Sport ist Mord. Baby! Die Bilder bunt, die Texte long - welcome to the Föjetongdongdongdongdong. Ja, Süddoioioitsche. Na, Leser? Sitzt Du schon!? Und wooo?! Ou-ou-ou, na dann schön sitzen bleiben, uuund dann ziehen wir ab. Hup, huup, huuuup. Yeah Baby! Pfiff. Gleich geht's los. Sowas von losososos. Und du? Schöne Maus im Morgenmantel - alles rodscha in Kambodscha? Alles Rörörötscherchen mit uns beiden? Jetzt bloß nicht den Kaffee verschütten. Baby. Schubidu. Pfiff. Hoppla. Schön Körperkontakt halten. Es geht lohos! Huiiiiiii.

Aber Denny Strothmann schreibt ja nicht. Er redet. Und wie!

Sein Job hat viele Namen: Anheizer, Fahrgeschäftsansager, Anlocker, Marktschreier, Schießbudenconférencier, Kirmesrufer, Animateur, Karussellmann. Die richtige Bezeichnung kennen die wenigsten: Rekommandeur. Wenn es eine Hierarchie gibt unter den Jobs auf dem Volksfest, dann steht der Rekommandeur weit oben. Lose verkaufen, Fahrchips einsammeln, das kann jeder. Aber das hier? Diese Kaskade an Nonsens, an bescheuerten Reimen, unterirdischen Anzüglichkeiten und brachialer Frontalanmache und all das so souverän, dass es auch noch professionell klingt, dass also das Irre normal wirkt - das beherrschen nur wenige.

"Let's go, baby. High Energy. Dreißig Meter hoch, sechzehn Tage lang. Und das ohne Viagrahahaaa. Baby!"

Keck, frivol, freundlich: Denny Strothmann. Sein Chef nennt ihn "Die Stimme des Südens". (Foto: Alessandra Schellnegger)

Das Fahrgeschäft High Energy gehört zu den spektakuläreren Karussellen auf deutschen Volksfesten, zurzeit steht es auf der Münchner Wiesn. Viele Fahrgäste, die einen der Schalensitze einnehmen, schlüpfen aus ihren Schuhen, bevor sie den Sicherheitsbügel anlegen. Wie die Maschine sie durch die Luft wirbelt, würde ihnen die Fliehkraft die Schuhe ausziehen. Solche Geschäfte mag Denny Strothmann, 41. Geschäfte, in denen sich was rührt. Er hilft diese Woche aus hier, weil der Chef zu tun hat.

Der Chef: Willy Kaiser. Für einen 22-Jährigen ist er unfassbar besonnen, viel erwachsener als all die gleichaltrigen Lederhosenbürscherl, die in sein Karussell torkeln. Verantwortung lastet schwer auf seinen Schultern. Tags darauf wird sein Kind getauft. In einem Oktoberfest-Bierzelt, Wiesngottesdienst. Sie ist ein halbes Jahr alt. Aber das ist jetzt nicht das Thema. Denny? Ja, Denny sei ein toller Rekommandeur, einer der besten. Er nenne ihn "Die Stimme des Südens". Willy hat mit seinen 22 Jahren viele Rekommandeure gehört, es waren 22 Jahre auf der Reise, von Volksfest zu Volksfest. Denny haut die Dinger raus, Willy verzieht keine Miene. Profis.

"Spitzenklasse. Yeah. Okidoki. Na? Ab dafür. Zacki, zacki, zacki. Hoppla."

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Für Sprachwissenschaftler wäre es ein Feuerwerk: Wer auf Appellinterjektionen und Expressivpartikel aus ist, den werden Rekommandeure wie Denny in Ekstase befördern. Seine Reimchen bieten eine Karussellfahrt des Kirmesbuden-Soziolekts. Zum Beispiel: "Der Dichter, der Dichter, der kriegt was auf die Lichter." Denny Strothmann spricht wie die meisten Rekommandeure ohne dialektalen Akzent, man könnte sagen Bühnensprache. In den Lautsprechern klingt er, ebenfalls wie die meisten Kollegen, etwas näselnd.

Was ist das Ganze? Reine Werbung? Moderation als Untermalung zu flotter Fahrt und dumpfen musikalischen Beats? Nennen wir es Show. Schließlich nennen sie die Kundschaft hier nicht "Fahrgäste", sondern "Publikum". Und als Show hat ja auch alles begonnen: Im 19. Jahrhundert spielten sich die meisten Jahrmarktsattraktionen in Buden ab, die Leute mussten hineingelockt werden. Den Begriff Rekommandeur holten sich die Schausteller vermutlich aus dem Französischen. Klingt charmanter als im Englischen. Auf den amerikanischen fairs heißen die Einheizer barker, kommt von to bark, bellen.

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Zwischen Wau und Wow ist der phonetische Unterschied gering. Und Karussell-Rekommandeure sagen oft Wow.

Die Bretterbühne, auf der die Rekommandeure vor der Bude das Volk auf die Darbietungen drinnen scharfmachten, hieß "Parade". So heißt sie in manchen Geschäften heute noch. Nicht weit entfernt vom High Energy steht eine Bude mit einer klassischen Parade und einem Rekommandeur, wie er anno dazumal vor der Bude stand: Pitts Todeswand. Gerald Heitmann aus Buxtehude, ein Mann mit Tattoo am Arm und Schnurrbart, kündigt jeden Tag vom Vormittag bis in die Nacht Stunts von Motorradakrobaten an. Er war früher selbst einer von ihnen, jetzt ist er Sprachstunt: "Wir beginnen rrrrrrrrrrrechtzeitig." Wie er das R rollt, muss man sich Sorgen machen, ob seine Zunge das Oktoberfest ohne Verletzung durchhält. Für die Auftritte als Rekommandeur nimmt sich Gerald Heitmann Urlaub. Zu Hause arbeitet er inzwischen als Klempner.

Manchmal kommt sogar Denny Strothmann aus seinem Glaskasten heraus auf die Parade und redet auf das flanierende Festvolk ein. Rekommandeure praktizieren eine Art von Werbung, die sich weitgehend überlebt hat. Wo gibt es das schon noch, außer im politischen Wahlkampf, auf dem Schnäppchensektor und auf dem Volksfest, dass die Kundschaft so geistlos und direkt angesprochen wird. Und dass sich keiner fremdschämt für Viagra-Witze, weil die hier so selbstverständlich dazugehören wie niedere Instinkte Betrunkener.

Unterm Fahrtpult liegen Fußpedale für Hall und Echoeffekte, daneben stehen zwei Monitore und das Mischpult. Wäre Denny Strothmann schlecht bei Stimme, ließe sich da einiges machen. Braucht er aber nicht. Die Natur hat ihm einen kräftigen Sprechbariton verliehen, er könnte damit locker auch Bohrmaschinen im Verkaufsfernsehen an den Mann bringen oder den Morgenklamauker im Radio spielen. Oder "Wetten dass . . .?" moderieren. "Nö, die lesen doch alle von Karten ab. Ich mag es spontan. Immer wie es mir gerade einfällt und wie es gerade passt." Angebote von Radiosendern habe er abgelehnt. Er will bei den Schaustellern bleiben.

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Hier lebt er, seit seine Mutter bei einer Schaustellerfamilie zu arbeiten begann, die ihn mitnahm und wie ein eigenes Kind aufzog. Da war er ein Jahr alt. Seitdem ist er auf Achse, wie Willy. Das Rekommandieren fing in der Jugend an. Bei Willy auch. Willy Kaiser hat nicht immer die Laune zum Rekommandieren. Die Last der Verantwortung . . . "Das glaubt ja keiner, was dranhängt an so einem Fahrgeschäft. Weißt du, was das Tanken kostet, wenn wir das Ding von Bonn nach München bewegen? Sechstausend Euro sind da nichts." Willy Kaiser hat acht Lastwagen, wer bei ihm als Rekommandeur anfangen will, braucht einen Zweier-Führerschein.

"Sterben tun wir sowieso, schneller geht's mit Marlboro. Alles klar? Baby! Schubidu." Denny steckt sich eine an. Es ist ziemlich egal, was er labert. Er hat sogar schon vom Einkaufen bei Aldi erzählt. Es darf nur nicht verletzend werden. Und gute Laune muss mitschwingen.

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Danach schlüpfen die Mädels in ihre Schuhe und Denny Strothmann legt von Neuem los. Nach der Fahrt ist vor der Fahrt. Immer wieder.

© SZ vom 28.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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