Lesung "Die Frau mit dem Arm":Kapitel, die schnell auf den Punkt kommen wie ein guter Popsong

Lesezeit: 2 min

"Tiere sind die besseren Menschen", sagt Andreas Dorau (rechts). Sven Regener hat den Satz als Co-Autor des Buches "Die Frau mit dem Arm" dokumentiert. (Foto: Charlotte Goltermann)

Andreas Doraus Leben gibt noch ein zweites Buch her, Sven Regener hat es aufgeschrieben - jetzt gehen die beiden Musiker wieder zusammen auf Tour.

Von Michael Zirnstein

Tiere kommen auch wieder vor. Im ersten Band der als Anekdotensammlung getarnten Künstler-Autobiografie "Ärger mit der Unsterblichkeit" schilderte Andreas Dorau 2015 schon seine Abschlussarbeit an der Münchner Filmhochschule: eine fingierte Quizsendung namens "Schlag Dein Tier". Und für Pressebilder posierte er mit dem geistreichen, gar nicht geisterhaften Ghostwriter des Buches, Sven Regener, mit zwei Kaninchen. Diesmal hält das kongeniale Duo Hund und Henne in die Kamera. "Tiere sind die besseren Menschen", behauptet der schrullige Ich-Erzähler im zweiten Band "Die Frau mit dem Arm" (Galiani). Der ist so etwas wie eine Fortsetzung und erzählt vor allem Doraus lust- wie leidvolles Leben nach der Jahrtausendwende. Also geht es auch um einen Schwan, sein Musical "König der Möwen" und einen weißen Wal.

Als weißen Wal definiert Dorau "ein Stück Pop-Musik, das zum Hit wird, ohne dass die Plattenfirma oder man selbst damit gerechnet hat", quasi ein "Ausrutscher nach oben". "Fred vom Jupiter", sein Königsmacher-Stück von 1981 in der Neuen Deutschen Welle, könnte man so bezeichnen. Allerdings war Dorau damals erst 15, und er schrieb es nicht für eine Plattenfirma sondern in der Projektwoche "Wir machen einen Pop-Song" der Jenfelder Otto-Hahn-Gesamtschule. Ohnehin redet er seinen Beitrag an der Nummer im Gegensatz zu dem der singenden Mitschülerinnen, den Marinas, abermals klein (im Video spreche er nur ein paar Zeilen und zeige seinen Ein-Fuß-links-ein-Fuß-rechts-Tanz). Ganz so putzt sich Dorau fortwährend sympathisch herunter: "Mein Weg ist der des ewig Unbegabten." Das Buch stolpert von einer Katastrophe (als DJ im Club Berghain) ins nächste Desaster (pleite durch Merchandise-Verkauf).

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Das ist umso spaßiger, intellektueller Slapstick sozusagen, da der Pastoren-Sohn ein selbstverhindertes Genie, ein Kreateur kurioser Anti-Kunst ist und eben doch ab und an einen weißen Wal an Land zieht. Etwa mit einem Schwan als Köder. Da stolperte er nämlich mal über eine Münchner Zeitungsmeldung, derzufolge ein Mann am Isar-Flaucher 2008 einen Ostdeutschen mit einem lebenden Wasservogel verprügelt habe. Absurd genug für einen Dorau-Song. Als später aber just jener verurteilte Tier- und Menschenfeind als "Der Bachelor" in der RTL-Kuppel-Show bekannt wurde und seine Vorstrafen herauskamen, wurden sämtliche Medienberichte dazu mit Doraus "Lied gegen Fremdenhass und Tierquälerei" unterlegt: "Ossi mit Schwan" wurde ein Hit.

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Das Lied mutet an wie ein vertonter Zeitungsbericht, viel ausführlicher als Doraus übliche musikalische Erzählweise - was zu seinem "eigentlichen Lebensthema" führt: dem Refrain. Er verachtet nicht nur Gitarren - und Liebeslieder, sondern generell Strophen, Intermezzi und derartigen Balast. Insofern war es geschickt, den Kollegen Sven Regener wieder mit an Bord zu holen: Der versteht als Musiker (mit Element of Crime stellt Regener das neue Album "Morgens um vier" am 23. September in der Isarphilharmonie vor) nicht nur Doraus lebenslanges Leid mit der Musikindustrie (erster Video-Consultant eines Labels, Musical-Schreiber, Kinderlied-Performer, DJ). Als Schriftsteller kann er es auch so herrlich hanseatisch erzählen wie seine Herr-Lehmann-&-Co.-Romane - die einzelnen Kapitel kommen dabei schnell auf den Punkt wie ein guter Popsong.

Die beiden ergänzen sich aber auch bei Lesungen perfekt. Regener lese ja "alles weg, was nicht bei drei auf dem Baum ist", lobt Dorau im Vorwort, während er selbst nah am Blackout gebaut sei und zwar über ein durchsetzungsstarkes, aber eben eher "enervierendes Organ" verfüge. Genau dies übrigens brachte eine Redakteurin des BR dazu, Dorau für das Hörspiel "Adornos Traumprotokolle" zu engagieren, weil seine Stimme der Adornos ähneln würde. Natürlich endete es in einem Debakel an Verhasplern, "wie eine Massenkarambolage auf der Autobahn". Um sich seine Restwürde zu bewahren, machen sie es wie damals: Regener liest, Dorau spielt Videos und Musik ab und "zeigt Dinge" aus seinem Leben. Dinge, keine Tiere.

Andreas Dorau und Sven Regener, Do., 16. März, 20 Uhr, München, Amerikahaus

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