München steht derzeit gefühlt im Mittelpunkt der Welt. Berichte über das Oktoberfest dominieren wie jedes Jahr wochenlang die Medienlandschaft. Trotz einer investigativen Bandbreite von der Sicherheit der Fahrgeschäfte bis zum Bio-Hendltest kann nicht geleugnet werden, dass München hier außerhalb doch eher eindimensional wahrgenommen wird, nämlich als Rummelplatz zwischen Masskrug und Lederhose. Migrantische Kultur kommt eher nur bei "Sierra Madre", neuseeländischen Trinkspielen oder "Griechischer Wein" vor.
Newsletter abonnieren:München heute
Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.
Dieses Bild soll unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters seit 1997 das vom Kulturreferat ausgerichtete "Ander Art Festival" ergänzen. Ursprünglich sollte es als "Ausländer-Fest" zeigen, wie die Bürger mit anderen Heimaten ihre Kultur in die Stadt einbringen. Das führte zunächst aber dazu, dass immer die gleichen Folkloregruppen auf dem Festival musizierten und vortanzten. Längst aber ist "Andert Art" auf dem Odeonsplatz mitten in der Stadt ein Aushängeschild der Weltoffenheit mit Zigtausenden Besuchern, mit einem überraschenden Programm, sub-, sozio- und multikulturell - und durchaus mit Vorbildfunktion für die Wiesn.
Das fängt schon beim Müll an. Während auf dem Oktoberfest alles am Ende in einer Tonne landet, gibt "Ander Art" das Motto "Zero Waste" aus. Es wird getrennt, auf Recycling-Papier gedruckt, die Scheinwerfer sind verbrauchsarm, und eine Community Kitchen bietet "verpackungsfreie Speisen aus geretteten Lebensmitteln" an. Dazu passt sogar die Hauptattraktion um 21 Uhr auf der Bühne mit ihrer Philosophie, dass "alles zurückgewonnen und wiederbelebt werden kann": Fulu Miziki heißt übersetzt "Musik aus Müll", denn die Mitglieder aus Kinshasa stellen ihre Instrumente "mit unerhörten Klängen" aus weggeworfenen Materialien her. Damit erzählen sie vom Weltfrieden und von der ökologischen Notlage daheim in der Demokratischen Republik Kongo. Aber pädagogisch sind ihre Konzerte nicht, stattdessen ist ihr vom Soukous inspirierter "Eco-friendly-Afro-futuristic-Electro-Punk" zum Tanzen da: "Shake Your Ass Off!"
Außer den Musikern aus Kinshasa sind auch Künstler aus dem multikulturellen Berlin zu Gast: Jamila Al-Jousef und ihre Band The Other Heroes nennen sich eine "Wilde Meute von Vielerorts", als "Menschen mit postmigrantischen Familiengeschichten in Syrien, Palästina, Italien und Kolumbien" wollen sie in ihrem Wüsten-Funk "Heimat und zugleich Wanderschaft" anklingen lassen und gegen Rassismus, Sexismus und Diskriminierung kämpfen (19.45 Uhr).
Viel Raum gibt es auch für Gruppen aus München - mit weitverzweigten Klang-Ahnenlinien. Die Percussionband Maracatu Munique hat beste Verbindungen nach Nord-Brasilien und spielt den dortigen Pernambuco mit funkigen Rhythmen, tiefen Trommeln und kraftvollen Gesängen (12 Uhr). Seda ist die Münchner Soul-Hoffnung mit klassisch ausgebildeter Stimme, mit Studium am Berklee College und mit türkischen Wurzeln - samt Band sieht sie sich als Repräsentantin der nicht-binären Community (15.15 Uhr). Die 5Elements sind weit mehr als fünf, vielmehr sind sie ein variables Hip-Hop-Kollektiv aus Rappern, Beat-Bastlern, Tänzern und Graffiti-Sprühern wie Boshi San, Gündalein und Rilla, mit Live-Band bringen sie fast 20 Akteurinnen und Akteure auf die Bühne (18.30 Uhr).
Den Nouwell Cousines und ihren Spielpartnern des Munich Anatolian Project um den moldawischen Akkordeonisten Vlasdilav Cojocaru kommt eine Doppelrolle zu: Als Vertreter der Volksmusik- und Kabarett-Familie Well ( Biermösl Blosn) könnten sie auch wie heuer die Wellbuam im Herzkasperlzelt auf der Wiesn spielen. Bei "Ander Art" werden sie nach ihrem Konzert (13.15 Uhr) fünf Mal einen "Musikant*innenstammtisch" ankurbeln: 15 Minuten lang wird gejammt, spontane Mitspieler aus dem Publikum sind auf der Bühne willkommen.
Mitmachen ist ohnehin erwünscht, auch in den Aktionszelten mit dem Drei-Minuten-Zeichner Morgan Randall, dem Quiz im Lesebus der Stadtbibliothek (Schwerpunkt: "Zero Waste"), dem Fotografen Arif Abdullah Haidary und der Button-Werkstatt des multikulturellen Jugendzentrums im Westend. Und ganz besonders beim Go Sing Choir (16.30 Uhr): Zum fünften Mal bei "Ander Art" bilden Jens Junker und Ian Chapman aus Hunderten Zuschauern einen spontanen Chor und studieren zwei Stunden lang mehrstimmig einen Pop-Song ein, der dann für Youtube gefilmt wird. Diesmal nehmen sie sich Tina Turners "We don't need another hero" vor, das klingt am Ende sicher famoser als jeder Wiesn-Hit aus den betrunkenen Kehlen in den Bierzelten.
"Ander Art" Festival, Sa., 23. Sep., 12 bis 22 Uhr, München, Odeonsplatz, bei jedem Wetter, Eintritt frei