München:Im Glauben entzweit

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Zwischen Russland und der Ukraine ist ein Streit der orthodoxen Theologen entbrannt. Das spürt man auch an der Isar, ohne dass es zu Spannungen kommt. Doch fremd waren sich die ukrainische und die russische Gemeinde schon seit Längerem

Von Jerzy Sobotta

Zwei kleine orthodoxe Kirchen gibt es in der Siedlung Ludwigsfeld am nördlichen Stadtrand von München: die eine ukrainisch, die andere russisch-orthodox. Eigentlich trennt sie nur eine kleine Wiese voneinander. Trotzdem könnte die Distanz zwischen den Geistlichen kaum größer sein. Im Herbst hat sich die orthodoxe Christenheit über die religiöse Autonomie der ukrainischen Landeskirche zerstritten. Diese Entwicklung hat die ohnehin vorhandene Entfremdung noch verstärkt.

Differenzen gibt es nicht erst seit dem vergangenen Jahr. "Das Verhältnis zwischen uns war schon immer eisig", sagt Valentin Smoktunowicz. Er ist Pfarrer in der ukrainisch-orthodoxen Kirche an der Granatstraße, die man von außen für ein schlichtes Einfamilienhaus halten könnte. Erst im Innern sieht man den matten Widerschein des Sakralen: Die Wände erstrahlen in schwerem Gold, auf den Gemälden blicken die Heiligen verloren ins Jenseits. Der Gekreuzigte hängt an einem großen Kruzifix, das bis unter die Decke reicht. Smoktunowicz macht einen alten Gasheizer an, der mitten im Raum steht. Sonst wird hier nur am Sonntag geheizt, wenn der Gottesdienst stattfindet.

Valentin Smoktunowicz ist Priester in der ukrainisch-orthodoxen Kirche an der Granatstraße. (Foto: Stephan Rumpf)

Zu seinen russischen Nachbarn habe er keinen Kontakt, berichtet der 56-Jährige. Dabei sind es nur einige Schritte durch den Garten. Dort steht an der Achatstraße zwischen großen Tannen die Kirche des heiligen Erzengels Michael. Auf ihrem Dach steht eine kleine Kuppel in Zwiebelform, gebaut nach nordrussischer Tradition. Seit den Sechzigerjahren stehen die beiden Kirchen dort. Die russisch-orthodoxe gleich neben der ukrainisch-orthodoxen. Ihre Geschichten ähneln sich, und doch fremdeln die beiden Gemeinden in Ludwigsfeld miteinander.

Die einen beten auf Ukrainisch, die anderen auf Russisch. Dass die Nachbarn so sehr ihre Nationalität betonen, versteht Ivan Pravez nicht. Er ist der Kirchenälteste in der russisch-orthodoxen Kirche nebenan. "Was zählt, ist der Glaube und die Treue zu den kirchlichen Dogmen. Nationalität spielt bei uns keine Rolle", sagt er. Wie viele Ukrainer zu den russischen Gottesdiensten kommen, weiß er nicht. Das sei ohnehin schwierig zu sagen. Denn viele ehemalige Sowjetbürger verstehen sich nicht als Ukrainer, selbst wenn sie auf dem Territorium der heutigen Ukraine geboren wurden. Sie sprechen Russisch, und wenn sie überhaupt gläubig sind, dann beten sie auch auf Russisch. "Wir fragen nicht, wo jemand herkommt", sagt Pravez.

Die russisch-orthodoxe Gemeinde hat sich ihre Kirche an der Achatstraße in der Siedlung Ludwigsfeld gebaut. (Foto: Toni Heigl)

Ausgetragen wird der jüngste Konflikt der orthodoxen Kirche nicht in München, sondern im fernen Moskau, in Kiew und in Istanbul, wo das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie residiert. Der dortige Patriarch hatte die Gründung einer orthodoxen ukrainischen Kirche unterstützt und Anfang Januar endgültig für eigenständig erklärt - "autokephal", wie die Theologen sagen. Darüber war es zum Bruch zwischen den Patriarchen gekommen.

Unmittelbare Folgen hat der Streit vor allem für die Ukrainer, etwa 130 000 leben in Deutschland. In München sind es fast 7000, keine riesige Zahl. Trotzdem stellt München für die Ukrainer eine Art Exilhauptstadt dar. Die Ukrainische Freie Universität steht an der Isar, seit die Stadt nach 1945 zum Zentrum von ukrainischen Exilanten, Partisanen und anti-sowjetischen Untergrundkämpfern geworden ist. Hier befindet sich auch das Grab ihres umstrittenen Anführers Stephan Bandera.

Heute spielt sich das kulturelle Leben der Münchner Ukrainer vor allem an der Schönstraße in Untergiesing ab, wo das ukrainische Gemeindezentrum samt der Kathedrale Maria Schutz und St. Andreas steht. Mit gut 3000 Mitgliedern ist es das größte in Deutschland, Treffpunkt für Jugendgruppen, Pfadfinder, Studenten und Kulturvereine.

Will man verstehen, welche Bedeutung das Zerwürfnis der Theologen für die Ukrainer in München hat, muss man alle drei Kirchen besuchen: die beiden in Ludwigsfeld und die in der Schönstraße. Denn die Ukraine ist ein religiöser Flickenteppich, gewoben im Lauf der bewegten Geschichte dieses Landes. Das sieht man auch in München: Ein Teil der Ukrainer ist russisch-orthodox und betet in russischen Kirchen, deren Oberhaupt in Moskau sitzt. Andere fahren nach Ludwigsfeld in die unscheinbare ukrainisch-orthodoxe Kirche von Valentin Smoktunowicz, der auf Ukrainisch betet.

"Die Menschen hier bewegt, was in der Ukraine passiert", sagt Pfarrer Vladimir Viitovitch. (Foto: Robert Haas)

Eine dritte Gruppe besucht die Messe an der Schönstraße. Konfessionell gehört diese Gemeinde aber weder zu Konstantinopel, noch zu Kiew oder Moskau - sondern zu Rom. Die Glaubensrichtung nennt sich "griechisch-katholisch" und ist eine Besonderheit aus der Westukraine. Auch sie ist ein Produkt der Geopolitik und des ewigen Tauziehens zwischen Ost und West. Vor mehr als 400 Jahren geriet der westliche Teil der heutigen Ukraine unter die Herrschaft des polnischen Adels. Die Polen ließen der Bevölkerung zwar ihre orthodoxen Rituale, machten zum geistlichen Oberhaupt der dortigen Kirche aber den Papst in Rom. Der ist es bis heute.

In den jüngsten Streit der Patriarchen ist das ukrainische Gemeindezentrum also nicht verwickelt. Neutraler Boden ist die Schönstraße aber trotzdem nicht, erzählt Pfarrer Vladimir Viitovitch. "Bei uns in der Gemeinde ", sagt er und hält kurz inne, "herrscht eine russlandkritische Haltung". Daher begrüßt er die Unabhängigkeit der neuen orthodoxen ukrainischen Kirche und hofft, dass auch der römische Papst ihr wohlgesonnen sein wird. "Die Menschen hier bewegt, was in der Ukraine passiert", sagt Vladimir Viitovitch. Als die Revolution auf dem Maidan-Platz in Kiew tobte, habe man in München Veranstaltungen organisiert, diskutiert und den Umsturz unterstützt. Später dann Spenden gesammelt, für die Soldaten an der Front.

Die katholischen Ukrainer nach byzantinischem Ritus sind in der Kirche Maria Schutz und St. Andreas zu Hause. (Foto: Robert Haas)

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt auch Kateryna Proskura, die häufig das Gemeindezentrum an der Schönstraße besucht. Dort trifft sich der Bund Ukrainischer Studenten, dessen Vorsitzende die 34-Jährige ist. Sie ist in Kiew aufgewachsen und nach einem Jurastudium vor sieben Jahren nach Deutschland gekommen. Ihr ist die Sprache wichtiger als die Religion. Früher sei es ihr egal gewesen, ob jemand Russisch oder Ukrainisch spricht. Der Krieg jedoch habe das verändert. Jetzt achte sie darauf, dass im Studentenverein die ukrainische Sprache gepflegt wird. Zur Kirche gehe etwa die Hälfte der Mitglieder regelmäßig. "Die Religion ist den jungen Leuten in der Ukraine nicht so wichtig. Aber das Leben im Ausland ist nicht immer einfach, da suchen viele Studenten psychischen Beistand in einer Kirche", sagt Proskura. Dadurch sei der Glaube in der Emigration auch stärker als zu Hause. Aber es gehe vor allem um die Gemeinschaft mit den Landsleuten, nicht um Theologie.

Gemeinschaft haben die beiden Kirchengemeinden am nördlichen Stadtrand in Ludwigsfeld nie miteinander empfunden, obwohl sie auf eine ähnliche Geschichte zurückblicken. Das Stück Erde, auf dem heute Tannen stehen und die beiden Kirchen errichtet wurden, war für die damaligen Bewohner ein besonderer Ort: Erst war es ihre Hölle, danach ihre Heimat.

Während des Zweiten Weltkrieges befand sich dort das Außenlager Allach des Konzentrationslagers Dachau. Interniert waren Zehntausende Zwangsarbeiter aus der damaligen Sowjetunion, die in den nahegelegenen BMW-Werken schuften mussten, darunter viele Russen und Ukrainer. Nachdem die Amerikaner das Lager befreit hatten, bauten sie einige Jahre später an die gleiche Stelle die Siedlung Ludwigsfeld. Für all jene, die nach den Kriegswirren nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten. Unter ihnen waren auch Bischöfe und Dutzende orthodoxe Geistliche, die schon in den Lagern eigene Kirchen gegründet hatten. Eine Rückkehr in die Sowjetunion erschien ihnen unmöglich, unter Stalin drohte ihnen Verfolgung bis hin zum Tod. Diese Menschen, denen die Rückkehr in die Heimat verwehrt war, bildeten in München die russisch-orthodoxe und die ukrainisch-orthodoxe Gemeinde. Etwa 300 ehemalige Zwangsarbeiter aus dem Osten blieben in Ludwigsfeld. Schon damals hatten sich die Wege der russischen und ukrainischen Geistlichen geschieden: Die einen pflegten ihr Brauchtum auf Russisch. Die anderen hielten an dem Gedanken des ukrainischen Nationalismus' fest, der noch vor dem Krieg seine Blütezeit erlebt hatte. "Wir waren immer die Kirche der Liebe zum Vaterland", sagt Valentin Smoktunowicz. "Jetzt ist in der Ukraine eine anerkannte Landeskirche entstanden. Das ist das Ziel, wofür wir seit über 100 Jahren gekämpft haben." Es ist auch dieses Ziel, das die Gemeinde von den Nachbarn trennt.

Denn dort lehnt man die Unabhängigkeit der neuen ukrainischen Landeskirche strikt ab. "Wir sind dagegen, dass Kirche und Politik miteinander vermischt werden", sagt Ivan Pravez und sieht in der jüngsten Entwicklung eine Politisierung des Glaubens, die von den Dogmen weg führe. Die Trennung sei künstlich. Ein anderer russisch-orthodoxer Pfarrer sagt, der Patriarch von Konstantinopel sei vor dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko und vor den USA eingeknickt. Theologisch habe er nicht das Recht, sich einzumischen. "Wir bemühen uns, dass die Unruhe der Geistlichen nicht zur Sorge der Gemeinde wird", sagt er.

Die religiösen Spannungen, die mit der Ukraine-Frage einhergehen, nehmen also zu, die politischen sowieso. Welche Folgen hat der Kirchenstreit da auf die orthodoxen Gemeinden in München? "Keine großen." Diese Einschätzung überrascht, doch darin sind sich die Geistlichen in allen drei Kirchen einig: "Wer zu uns kommt, ist ohnehin gegen die Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche", heißt es in der russisch-orthodoxen Gemeinde. In der ukrainisch-orthodoxen Kirche waren die Mitglieder schon immer für die Unabhängigkeit. Und in der Schönstraße? Dort hätten sich die Menschen schon vor fünf Jahren für eine der Seiten entschieden. "Als die ersten Schüsse in der Ukraine gefallen sind", sagt Vladimir Viitovitch.

Offenen Streit wird es unter den orthodoxen Münchnern, deren Wurzeln in der früheren Sowjetunion liegen, keinen geben, denn die Differenzen sind nicht neu. Man bleibt sich weiter fremd, fremder vielleicht als je zuvor. Denn die Geschichte, die zwischen den beiden Nachbarn in Ludwigsfeld steht, ist größer als die kleine Wiese vor ihren Kirchen.

© SZ vom 16.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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