USA:Niemand ist eine Insel

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US-Präsident Joe Biden: Es geht um seine Glaubwürdigkeit. (Foto: TOM BRENNER/REUTERS)

Präsident Biden wird in zwei Konflikte hineingezogen - Haiti und Cyberkriege. Wenn er sich wegduckt, muss Washington um seine Glaubwürdigkeit fürchten.

Von Stefan Kornelius

Joe Biden steht nach nicht mal einem halben Jahr im Amt vor der Entscheidung, die jeden Präsidenten früher oder später einholt: Was ist er gewillt zu tun, um den Willen der USA in der Welt durchzusetzen? Die Antwort fällt Biden besonders schwer, weil er der Meinung ist, dass die Mehrheit der Amerikaner mit der Welt überhaupt nichts zu tun haben will.

Die Welt ist freilich anderer Ansicht. Krisen nehmen keine Rücksicht auf die inneren Befindlichkeiten, und so wurde der Präsident in den letzten Tagen in gleich zwei Händel verstrickt, die Amerikas Sicherheit bedrohen - und vor denen sich das Land schlicht nicht wegducken kann.

Haiti ist Krise Nummer eins - und ein eigentlich beherrschbares Problem. Die Ermordung von Präsident Jovenel Moïse hat das Land in den freien Fall geschickt. Es ist mehr als verständlich, dass sich die moderaten Kräfte nun nach US-Hilfe sehnen, konkret: nach Soldaten, die mit ihrer schieren Präsenz Anarchie abwenden, so wie sie es nach dem Erdbeben 2010 getan haben. Dass Biden hier Hilfe zunächst verweigert hat, ist kurzsichtig. Neben einer Million Haitianer auf US-Boden warten unzählige mehr auf ein Zeichen, dass Washington dem Zerfall vor der eigenen Haustür nicht einfach nur zuschaut. Dabei ist Haiti nur das offensichtlichste Problem einer Nachbarschaft, die despektierlich als Hinterhof bezeichnet wird. Die Wahrheit ist: Selbst der Hinterhof gehört zum Grundstück, wie Tausende Migranten wöchentlich bestätigen werden.

Ein Gegenschlag ist aus vielerlei Gründen riskant

Krise Nummer zwei muss den Präsidenten noch mehr sorgen, weil es hier um seine Glaubwürdigkeit geht. Es gab nicht wenige Experten, die Biden von einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin abgeraten haben. Nun aber haben die beiden gesprochen, und Biden wurde mit der Drohung zitiert, dass er weitere Cyberangriffe russischen Ursprungs nicht länger unbeantwortet lassen würde.

Vor einer Woche gab es allerdings wieder einen Angriff, noch größer und gefährlicher als die vorherigen, die sich gegen eine Pipeline, Schlachtfabriken und Krankenhäuser gerichtet hatten. Biden hat Putin am Freitag eine Antwort angekündigt, und man kann davon ausgehen, dass es sowohl einen klandestinen Angriff auf entweder die russischen Hackergruppen oder gar staatliche Einrichtungen geben wird als auch einen öffentlich sichtbaren Gegenschlag der USA.

Das ist aus vielerlei Gründen riskant, nicht nur weil die Urheberschaft von Cyberattacken schwer zu beweisen ist. Genauso wenig ist das Ende dieser nicht ungefährlichen Eskalation abzusehen. Im Kalten Krieg waren die Folgen eines nuklearen Gefechts absehbar, deswegen wurde es nie geführt. Im Zeitalter der Cyberattacken wurde indes noch nicht getestet, wie viele Dialysepatienten sterben müssen, wenn ihre Geräte durch einen Hackerangriff lahmgelegt werden.

Biden wird also in einen Konflikt hineingezogen, der ihn auf jenes rutschige Terrain führt, das Putin so liebt: das Schattengeschäft, den hybriden Krieg, die Gerüchtewelt. Und dennoch werden die USA die Angriffe nicht unbeantwortet lassen können, die längst den Status einer Provokation verlassen haben.

Biden ist also schneller in der Welt von Staatszerfall und Cyberkrieg angekommen, als ihm lieb sein dürfte. Er muss nun dringend seinen Wählern die Vorstellung nehmen, dass die USA eine Insel sind, unberührt von den Konflikten der Welt. Diese Insel gibt es nicht.

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