Großbritannien:Boris Johnson geht, seine Politik bleibt

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Noch zweieinhalb Wochen, dann weiß man's: Entweder Liz Truss oder Rishi Sunak darf in Downing Street No. 10 einziehen. (Foto: JACOB KING/AFP)

Egal, ob Liz Truss seine Nachfolge antritt oder doch noch Rishi Sunak: London wird auch künftig von Ideologie getrieben sein.

Kommentar von Alexander Mühlauer

Seit dem Rückzug von Boris Johnson gibt es in Paris, Brüssel und Berlin die Hoffnung, dass eines doch wieder möglich sein sollte: ein entspannteres Verhältnis mit Großbritannien. Natürlich nicht so eng wie damals in der EU, aber durchaus freundschaftlich, und im besten Sinne pragmatisch. Das würde allerdings voraussetzen, dass sich Johnsons Nachfolgerin oder Nachfolger nicht mehr so stark von der Brexit-Ideologie leiten lässt. Doch wie es aussieht, ist eher das Gegenteil zu erwarten.

Der Wettstreit zwischen Außenministerin Liz Truss und dem früheren Schatzkanzler Rishi Sunak ist geradezu ein Fest für Ideologinnen und Nostalgiker. Kaum ein Tag vergeht, an dem die beiden Möchtegernpremiers nicht die Vorzüge des britischen EU-Austritts preisen. Bei den Parteimitgliedern, die über Johnsons Nachfolge entscheiden, kommt das wahnsinnig gut an. Der Brexit ist und bleibt der politische Kitt, der die Tories zusammenhält. Bei keinem anderen Thema herrscht so viel Einigkeit.

Kein Wunder also, dass Truss laut Umfragen die besten Chancen hat, Parteichefin und Premierministerin zu werden. Anders als Sunak war sie schon in Johnsons Kabinett eine derjenigen, die für einen harten Kurs gegenüber Brüssel eintraten. Und auch jetzt lässt sie keinen Zweifel daran, dass sie gewillt ist, den Brexit-Streit mit der EU weiter auf die Spitze zu treiben. In Sachen Nordirland will Truss jedenfalls jenes Gesetzesvorhaben Johnsons durchsetzen, mit dem London den Brexit-Vertrag mit der EU aushebeln könnte. Sunak sagt zwar, das werde er auch tun, aber Truss wirkt in dieser Frage einfach glaubwürdiger.

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Die Konsequenzen des EU-Austritts werden die Amtszeit des nächsten Premiers ebenso bestimmen wie die Folgen der Pandemie und des russischen Überfalls auf die Ukraine. Das drängendste Problem ist die cost of living crisis. Wie überall in Europa sind auch in Großbritannien die Lebenshaltungskosten stark gestiegen. Mit 10,1 Prozent liegt die Inflationsrate allerdings deutlich höher als in Deutschland oder Frankreich. Für den Herbst erwartet die Bank of England einen weiteren Anstieg auf 13 Prozent.

Steuern runter, Steuern runter, Steuern runter

Als Rezept gegen die drohende Wirtschaftskrise haben Truss und Sunak Steuersenkungen ausgemacht. Das ist verständlich, weil es unter Tories wenig Populäreres gibt. Das Versprechen eines schlanken Staates, der alles dafür tut, damit sich Bürger und Unternehmen frei entfalten können, ist seit Margaret Thatcher Kern konservativer Wirtschaftspolitik.

Truss, die sich als eine Art Wiedergeburt der Eisernen Lady inszeniert, verspricht deshalb sofortige Steuersenkungen. Ihr Kalkül: Haben die Bürger mehr Geld zur Verfügung, geben sie es aus und kurbeln damit das Wachstum an. Das Problem ist nur: Je stärker die Nachfrage nach Konsumgütern wächst, desto stärker steigen auch die Preise - die Inflation würde weiter angefacht. Genau davor warnt Sunak, er hält Steuersenkungen erst für sinnvoll, wenn die Wirtschaft wieder wächst. Ein pragmatischer Ansatz, der unter den Tories aber offenbar nicht mehrheitsfähig ist.

Nun, bis zur Entscheidung über Johnsons Nachfolge am 5. September kann noch viel passieren. Aber Stand jetzt ist Truss die klare Favoritin. Schon möglich, dass sie sich im Amt weniger von Ideologie leiten lässt und stattdessen pragmatisch handelt. Allzu große Hoffnungen sollte man sich jedoch nicht machen.

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