Elizabeth II.:Im Sog der Trauer

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London am 19. September: Die Sargträger tragen den in die königliche Standarte gehüllten Sarg von Königin Elizabeth II. mit der Krone, dem Reichsapfel und dem Zepter. (Foto: Jane Barlow/dpa)

Großbritannien entfaltet zur Beerdigung der Königin noch einmal alle Facetten seiner "sanften Macht". Die Zeremonie bedient Fantasien, die der Erzbischof glücklicherweise zurechtstutzt.

Kommentar von Stefan Kornelius

Kollektive Trauer hat eine einende und gleichmacherische Kraft. Sie schafft Gemeinschaft, das Gefühl der Zugehörigkeit, auch der Geborgenheit, sie hilft bei der Einordnung in die Gruppe, die man Staatsvolk nennt. Religion und Politik würden nicht funktionieren ohne die Psychologie von Massen. Selten sind dieser Gruppeneffekt, diese Gemeinschaftstrauer so wirkungsstark zu beobachten gewesen wie nun bei Gottesdienst, Prozession und Grablegung der verstorbenen britischen Königin. Womöglich wird man das ein Menschenleben lang nicht mehr erleben.

Es ist bezeichnend, dass sich trotz aller republikanischen Distanz zu den behelmten, befellten, buntuniformierten und polierten Sargträgern und Prozessionsläufern Menschen in aller Welt der Sogkraft der Zeremonie nicht entziehen können. Die Rituale der britischen Monarchie bedienen ein tief sitzendes Bedürfnis nach Geborgenheit und Zugehörigkeit - in Freud und Leid, bei Vermählungen und im Tod.

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Vom Tag der Krönung - und Salbung - Elizabeths bis zu ihrem Tod folgt die konstitutionelle Monarchie diesem Geist der Überhöhung, ja der Entmenschlichung. Die Monarchin war die Bewahrerin des Glaubens, im anglikanischen Religionsverständnis also den Gläubigen vorangestellt. Das ist ein enormer Auftrag für eine Person, zumal wenn ihre Verwandtschaft das Leben in allen schicklichen und unschicklichen Varianten auskostet. Deswegen hilft der Pomp der Trauerfeier bei der Aufladung der Institution mit all dem mystischen Gewölk, das am Ende die Monarchie schwer antastbar macht, selbst die konstitutionelle.

Die Bedeutung von "soft power"

Republikanische Geister in Großbritannien haben die Monarchie - wenn schon - als Fantasiegebilde akzeptiert, das den Massen Halt und Orientierung gibt, während die wenigen Auserwählten im Namen der Demokratie und ordentlich gewählt schalten und walten können. Dieses elitistische Machtverständnis schwindet immer mehr, gerade in Zeiten des hemmungslosen Populismus, den dann selbst die gutmeinende Monarchin im eigenen Land nicht ausgleichen konnte.

Dennoch demonstrierte das britische Staatsmodell mit der konstitutionellen Monarchie und gerade dieser Königin an der Spitze die Bedeutung von soft power, der sanften Wirkmacht eines Staates, die sich aus seiner Vorbildrolle, aus seiner Fähigkeit zum Zuhören, aus einer defensiven Autorität ergibt. Für Elizabeth war das die Lebensaufgabe - viel mehr als zuzuhören war ihr nicht gegeben. 70 Jahre lang hat sie in diesem Sinne gedient.

Dass sich nun über einhundert Staatspräsidenten, Könige und Potentaten aus aller Welt in diese Trauermenge einreihen, nährt die Fantasie einer im Gedenken vereinten und vernunftgesteuerten Weltgemeinschaft. Freilich wird die Generalversammlung der Vereinten Nationen am nächsten Tag zeigen, wie schnell dieser Gemeinschaftsgeist am Kirchenportal entflogen ist.

Gut wenigstens, dass der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, der Versammlung ein paar bohrende Worte mitgab. Für alle, die im Orgelgetöse von Westminister den eigenen Nachruhm bedacht und ihre Lebensleistung an jener von Elizabeth gemessen haben sollten, erging der christliche Ratschlag, dass es Bescheidenheit, Demut und Dienstbereitschaft waren, die am Ende über die Sympathie der Menschen entschieden haben: "Wer dient, wird geliebt und in Erinnerung bleiben, während diejenigen, die sich an Macht und Privilegien klammern, längst vergessen sind."

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