Profil:Großajatollah Ali al-Sistani

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Der 90 Jahre alte Großajatollah Sayyed Ali al-Husseini al-Sistani gilt als der wichtigste schiitische Geistliche im Irak. (Foto: AFP)

Schiitischer Geistlicher und wichtiger Gesprächspartner von Papst Franziskus.

Von Paul-Anton Krüger

Der wichtigste Gesprächspartner von Papst Franziskus im interreligiösen Dialog bei seiner Reise durch den Irak ist zweifellos Sayyed Ali al-Husseini al-Sistani. Der 90 Jahre alte Großajatollah mit Sitz in der heiligen Stadt Nadschaf gilt als der wichtigste schiitische Geistliche im Zweistromland, wenn nicht weltweit - und als graue Eminenz der irakischen Politik. Gibt es im sunnitischen Islam weithin anerkannte Autoritäten wie den Großscheich der Azhar-Universität in Kairo, den Franziskus mehrmals getroffen hat, definiert sich die Stellung schiitischer Rechtsgelehrter informell: Anerkennung durch andere Gelehrte, Studenten und Anhänger ist dafür wesentlich.

Sistani wurde in der heiligen Stadt Maschhad in Iran in eine bekannte Kleriker-Familie hineingeboren, die ihre Abstammung auf Hussein zurückführt, den von den Schiiten als dritten Imam verehrten Enkel des Propheten Mohammed. Laut seiner offiziellen Biografie begann Sistani mit fünf Jahren den Koran zu studieren, durchlief dann die ersten Stufen seiner Ausbildung an einer Hawza, einer Religionshochschule in Ghom, dem Zentrum des schiitischen Klerus in Iran. Gelehrt werden dort Methoden und Prinzipien zur Auslegung des islamischen Rechts; bis zur Befähigung zur eigenständigen Rechtsfindung, Idschtihad genannt, vergehen in der Regel mindestens zehn Jahre.

Mit Anfang 20 wechselte Sistani als Schüler des einflussreichen Großajatollahs Abu al-Qasim al-Khoei nach Nadschaf im Irak, beerbte ihn nach dessen Tod 1992 als Leiter seines Seminars und Mardscha - das ist der höchste Rang eines Religionsgelehrten bei den Zwölfer-Schiiten, dem größten Zweig innerhalb des Schiitentums. Sinngemäß bedeutet der Begriff "Quelle der Nachahmung". Schiitische Muslime richten sich in religiösen Fragen, die bis in Details des Alltagslebens reichen, nach einem von ihnen erwählten Mardscha. Sistani antwortet seinen Anhängern in sieben Sprachen im Internet: Ob die Nutzung von alkoholhaltigem Parfum erlaubt ist, bringen sie in Erfahrung sowie Regeln für Bekleidung, Gebet oder sozialen Umgang.

Unter Saddam Hussein saß er viele Jahre im Hausarrest

Komplizierter wird es, wenn es um Politik geht. Entwickelte Großajatollah Ruhollah Chomeini in Nadschaf 1970 das Prinzip der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten, das er später in Iran im theokratischen System der Islamischen Republik umsetzte, galt Sistani lange als Vertreter der quietistischen Denkschule. Ihre Anhänger in Nadschaf lehnen eine Regierung durch den Klerus ab, teils jegliche politische Betätigung - und bilden damit bis heute den Gegenpol zum Einfluss und Machtanspruch Irans.

Sistani, der unter Saddam Hussein viele Jahre im Hausarrest saß, gab 2003 seine Zurückhaltung auf: Nach der US-Invasion und dem Sturz des Diktators äußerte er sich in Fatwas, religiösen Rechtsgutachten, wie die politische Ordnung des Irak gestaltet sein müsse. Er wandte sich immer wieder gegen den Konfessionalismus, der in Irak schlimmes Blutvergießen zwischen Schiiten und Sunniten zur Folge hatte, und setzt sich für eine Verständigung der Religionen ein. 2014 rief er zum Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Zur politischen Lage nimmt er selektiv Stellung. Seine Verdikte aber, oft allgemein formuliert, die dennoch jeder Iraker versteht, können in Bagdad Regierungen zu Fall bringen.

Dabei scheut Sistani - ähnlich wie der Papst - die Insignien der Macht. Er meidet öffentliche Auftritte; seine Freitagspredigten verlesen Beauftragte. Selten verlässt er sein bescheidenes Mietshaus in einer Seitengasse nahe der goldglänzenden Imam-Ali-Moschee. Dort wird sein einflussreicher erstgeborener Sohn, Mohammed Ridha, selbst Ajatollah, den Papst am Samstag an der Tür empfangen und zu einem auf 40 Minuten angesetzten Gespräch führen. Mit Spannung wird erwartet, ob die beiden Religionsführer eine gemeinsame Erklärung abgeben - das liege "in Gottes Hand", heißt es aus dem Vatikan.

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