Nicaragua:Aus der Traum

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Der nicaraguanische General außer Dienst Hugo Torres Jiménez posiert im Jahr 2018 in seiner Wohnung in Managua. Nicht hier starb er nun, sondern im Gefängnis, in das ihn seine einstigen Mitstreiter gesperrt hatten. (Foto: Moises Castillo/dpa)

Nicaragua stand in den Achtzigerjahren für die Hoffnung auf eine gerechtere Welt. Heute hat sich das Land in eine Diktatur verwandelt: Gegner werden verfolgt, Tausende sind auf der Flucht.

Kommentar von Christoph Gurk

Wahrscheinlich gibt es kein traurigeres Symbol für die Lage in Nicaragua als den Tod von Hugo Torres Jiménez. Noch als junger Student hatte er sich in den Siebzigerjahren den Sandinisten angeschlossen, einer linken Widerstandsgruppe, die damals gegen die skrupellose Somoza-Familie kämpfte. Der Clan hatte Nicaragua über Jahrzehnte in seinem eisernen Griff gehalten. Torres half dabei, die grausame Diktatur zu stürzen, auch, indem er politische Gefangene befreite. Einer von ihnen wurde später sogar zum neuen, demokratisch gewählten Präsidenten: Daniel Ortega.

Damals, in den Achtzigerjahren, solidarisierten sich Linke und Intellektuelle weltweit mit ihm und den Sandinisten: Weil sie dringend nötige Landreformen in Angriff nahmen, weil sie die schlechte Gesundheitsversorgung ausbauten und weil sie Alphabetisierungsprogramme starteten. Eine bessere, gerechtere Welt schien möglich zu sein, und Torres, der Ex-Guerillero, legte seine Waffe nieder, um Poesie zu schreiben.

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Doch das ist alles Vergangenheit. Nicaragua ist keine schöne Utopie, sondern grausame Realität. Kein Traum, sondern ein Albtraum. Sollten daran noch irgendwelche Zweifel bestanden haben, sind diese nun mit dem Tod von Hugo Torres ausgeräumt: Am Wochenende starb der einstige Revolutionsheld, allerdings nicht zu Hause im Kreise seiner Familie, sondern einsam und krank in einer Gefängniszelle, eingesperrt unter konstruierten Vorwürfen und höchstwahrscheinlich auf direkte Anweisung ausgerechnet von jenem Mann, den er einst half, aus dem Gefängnis zu befreien: Daniel Ortega.

Seine eigene Frau machte Daniel Ortega gar zur Vizepräsidentin

Nach zwei gescheiterten Versuchen hatte Ortega es 2006 wieder geschafft, die Präsidentschaftswahlen in Nicaragua zu gewinnen. Auch damals gab es schon Betrugsvorwürfe, Ortega aber klammerte sich an die Macht, und so ist das geblieben, bis heute.

Wichtige Positionen in seiner Regierung sind mit seinen Vertrauten und Verwandten besetzt, seine Frau machte Ortega gar zur Vizepräsidentin. Es gab Skandale und Kritik, 2018 brachen sogar landesweite Proteste aus, angetrieben vor allem auch von jungen Menschen und Studenten. Wochenlang lieferten sich Demonstranten und Polizei blutige Auseinandersetzungen. Am Ende waren mindestens 300 Menschen tot, Tausende im Knast oder auf der Flucht - und Ortega noch immer an der Macht.

Nach den Protesten brachte er die Universitäten unter seine Kontrolle. Nun wird auch privaten Bildungseinrichtungen die Unabhängigkeit entzogen. Die Presse wird verfolgt, Nichtregierungsorganisationen müssen das Land verlassen. Und bevor Ortega sich vergangenes Jahr noch einmal im Amt bestätigen ließ, in einer Wahl, die der Außenbeauftragte der Europäischen Union rundheraus "fake" nannte, räumte er noch einmal richtig auf: Alle nennenswerten Kandidaten der Opposition wurden im Vorfeld verhaftet und mit ihnen noch ein paar Dutzend Kritiker hinzu, unter ihnen auch alte Kampfgefährten wie die legendäre Ex-Guerillera Dora María Téllez und eben Hugo Torres.

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Kurz vor seiner Verhaftung im Juni stellte Torres ein Video ins Netz: "Vor 46 Jahren habe ich mein Leben riskiert, um Daniel Ortega und andere politische Gefangene aus dem Gefängnis zu befreien", sagte er. "Nie hätte ich gedacht, dass ich noch einmal gegen eine Diktatur kämpfen muss".

Torres wurde 73 Jahre alt.

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