Europa:Selig die Schaumschläger

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Der traut sich was, der französische Präsident: Emmanuel Macron bei seinem Besuch in Berlin am Europatag bei Kanzler Olaf Scholz. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Aus Emmanuel Macrons Idee von einer "Europäischen Politischen Gemeinschaft" wird wohl nichts. Doch wahr ist auch: Nicht viele machen sich so viele Gedanken über die Zukunft der EU wie der französische Präsident.

Kommentar von Josef Kelnberger

Es gibt genügend Menschen, die Emmanuel Macron für einen Schaumschläger halten. Und sie haben durchaus gute Gründe dafür, wie seine europäische Grundsatzrede von Straßburg am Montag zeigte. Allerdings sollte die Europäische Union froh sein, einen derart begnadeten Schaumschläger in ihren Reihen zu haben.

Bei einem Festakt zur Zukunft der EU setzte der französische Präsident kurzerhand die Idee einer "Communauté Politique Européenne" in die Welt. Bei dieser "Europäischen Politischen Gemeinschaft" handelt es sich um eine Art zweite Liga der Europäischen Union, in der Staaten wie die Ukraine auf wichtigen Politikfeldern zusammenarbeiten und so eine großartige europäische Heimat finden sollen. So weit der Schaum.

Macrons Idee ist nicht neu, aber noch genauso richtig

Die bittere Botschaft darunter lautet: Die Ukraine hat keine Chance auf eine schnelle Aufnahme in die Europäische Union. Der Beitrittsprozess wird eher Jahrzehnte als Jahre dauern. Deshalb muss es für Länder wie die Ukraine, Georgien und Moldau sowie für die sechs Westbalkan-Staaten eine andere Möglichkeit der europäischen Zugehörigkeit geben, ehe sie wirklich reif für die Vollmitgliedschaft in der EU sind.

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Der Grundgedanke Macrons ist so richtig wie vor fünf Jahren, als er an der Sorbonne seine erste große europäische Rede als Präsident hielt: Die EU muss eigenständiger und effizienter werden. Sie muss deshalb Entscheidungswege beschleunigen, muss zulassen, dass einige Länder gemeinsam als Avantgarde vorangehen. Sie kann es sich nicht mehr leisten, bei den wichtigen Entscheidungen auf den letzten Nachzügler zu warten, im Zweifelsfall auf Viktor Orbán, der sich die Zustimmung jedes Mal mit viel Geld abkaufen lässt. Eine Erweiterung der EU auf mehr als 30 Staaten, die kaum noch auf eine gemeinsame Linie zu bringen sind, kommt für Macron deshalb zurzeit nicht infrage.

Nun mag man darüber streiten, ob die Ukraine, über deren Beitrittsantrag die EU-Institutionen im Juni ein erstes Urteil fällen wollen, nicht doch ein Sonderfall ist. Vieles spricht dafür, das vom Krieg zerstörte Land unter enger Anleitung aus Brüssel wiederaufzubauen, als EU-Schaufensterstaat an der Grenze zu Russland. Am grundsätzlichen Dilemma ändert das aber nichts. Die EU muss die Staaten Ost- und Südosteuropas so schnell wie möglich an sich heranführen, um sie dem Einflussbereich Moskaus zu entziehen. Zugleich aber muss sie selbst handlungsfähiger werden. Macrons neue "Europäische Gemeinschaft" ist zumindest ein Versuch, dem Dilemma zu entkommen, wenn auch mit geringen Aussichten.

Der Pilger für den europäischen Gedanken

Emmanuel Macron knüpft an eine Idee seines Vorgängers François Mitterrand an. Der regte schon 1989 die Bildung einer Europäischen Konföderation an, zu der sogar Russland gehören sollte. Das Projekt scheiterte letztlich am Widerstand der osteuropäischen Länder, die darin einen Versuch sahen, ihren Beitritt zur EU zu verzögern. Vieles spricht dafür, dass das auch diesmal so sein wird.

Emmanuel Macron hat trotzdem angekündigt, nun seinen "Pilgerstock" zur Hand zu nehmen, um in ganz Europa für seine Ideen Schaum zu schlagen. Für seine "Politische Gemeinschaft". Für einen Verfassungskonvent, der dem Europaparlament und der Kommission mehr Kompetenzen gibt und die Vetomacht einzelner Mitgliedsländer bricht. Die Erfolgsaussichten sind gering, aber zumindest macht sich da einer auf den Weg.

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