Würde man dem Sarkasmus zuneigen, müsste man nun feststellen, dass Donald Trump langsam die Gelegenheiten ausgehen, die Präsidentschaftswahl 2020 zu verlieren. Er hat am Wahltag zum ersten Mal verloren. Er hat in den Wochen danach Dutzende Male verloren, als Gerichte überall im Land die zum Teil haarsträubenden Klagen abwiesen, die seine Anwälte gegen das Wahlergebnis einreichten; und als sich in etlichen wichtigen Bundesstaaten selbst seine republikanischen Parteifreunde weigerten, bei seinen undemokratischen Manövern mitzumachen. Er hat am vergangenen Freitag noch einmal verloren, als auch die Richter am Supreme Court in Washington eine dieser bizarren Klagen ablehnten und Trump dadurch kühl wissen ließen, dass sie ihm nicht dabei helfen werden, Joe Biden den Wahlsieg zu stehlen.
Und am Montag hat Trump wieder verloren. Da kamen in den einzelnen Bundesstaaten die Angehörigen des Electoral College zusammen. Diesen Wahlmänner und -frauen überträgt die US-Verfassung die Aufgabe, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu wählen. Das taten sie, und sie wählten mit 306 zu 232 Stimmen Joseph Robinette Biden Jr. zum künftigen Präsidenten und Kamala Devi Harris zur künftigen Vizepräsidentin. "Die Demokratie hat gesiegt", sagte Biden in einer Rede nach dem Votum.
Donald Trump kann so viel twittern und krakeelen wie er will - es ist vorbei. Es gibt keinen legalen Weg mehr für ihn, Bidens Vereidigung am 20. Januar 2021 zu verhindern. Ein paar Leute aus seinem Umfeld drängen ihn, illegale Mittel anzuwenden. Der Präsident solle das Kriegsrecht ausrufen und die Wahl wiederholen lassen, fordert allen Ernstes der ehemalige General Michael Flynn, der Trump 2017 für einige Tage als Nationaler Sicherheitsberater gedient hatte.
Man kann bei Trump nie etwas ausschließen, und man muss bei ihm grundsätzlich mit dem Schlimmsten rechnen. Aber hier ist eine Prognose: Wenn er das macht, endet das nicht mit einer zweiten Amtszeit, sondern mit einer Anklage wegen Hochverrats.
Trump hat die amerikanische Gesellschaft an den Rand des Wahnsinns getrieben
Trump hat seinem Land viel zugemutet. Seine Präsidentschaft war ein vier Jahre langer, brachialer Egotrip, der Amerika und den Amerikanern einen hohen Preis abverlangt hat. Nicht wenige haben dafür buchstäblich mit ihrem Leben bezahlt - Trump hinterlässt den USA die furchtbare Bilanz von mehr als 300 000 Corona-Toten.
Trump hat die amerikanische Gesellschaft an den Rand des Wahnsinns getrieben und die Institutionen, auf denen die amerikanische Demokratie ruht, an den Rand des Zusammenbruchs. Sein Versuch, das Ergebnis einer freien, fairen Wahl auszuhebeln, ist in der jüngeren Geschichte der USA ohne Beispiel. Es grenzt an ein Wunder, dass Amerikas Institutionen die Angriffe des Präsidenten halbwegs überstanden haben. Ob das auch für Amerikas Gesellschaft gilt, wird sich erst zeigen müssen.
Trump hätte jetzt die Chance, es gut sein zu lassen. Er könnte seine Niederlage einräumen, sich in der Air Force One nach Florida fliegen lassen und künftig in Mar-a-Lago Golf spielen. Das wäre das Beste für die USA und seine Landsleute. Aber es wäre auch selbstlos, patriotisch und demokratisch. Man sollte deswegen nicht darauf wetten, dass Trump es tut.
Am Ende muss es wohl so kommen: Am 20. Januar 2021 wird Joe Biden als 46. Präsident der USA vereidigt. Und wenn Trump es unbedingt so haben will, wird er sich an diesem Tag eben noch eine Niederlage einhandeln. Niemand kann ihn daran hindern, die Präsidentschaftswahl 2020 dann noch ein letztes Mal zu verlieren.