Der neue Vorstoß von Bundesinnenministerin Nancy Faeser zur Bekämpfung organisierter Kriminalität hat viele, die das kritisieren, auf denselben Gedanken gebracht: Was die SPD-Politikerin hier plane, sei "Sippenhaft" respektive "Sippenhaftung". Laut einem "Diskussionsentwurf" ihres Ministeriums sollten "Angehörigen von Gemeinschaften der Organisierten Kriminalität" ihr Aufenthaltsrecht "unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung" verlieren können. Gemeint sind damit freilich nicht etwa Schwestern oder Brüder der organisierten Kriminellen, sondern die Mitglieder krimineller Vereinigungen selber. Die Nationalsozialisten dagegen benutzten wirklich Sippenhaftung zur Bestrafung und Abschreckung ihrer Gegner. Für deren Familienangehörige bedeutete sie in der Regel, mindestens, die Deportation ins KZ. Auch Nordkoreas Herrscher arbeiten mit "Schuld durch Verbindung"; in Regionen, in denen Blutrache praktiziert wird, geht diese oft mit Sippenhaftung einher. Solche Vorbilder halten Israel nicht davon ab, immer wieder Wohnhäuser der Angehörigen von Attentätern zu zerstören. Eines der wichtigsten Kennzeichen eines Rechtsstaates ist, nur individuelle Schuld zu bestrafen. Sippenhaftung bedeutet das Gegenteil davon.
Aktuelles Lexikon:Sippenhaftung
Warum eine Idee von Innenministerin Faeser im Kampf gegen die organisierte Kriminalität auch an finstere Zeiten erinnert.
Von Detlef Esslinger
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