Reisen:Bayern oder Bali

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Abendstimmung am Brombachsee. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Den Center Parc am fränkischen Wasser wird es nun doch nicht geben, immerhin. Aber werden die Menschen nach der Pandemie allen Ernstes weiter Urlaub machen wollen wie immer?

Kommentar von Alexandra Föderl-Schmid

Nach all den Monaten der Disziplin haben viele Menschen das Verlangen, loszulassen. Gerade die Tage rund um Pfingsten und Fronleichnam bieten sich scheinbar dafür an, aufzuatmen und wieder Reisen zu planen. Die Frage allerdings ist: was für welche? Soll man den Corona-Schock überwinden, indem man sich Flugtickets für die nächsten Wochenendtrips kauft? Gut so - mit Blick auf das Bruttoinlandsprodukt. Aber: Ist das wirklich sinnvoll, einfach so weiterzumachen, wie man es sich vor der Pandemie angewöhnt hatte?

Der Ökonom John Maynard Keynes schrieb im Jahr 1930 seinen Essay über "Die wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Enkel". Seine These: Habe die Menschheit erst durch die (schon damals absehbaren) enormen Produktivitätssteigerungen ihre grundlegenden ökonomischen Probleme gelöst, werde es nicht mehr darum gehen, immer noch reicher zu werden, sondern die Lebensqualität zu verbessern: Zeit und Energie würden für Bildung, Kultur, Gesundheit eingesetzt. Fürs Erreichen dieses Ziels setzte Keynes das Jahr 2030 an.

Könnte die Pandemie der Auslöser für diese Zeitenwende sein? Die damit sogar ein paar Jahre früher einträte, als von dem großen Ökonomen vorhergesagt? In den vergangenen Monaten kam es auf Krisenmanagement an; jetzt ist es an der Zeit, neue Ziele zu setzen. Ändert sich nichts, würde man zurückkehren zur bisherigen Wachstumslogik und weitermachen auf dem Weg, die Klimakrise zu verschärfen. Die Rezepte der Vergangenheit eignen sich jedoch nicht, soll die Zukunft ein Versprechen und keine Bedrohung sein.

Debatten können etwas bewirken. Man sieht es bei der Lufthansa

Die Politik muss ein solches Umdenken lenken; "Fordern und Fördern", die alte Devise aus der Agenda 2010, eignet sich auch für die Wirtschaftspolitik. Um es für den Bereich Tourismus konkret zu machen: Es reicht nicht, den Tui-Konzern mit Milliarden zu retten und sodann zuzusehen, wie das bisherige Konzept - möglichst viele Menschen etwa nach Mallorca zu bringen - weiter verfolgt wird. Wer Hilfen vom Steuerzahler in Anspruch nimmt, sollte auch eine ökologische Strategie vorlegen müssen.

Dass politische Debatten etwas bewirken können, zeigt sich gerade am Beispiel Lufthansa. Sie bezeichnet das Setzen von Mindestpreisen für Flüge plötzlich als "legitim". Auslöser war die Forderung der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, wonach es Kurzstreckenflüge "perspektivisch nicht mehr geben soll". Die CDU hatte sich gegen den Vorschlag gestellt, und auch gegen die Mindestpreis-Idee von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der damit Billigflüge verhindern will.

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Der Bundestagswahlkampf böte die Möglichkeit, in einen Wettstreit der Parteien und Kandidaten um die besten Konzepte einzutreten. Wer hat die besten Vorschläge für ein nachhaltiges Mobilitätskonzept? Wer Kurzstreckenflüge einschränken will, muss nämlich auch mehr in Bahninfrastruktur investieren. So hat etwa der Flughafen München noch immer keinen ICE-Anschluss, das Umsteigen auf die Bahn nach einem Langstreckenflug ist dort nur nach einer knapp einstündigen Tour zum Hauptbahnhof in der Innenstadt möglich.

Pfofeld am Brombachsee - eine Gemeinde zeigt, wie man die richtigen Lehren zieht

Im Tourismus gibt es so viele Beispiele, dass es mit einer ökonomischen Restabilisierung nicht getan ist, sondern es eine Neuorientierung braucht. Der Weg, in Regionalflughäfen als Zentralen für Billigflieger zu investieren, hat sich als ökologisch fatal und ökonomisch ruinös (auch für so manche Kommune) herausgestellt. Gleiches gilt für die immer größer gewordenen Thermen, deren Betrieb sich in der Pandemie als unrentabel erwiesen hat.

In der fränkischen Gemeinde Pfofeld, am Brombachsee, hat am Wochenende eine Mehrheit gegen den Bau eines "Center Parc" gestimmt - die 350-Millionen-Euro-Investition wäre eines der größten Tourismusprojekte in Süddeutschland gewesen. Aber weil ein regelrechter Touristenansturm in der Seenregion befürchtet worden war, waren viele Bürger dagegen.

Hier zeigt sich am konkreten Beispiel, was es heißt, aus einer Krise Lehren zu ziehen. Denn die Pandemie hat ja den Massentourismus infrage gestellt, zur Wiederentdeckung des Gehens oder der Fortbewegung mit dem Fahrrad geführt, "das Gute liegt so nah", das alte, von Goethe abgewandelte Motto: Bayern statt Bali, Natur statt Fun im Center Parc.

Die absoluten und die relativen Bedürfnisse

Es sind aber nicht nur die Konzerne oder Hotelketten, die in der Krise ins Straucheln kamen, sondern auch viele Familienbetriebe. Sie stehen in Konkurrenz zu Angeboten wie Airbnb, die vor der Krise einen Boom erlebt haben - und die sie so bedrohen, wie ein Center Parc die Idylle am Brombachsee bedroht hätte. Amsterdam und Barcelona haben bereits vor der Pandemie Regulierungen beschlossen; Prag, Budapest und Wien haben dies während der Krise getan; Venedig und Florenz sind dabei, Beschränkungen umzusetzen. Das sind notwendige Regelungen, will man nicht wieder zu einer Form von Massentourismus zurückkehren, den Billigflüge und günstige Unterkünfte so beliebt gemacht haben.

Keynes unterschied in seinem Aufsatz zwischen "absoluten" Bedürfnissen (die dem Überleben dienen) und "relativen" (die das Leben schön machen). Das Reisen gehört natürlich in die letztere Kategorie, auch wenn viele Menschen 90 Jahre nach Keynes es eher als elementares Grundbedürfnis empfinden mögen. Daran wird Corona vermutlich nichts ändern, doch in der Unterwegskultur nach dieser Zäsur müssen andere Regeln gelten, im Urlaub wie im Alltag. Keynes mokierte sich in seinem Aufsatz über die "Zielstrebigkeit", allem vordergründigen Reichtum "blindlings nachzujagen". Er fand hingegen, Zielstrebigkeit sollte eigentlich heißen, sich "mehr mit den Ergebnissen unseres Handelns in einer ferneren Zukunft" zu befassen. Mit der Entscheidung, wie und wohin man reist, bestimmt jeder und jede darüber, in Richtung welcher Ergebnisse es geht.

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