Pressestimmen zur US-Wahl:"Ist dies die Wahl, die dauerhaft ändern wird, wie wir wählen?"

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Kritik an den Umfragen, Sorge um die Demokratie: die Onlineportale von NBC, USAtoday, cnn, Atlantic, WSJ, WPost, NYPost, NYT am Tag der US-Wahl. (Foto: Screenshots/Montage SZ)

Die Medien in den USA geißeln einhellig die Wahlprognose. Einige befürchten eine tiefe Systemkrise. Andere beruhigen: "Die Republik wird überleben."

Mit Blick auf ein Wahlergebnis, das womöglich erst nach Tagen oder sogar Gerichtsentscheidungen feststeht, arbeiten die amerikanischen Medien sich vor allem an drei Themen ab: dem Wahlsystem, das immer knappere Ergebnisse produziert, den erneut weit von der Realität abweichenden Wahlprognosen - und der Frage, was das alles für ein gespaltenes Land bedeutet.

New York Times:

Die Wahl sei ein Test gewesen, "ob unser System Regierungsmehrheiten bringen kann", schreibt die New York Times. Und ergänzt: "Es sieht so aus, als ob es das nicht könnte." Als einen der Hauptgründe sieht Ross Douthat die wachsende Macht ideologischer Narrative und Falschbehauptungen: "Wenn man sich nach einer verlorenen Wahl auf die Erzählung zurückziehen kann, sie verdanke sich Betrug oder einer Einmischung aus Russland, wird das Ergebnis zwangsläufig lächerlich gemacht."

The Washington Post:

Die Washington Post fragt: "Ist dies die Wahl, die dauerhaft ändern wird, wie wir wählen?" Die Antwort von Michele L. Norris: "Lasst es uns hoffen." Die Kommentatorin entdeckt neben der hohen Wahlbeteiligung weitere positive Entwicklungen wie vorgezogenes Wählen und Briefwahl. Außerdem, "größere Bemühungen, den Wahlprozess durch Tutorials, Hotlines und Detailerklärungen in diversen Sprachen verständlicher zu machen". Sie kritisiert aber auch die Republikanische Partei: "2020 wird als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem eine Rekordzahl den Weg an die Urnen fand - und zwar trotz der beispiellosen Versuche der Parteispitze, die Stimmabgabe zu unterdrücken. (...) Eine Partei, die ohne Manipulationen nicht gewinnen kann, ist der Regierungsverantwortung nicht würdig."

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Wall Street Journal:

"Es ist immerhin schon klar, dass die größten Verlierer bis hierhin die Meinungsforscher sind", stellt das Wall Street Journal fest. "Laut den Umfragen der Mainstream-Medien hätte Biden mit großem Vorsprung gewinnen sollen. In Florida lagen sie damit besonders weit daneben."

American Spectator:

Im American Spectator bescheinigt George Neumayr allen Prognosen kollektives Versagen: "Selbst wenn Biden gewinnt, ist der knappe Ausgang eine Blamage für die Medienumfragen. Die Nate Silvers und Matt Drudges haben uns gesagt, Biden hätte eine 90-prozentige Chance zu gewinnen. Diese voreingenommenen Wahrsager haben sich als unzuverlässig herausgestellt."

NPR Radio:

Bei NPR Radio fordert Domenico Montanaro Aufklärung über die Gründe des Umfragedesasters: "Wenn alles gesagt und getan ist, wird es ein große Debatte über die Umfragen geben. (...) Wir müssen besser verstehen, was schief gelaufen ist. Nehmen Trump-Wähler einfach nicht den Hörer ab oder antworten bei Umfragen nicht, weil sie den Medien und Umfragen misstrauen? Gibt es einen Grund, warum Umfragen Trump-Unterstützer immer unterschätzen?"

New York Post:

Die New York Post vergleicht die Prognosen sogar mit Drogen: "Sie bieten uns Zahlen an und Menschen, die sich für Politik interessieren, spritzen sie sich wie Heroin. Das lindert unser Verlangen. Es beruhigt uns. Und bald gieren wir nach mehr, mehr, mehr. Bis zur Wahlnacht sind wir Junkies überlastet, beschädigt und brauchen eine Entziehungskur." Die Lösung für John Podhoretz: "Es ist Zeit für einen kalten Entzug, bevor unsere letzten Gehirnzellen zerstört sind."

In einem zweiten Kommentar ruft die New York Post außerdem zur Besonnenheit auf: "Bleiben Sie ruhig. Die Republik wird überleben." Natürlich sei Amerika tief gespalten. "Eine enge Wahl und eine weiterhin geteilte Regierung (mit einem Demokratischen Repräsentantenhaus und einem Republikanischen Senat) seien aber vor allem ein Aufruf zu Demut und Kompromiss."

The Atlantic:

Auch im Atlantic stellt Tom McTague fest: "Das hier ist keine konstitutionelle Krise - noch nicht -, aber ein Präsident, der Anspruch auf ein Amt erhebt, das er noch nicht gewonnen hat, ist eine eigene Krise für sich."

CNN:

Bei CNN heißt es dazu: "Die Forderung von Präsident Trump, die Stimmauszählung zu stoppen, während die Wahl noch nicht entschieden ist, ist der extremste und gefährlichste Angriff auf die demokratischen Institutionen seiner bisherigen Präsidentschaft."

USA Today:

USA Today ruft die Menschen zur Versöhnung auf: "Über Monate hinweg haben wir unsere Debatten derart erbittert geführt, dass es uns kaum noch möglich scheint, Menschen mit entgegengesetzten Meinungen auch nur zu hören. Wir haben unsere Ohren und Herzen auf viele Arten verschlossen und das kann so nicht bleiben; es ist ungesund - für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie. (...) Politiker gehen hier mit gutem wie mit schlechtem Beispiel voran. Nach der Wahl wieder zusammenzufinden ist aber keine Aufgabe, die allein den beiden Kandidaten zukommt. Wir alle müssen uns darum kümmern."

NBC News:

Die Reporter bei NBC News entschieden sich zu einer ungewöhnlichen Maßnahme und unterbrachen die Live-Übertragung der Rede von Donald Trump, in der er behauptete, die Staaten Georgia, Michigan und Pennsylvania bereits gewonnen zu haben. Die Moderatorin Savannah Guthrie schaltete sich dazwischen: "Wir müssen hier einfach unterbrechen, denn wir haben jetzt mehrere Behauptungen gehört, die einfach nicht wahr sind."

Chicago Tribune:

Der Chicago Tribune betont die beinahe tribalistische Anziehungskraft von Trumps Regierungsstil und geht davon aus, dass diese Art von Politikern - wenn nicht sogar Trump selbst - "uns noch auf lange Zeit erhalten bleibt. (...) Wir haben uns an den Glauben geklammert: 'Nein, so sind wir nicht. Wir sind besser.' Die Amerikaner werden am 3. November 2020 aufstehen und der Republikanischen Partei und der Welt diese Nachricht klar übermitteln, wenn sie Trump mit Verve in den Ruhestand schicken." Das resignierte Fazit: "Nun ja."

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