TV-Kritik: "Stern TV":"Keine Sau hat mir was gesagt"

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Nach zwei Jahrzehnten verlässt Günther Jauch "Stern TV". Der Abschied ist nostalgisch, witzig, liebevoll - und macht den Moderator bisweilen fast ein bisschen sprachlos.

Lena Jakat

Nein, Moderator Günther Jauch hat nichts geahnt. Sein Team hat ihm zu seinem letzten Auftritt eine Sendung vorbereitet, die er nicht kennt. Zum 953. Mal ist er gewohnt beschwingt durch den Stern getreten, hat sein Publikum begrüßt und den ersten Beitrag anmoderiert: Die Höhepunkte aus 20 Jahren "Stern TV".

Steffen Hallaschka (l.) tritt die Nachfolge von Günther Jauch an und moderiert künftig "Stern TV". Jauch bleibt Produzent. (Foto: dpa)

Stattdessen kommt: Das Beste aus 20 Jahren Jauch - gelbe Sakkos, karierte Hosen, verkümmerte Igelfrisuren. Und dann übernimmt ein als Jauch verkleideter Comedian Atze Schröder auch noch die Moderation. Jauchs Überraschung ist echt, er ist baff: "Keine Sau hat mit was gesagt!" Jauch hasst Überraschungen. Noch.

"Muss ich was machen?", fragt der scheidende "Stern-TV"-Moderator und klingt dabei halb ironisch, halb wirklich besorgt, "singen, krabbeln, springen - irgend so'n Scheiß?". Doch nach und nach schwindet seine Besorgnis und der Fernsehmann lässt sich mit zunehmender Bereitwilligkeit die Sendung aus der Hand nehmen. Demonstriert Gelassenheit in seinem roten Sessel, dessen Umbequemlichkeit nur er so überspielen kann und lässt sich in Beiträgen über seinen Ordnungswahn, seine schlimmsten Pannen und Modesünden huldigen.

Die Sendung ist eine Liebeserklärung von Jauchs Redaktion an den Moderator. Das beweist nicht nur die Ausdauer und Gewissenhaftigkeit, mit denen dafür augenscheinlich das Archiv - hinter einer Feuertür in der Tiefgarage, wie der Zuschauer erfährt - durchforstet wurde, sondern auch die vielen kleinen Details von den fehlerhaften Bauchbinden (Jauch hasst Rechtschreibfehler) bis hin zu den ordentlich gebunden Schleifen um riesige, sauber gestapelte (Jauch ist Ordnungsfreak) Türme von Moderationskarten, die dem Moderator feierlich überreicht werden. 24.000 hat er davon in den fast 21 Jahren "Stern-TV" verbraucht.

Der Abend verfällt jedoch nicht in pure Lobhudelei, sondern nimmt sich und den Moderator - wie auch er selbst nicht - nie völlig ernst und vergisst auch die treuen drei Millionen Zuschauer nicht. Die nämlich haben das Vergnügen, den vertrauten Jauch noch einmal in all seiner spitzbübischen Spießigkeit auszukosten und dabei doch noch Neues über ihn zu erfahren. Oder heimliche Vorurteile endlich bestätigt zu bekommen.

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:Jauch und der Rest: Der Preis ist heiß

Renommierte Sendungen von ARD und ZDF offenbaren enorme Kostenunterschiede. Am teuersten: Günther Jauch und "Monitor".

Zum Beispiel, dass Jauch Ordnung so sehr schätzt, dass die dem kreativen Chaos zugetanen Kollegen ihn gar als "Meckerhansl" titulieren. Dass er von allen kulinarischen Verlockungen ausgerechnet Brausebatzen zwischen Esspapier in Ufo-Form verfallen ist. Dass er seine Moderationen auf einer Schreibmaschine tippt - bis heute. Die Texte dann verfeinert auf Band spricht - auf Kassetten! Und die Sekretärin am Ende alles fein säuberlich auf die Moderationskarten druckt.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Motor-Dreirad. Es steht für Jauchs berüchtigte Sparsamkeit - und wird für die Sendung kurzerhand zum Umzugswagen umfunktioniert.

Bebildert werden diese Anekdoten mit grässlichen Krawatten und anderen modischen Schauderhaftigkeiten, vertont mit einer Günther-Jauch-Version des Charthits Barbara Streisand und einer Blockflötenallegorie auf den Trailer von 20th Century Fox - eigenhändig blockflötender Jauch inklusive. Garniert wird das ganze von wenig überraschenden Überraschungsgästen.

Außer Atze Schröder ist "Stern"-Reporter Thorsten Schorn gekommen, der in Jauchs "Wer wird Millionär" das Publikum anheizt, die unvermeidliche Barbara Schöneberger und Oliver Pocher. Der war zwölf Jahre alt, als "Stern TV" am 4. April 1990 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde und dürfte damit damals schon älter ausgesehen haben als der Moderator. Auf den blassen Archivbildern aus den neunziger Jahren wirkt Jauch wie höchstens elfeinhalb.

In den mehr als 20 Jahren "Stern TV" ist sogar Günther Jauch erwachsen geworden, und doch wirkt er auch mit 54 noch wie der ewige Schuljunge, der mit seiner unbeholfenen Schlacksigkeit spielt. Die hat sein Nachfolger Steffen Hallaschka, 39 Jahre alt, nicht - obwohl er noch zehn Zentimeter größer ist. Sonst scheinen sich die Männer auf den ersten Blick durchaus ähnlich. Mit dem roten Motor-Dreirad wird der Neue in die "Stern-TV"-Redaktion gekarrt; via Einspielfilm erfährt der Zuschauer, dass Hallaschka im Fahrstuhl der Redaktion schon einmal mit weißen Plastikbuchstaben seinen Namen auf das Schaumstoff-Schild stecken durfte. "Das ist nicht Ihr Ernst", entfährt es dem bisherigen NDR-Mann, als er an Jauchs Arbeitsplatz mit der alten Schreibmaschine geführt wird.

"Für dich soll's weiße Socken regnen", singt das Team

Im Studio fühlt sich Hallaschka dann sichtlich wohler, auch wenn er an einer lockeren Pose in den unbequemen Sesseln noch üben und Jauchs gestrengem Kommentar standhalten muss: "Ich hoffe, dass mir die Sendung sehr gut gefallen wird." Jauch bleibt auch weiterhin Produzent des wöchentlichen Formats. Hallaschka kontert. Als ARD-Mann werde er auch Jauchs künftige Auftritte sehr genau verfolgen, neckt der Nachfolger den Vorgänger. Im Herbst soll Jauch den Sonntagabend-Talk im Ersten von Anne Will übernehmen.

Er verlasse die Sendung "auf eigenen Wunsch, da ihm in Zukunft an einer ausschließlich sitzenden Tätigkeit gelegen zu sein scheint", schreiben seine Mitarbeiter ihm deswegen in sein Arbeitszeugnis. Es ist einer der zwei Momente des Abends, in denen Jauch sehr häufig sehr entschieden blinzeln muss. Das zweite Mal passiert ihm das bei den weißen Socken. Dabei hasst Jauch eigentlich weiße Socken, vor allem im Publikum und dort vor allem in der ersten Reihe. Deswegen singt ihm sein Team zu Abschied "Für dich soll's weiße Socken regnen" und überreicht ihm prompt ein Paar der verhassten Strümpfe auf einem Samtkissen.

Da bleibt dem routinierten Moderator nach 21 Jahren, 953 Sendungen und 7000 Studiogästen fast die Sprache weg. Das "Danke" klingt sehr dünn - fast wie elfeinhalb. "Ich bin ja nicht aus der Welt", schiebt er noch nach. Es wirkt fast wie eine Entschuldigung.

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