TV-Kritik: "Hart aber fair" über den GAU:Es läuft und läuft - nicht mehr

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Haben deutsche Verantwortliche wirklich verstanden, was der GAU bedeutet? Zu viele Fragen wurden zu lange verdrängt - und mancher verdrängt noch immer: Der oberste Atomlobbyist lässt sich bei Plasberg zu einem zynischen Scherz hinreißen.

Mirjam Hauck

Was haben ein VW Käfer und ein Atomkraftwerk gemeinsam?

"Japans Tragödie, Deutschlands Angst - Kommt jetzt das endgültige Atom-Aus?", fragte Frank Plasberg seine Gäste, unter anderem Jürgen Trittin, Dirk Niebel und den Präsidenten des Atomforums, Ralf Güldner. (Foto: WDR/Hajo Hohl)

Was anfängt wie ein schlechter Witz, sollte dem Hart, aber fair-Zuschauer die Gefährlichkeit der deutschen Reaktoren nahebringen: Viele seien in den 1970er Jahren gebaut und entsprächen nicht mehr den heutigen Sicherheitsstandards. Frank Plasbergs Redaktion stellte Schwarzweißbildchen von Gefährt und Kraftwerk zusammen. Als ob es angesichts der aktuellen Bilder aus Japan noch einen Beweis gebraucht hätte, dass auch hochtechnologisierte Staaten mit dieser Hochrisikotechnologie viel zu leichtfertig umgegangen sind.

Ein hanebüchener Vergleich - der die Diskussionsrunde allerdings zu einer wichtigen Erkenntnis brachte: Die Atomindustrie schafft es selbst in diesen Tagen noch, sich im Ton zu vergreifen. Ralf Güldner, Präsident des Deutschen Atomforums, kommentierte die Bilder bei Plasberg mit einem Zitat des einstigen Käfer-Werbesslogans: "Er läuft und läuft und läuft." Solchen Zynismus hatte man von Atomlobbyisten bisher öffentlich selten gehört.

Es läuft und läuft und läuft eben nicht mehr.

Deutschland hat nun eine Atomdebatte, die hart wird für die Energieindustrie, denn plötzlich liegen wieder sehr viele Fragen offen da, die man schon beantwortet oder erfolgreich verdrängt geglaubt hatte.

Die vielleicht drängendste: Wenn Atomtechnik auch in Deutschland so gefährlich ist, dass jetzt umgehend Reaktoren vom Netz gehen - wieso wurde dann nicht früher gehandelt? Der rot-grüne Atomausstieg sah Laufzeiten bis 2022 vor, Schwarz-Gelb wollte dies aufweiten, nun hat Angela Merkel ihren Plan vorerst gestoppt. Ist das verantwortliche Politik? Da steht bei Plasberg dann Klaus von Dohnanyi, einst SPD-Bürgermeister von Hamburg, und lobt das Moratorium der Kanzlerin wortreich. Die Politik habe Verantwortung zu lernen, und das habe die Bundesregierung durch den Beschluss getan, sieben Meiler für drei Monate vom Netz zu nehmen. Selbst China prüfe jetzt seine Atomkraftwerke.

Bleibt die Frage: Wieso musste dafür erst eine Katastrophe passieren?

Und: Haben zum Beispiel auch die Bürger das Problem verdrängt, weil Tschernobyl eben 25 Jahre her ist? Der Verbraucher habe doch vom billigen Atomstrom profitiert, sagt Dohnanyi. Wenn Kraftwerke abgeschaltet werden, stiegen die Preise, das bedeute Verzicht. Was niemand gerne hat.

Plasberg wähnte sich in einer "intensiven und nachdenklichen Diskussionsrunde" - vielleicht lag das an Ursula Völker. Die junge Frau von "Ärzte gegen den Atomkrieg" hielt sich zurück, war leise, was bei Sitznachbar Jürgen Trittin erstaunte Seitenblicke provozierte. Am Ende schaffte sie es zwischen den Politikprofis und Profilobbyisten kaum zu Wort. Was eine weitere Frage aufwirft: Hat die Politik verstanden, dass sie jetzt neue Antworten geben muss?

Grünen-Fraktionschef Trittin und FDP-Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel machten sich gegenseitig altbekannte Vorwürfe. Die schwarz-gelbe Regierung subventioniere mittels Bürgschaften ein Atomkraftwerk in Brasilien, sagte Trittin. Niebel konterte, der Grüne habe als Bundesumweltminister doch selbst Laufzeiten bis nach 2020 gewährt. Dann das übliche Spiel: bestreiten, streiten, am Ende sogar Plasberg um einen Faktencheck bitten.

In Wahrheit bräuchte Deutschland einen Debattencheck.

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