TV-Kritik: "Der Krieg":Ein Krieg - so nah und in HD

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Der Dreiteiler Der Krieg bringt neue, nachkolorierte Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg auf den Bildschirm. Wie wirken diese Manipulationen auf unsere Wahrnehmung?

Bernd Graff

Isabelle Clarke (Regie) und Daniel Costelle (Buch) haben mehr als zweieinhalb Jahre hinweg nach unbekannten Filmdokumenten zum Zweiten Weltkrieg gesucht. In 17 Ländern waren sie unterwegs, haben Dachböden und mehr als 100 Archive durchforstet - und sie sind erstaunlich fündig geworden. So haben sie für Der Krieg, dessen zweiter Teil nun in der ARD zu sehen war, ein Kaleidoskop der privaten Eindrücke, weniger der (zumeist auch bekannten) Propagandabilder, zusammenstellen können, das die entsetzliche Kriegskatastrophe aus den Blickwinkeln der über Europa verstreuten, meist soldatischen Zeugen darstellt und damit eine ebenso transnationale wie privat-subjektive Sicht auf das Kriegsgeschehen vermittelt.

Natürlich entsteht so auch der Eindruck, den man gerade im Münchner Stadtmuseum erlebt, wenn man die Ausstellung "Fremde im Visier" besucht, die nach ganz ähnlichem Prinzipien "Knipseralben" ausstellt. Also die Fotografien deutscher Landser, die vor allem zu Kriegsbeginn - später hatte kaum noch jemand Filme - die eroberten Gebiete und ihre Bewohner, das Kasernentreiben und die Zerstörungen nach der Schlacht dokumentieren.

Der Eindruck ist: Der Landser, der knipst und filmt, hatte nie den Anspruch, irgendetwas anderes als seine unmittelbare Umgebung, seine Kameraden, das für ihn Sensationelle und wahrscheinlich auch Überwältigende zu dokumentieren. Das erklärt die Posen und Blicke, die Willkür in der Auswahl und die Disproportion der ausgewählten Motive.

Anders also als Propaganda und Kriegsberichterstattung zählt im privaten Blick auf den Krieg nicht die große Linie, nicht das Paradigmatische, das den Pars pro Toto in Szene setzt und so auch inszeniert, sondern das schiere, aus dem Moment heraus aufgenommene, also auch ein wenig wahllose Motiv. In den Fokus drängt, was gerade im Fokus ist.

Der Zufall führt Regie. Mehr müssen Schnappschüsse auch nicht leisten. Doch aus einer Kette von alten Schnappschüssen entsteht kein Historienpanorama. Und so drängt es auch den ARD-Dreiteiler immer wieder raus aus dem Privatissime der Landseraufnahmen in die sichere, breite und dann auch wieder ausgetretene Historienbildspur des großen Kriegsnarrativs: Zwischengeschnitten sind die professionellen Aufnahmen der offiziellen Berichterstattung, die gewollten und arrangierten Bilder der historischen Propaganda, an denen sich diese Dokumentation auch ein wenig entlanghangelt.

Bei Clarke und Costelle kommt nun noch etwas hinzu: Sie haben das Originalmaterial - wie man so sagt - digitally remastered. Zum einen haben sie eine für unsere Erfahrung mit historischem Filmmaterial so nie gekannte Schärfe, auch Tiefenschärfe in die Bilder gezaubert. Und zum anderen haben sie die im Original schwarzweißen Bilder koloriert.

Die Wirkung ist frappierend. Und zwar in einem doppelten, dann aber auch sehr widersprüchlichen Sinne. Zum einen strahlen diese nie gesehenen Bilder des Zweiten Weltkrieges nun eine unfassbare Frische und Authentizität aus. Nicht einmal die Bilder aus dem Vietnamkrieg, die amerikanische Sender Ende der sechziger Jahre ausstrahlten, weisen diese Brillanz und Unmittelbarkeit des High Definition (HD) auf, den diese Bilder aber nun haben, auch wenn sie sie nie zuvor hatten, nicht einmal zu "ihrer" Zeit. .

Man ist also ständig versucht, die Dokumente für dokumentarisch zu nehmen, also die neuen Bilder entweder für gestellt zu halten oder sie aber weit näher bei sich selber zu verorten, als es die Historie faktisch zulässt. In dieser, ja fast gegenwärtigen Bildqualität hat man vielleicht Bilder aus dem Bosnienkrieg im Kopf aber keine Sequenzen, die die Generation unserer Großväter zeigen. Damit gewinnt das Material eine ästhetische Dimension, eine also, die unsere Wahrnehmung betrifft, die mit unserer bisherigen Erfahrung der Bilder vom Zweiten Weltkrieg so nicht in Einklang zu bringen ist.

Durchkomponierte Schau

Da aber die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs hinlänglich bekannt sind und unsere Erkenntnisse auch durch diese Dokumente nicht wesentlich bereichert werden, stellt sich sehr grundsätzlich die Frage, ob die hier nach eher ästhetischen Kriterien zusammengestellte, geradezu durchkomponierte Schau der Geschichte in dieser Verstörung beabsichtigt war. Denn, das dann doch: die Szenen, die Grausamkeiten, Entwürdigungen, ja Massenerschießungen zeigen, werden eben nicht koloriert wiedergegeben, sondern bleiben so dokumentarisch wie sie unserer Erwartung nach in diese Zeit passen.

So sieht man in dem am 8. März ausgestrahlten zweiten Teil Die Welt in Flammen dramatisch brennende Hütten und den Zug der gefangenen Sowjetsoldaten nach der Kesselschlacht um Kiew spektakulär in Farbe und mit allem Musikbombast untermalt. Sekunden später sieht man Aufnahmen von sogenannten Mordkommandos, die Juden jagen, sie zwingen, ihre eigenen Gräber auszuheben, um sie dann zu töten. Diese Bilder und die des Massakers bei Kiew vom 29./30. Septembers 1941 sind schwarzweiß, unscharf, eben so dokumentbelassen, wie man Bilder des Zweiten Weltkrieges bislang kannte. Dies geschah mutmaßlich aus Pietätsgründen.

Was aber sagt dies dann über die Darstellung und Darstellbarkeit von Geschichte aus, wenn ihre Bildzeugnisse einer aktuellen Regie unterworfen und mal porentief nah und mal historisch entrückt geschaltet werden, wie es einem ästhetisch-moralischen Empfinden in den Kram passt.

Gehauchte Kommentatorinnensätze wie: "Die Rote Armee ist stark geschwächt. Die Geschwindigkeit des deutschen Blitzkrieges ist atemberaubend", passen dann wohl auch eher zu einem Formel-1-Rennen.

Jochen Hieber hat in der FAZ gesprochen von einer "mit erkennbar handwerklicher Sorgfalt erzeugten Rekonstruktion der einstigen Realblicke, die sich zu Recht nicht scheut, auf diese Weise und nach heutigen Maßstäben dann notwendigerweise doch auch das Grauen zu ästhetisieren".

Allerdings rühmt er die Ausnahme: "Die Bilder vom Grauen des Grauens, also die Szenen aus Bergen-Belsen oder Auschwitz, bleiben schwarzweiß und dokumentieren gerade damit die Singularität der Schoa."

Verblüffend, ergreifend

Nein, das dokumentieren sie, eingewoben in diese Kunterbunt-Echtheits-Melange, nicht mehr. Vielmehr zeugen sie von der Frivolität, den militärisch dominierten Rest so einzufärben, dass er nicht mehr historisch entrückt daherkommt, sondern kriegsbildtechnisch wie auf der Höhe der Gegenwart erscheint.

Der Zweite Weltkrieg, digitally remastered, gerät so in die Nähe der Bildwelten von Computerspielen, die sich dieses Themas annehmen.

Trotz dieser Einwände: Das, was Isabelle Clarke und Daniel Costelle geleistet haben, ist keinesfalls zu unterschätzen, auch und gerade, weil man sich daran reiben muss.

Es ist verblüffend, aufregend, überraschend und auf eben ambivalente Weise nah. Zu bedauern ist, dass ihre unter dem Titel Apocalypse für das französische Fernsehen arrangierte Dokumentation dieses Zweiten Weltkriegs, die vollständige Fassung des ARD-Dreiteilers, nur von einigen dritten Fernsehprogrammen in diesem Sommer ausgestrahlt werden wird.

Dritter Teil am 15.3. um 21:00 Uhr in der ARD.

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