TV-Auftritt von Monica Lierhaus:Der geile Moment

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Bei der Verleihung der "Goldenen Kamera" sah man in Monica Lierhaus und Rolf Hellgardt ein Paar, das durch die Hölle gegangen ist und seinen Triumph verkünden wollte. Warum ließ man diesen Auftritt zu?

Alexander Gorkow

Der Privatsender RTL hat den gebührenfinanzierten Anstalten ARD und ZDF gerade erst gezeigt, dass vor allem Geschmacklosigkeiten perfekt zubereitet werden müssen. Die im "Dschungelcamp" versammelten Ex- und Viertelprominenten blamierten sich nach Kräften, die Moderatoren verließen sich dabei auf etwas, was man sonst eher im amerikanischen Fernsehen findet, nämlich pointensichere Autoren. Lachte man unter Niveau? Naja, wie sagte Robert Gernhardt in seiner berühmten Negativgleichung?

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Niveauvolles Lachen gebe es so wenig wie einen niveauvollen Orgasmus. Die Frage des Volksmunds, ob die Teilnehmer des RTL-Ausflugs noch alle Tassen im Schrank hätten, konnte man ja klar beantworten. Diese Leute fand man schlimmstenfalls etwas bescheuert, aber sie wussten, was sie taten, denn sie wussten, in was für einem Zirkus sie gelandet waren: in einem Circus Maximus ohne Löwen, nur mit Kakerlaken. Es gibt anspruchsvolleres Fernsehen, aber in Deutschland, seit der Erlahmung Harald Schmidts, leider selten komischeres.

Am Wochenende trat bei der Verleihung der "Goldenen Kamera" im ZDF eine Frau auf, die sehr schwer krank war. Die ARD-Sportmoderatorin Monica Lierhaus erlitt vor zwei Jahren eine Hirnblutung. Sie fiel ins Koma. Wer je Bilder aus einem Computertomographen gesehen hat von beschädigten Hirnregionen eines lieben Menschen, der ahnt, was die Angehörigen von Monica Lierhaus - zuerst ihr Lebensgefährte, der Fernsehproduzent Rolf Hellgardt - durchgemacht haben. Man weiß in solchen Wochen oft nicht, auf was man hoffen soll, starrt in leere Augen, fleht in die Stille, und wenn es einen Rest Hoffnung gibt, dass dieser Mensch halbwegs gesund wird, so klammert man sich eben an diese Hoffnung. Woran denn sonst?

Monica Lierhaus, das kann man heute sagen, hatte gute Ärzte, gute Betreuer, gute Freunde; sie hatte sicher in der Katastrophe auch Glück - vor allem hat sie offenbar einen grandiosen Willen. Sie macht nun den Eindruck, als sei sie wieder halbwegs gesund. Dass sie halbwegs und nicht vollständig gesund ist, das sahen mehr als vier Millionen Menschen im ZDF, und seither sehen es viele Menschen auf Youtube. Man sieht eine Frau, die mühsam zum Pult kommt, mühsam spricht, deren Augen tiefe Anstrengung verraten. Man sieht eine Frau, die in dieser Verfassung ihrem Lebensgefährten einen Heiratsantrag macht, der daraufhin "Ja, ja!" ruft und auf die Knie sinkt.

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Man sieht zwei Fernsehmenschen, die durch die Hölle gegangen sind, und die sich nun ihr Medium, das Fernsehen, ausgesucht haben, um ihren Triumph zu verkünden. Man sieht ein Paar, dem man keinen Vorwurf machen darf. Wer will sich das anmaßen? Perfide ist, dass der Veranstalter der "Goldenen Kamera", der Springer-Verlag, und dass der Sender, das ZDF, auf diese Unantastbarkeit des Paares Lierhaus/Hellgardt spekulieren. Warum lässt man einen solchen Auftritt zu? Falsche Frage. Man lässt ihn nicht zu, man sehnt ihn herbei.

Hinter den Kulissen von deutschen TV-Unterhaltungsformaten finden rituelle Gebete statt. Es geht in diesen Gebeten selten um die Hoffnung auf den großen Erkenntnisgewinn während einer bevorstehenden Sendung. Es geht selten auch um jene Subversion, die Engländer und Amerikaner beherrschen: in Talksendungen, in denen Politiker so lange gebraten werden, bis sie eine Frage tatsächlich beantworten; bei Preisverleihungen, in denen die Prominenz von Komikern wie Ricky Gervais oder Steve Martin auf Bodenhöhe abgestellt werden. Es sind dies Abende, in denen etwas Tolles zelebriert wird: die Sprache. Das steinreiche ZDF bringt seit Jahren und seit der hochnotbeleidigten Absetzung Elke Heidenreichs nicht mal ein sinnfälliges Konzept für eine Literatursendung zustande.

Es geht in unserem Gebührenfernsehen - dem mit jährlich rund acht Milliarden Euro teuersten der Welt - in Ermangelung an Stil, Humor und Vertrauen in die Zuschauer wenig um Sprache. Es geht stattdessen um eine Art Gott, und es ist dies der Gott des emotionalen Augenblicks.

Es ist eine inzwischen quasi pornographische Anbetung des einen, großen und bitte absolut geilen Moments, der ins Bild muss - und heute können wir sagen: koste es, was es wolle, zum Beispiel die Würde einer Frau wie Monica Lierhaus. Es wird wegen der Fixierung der Sender auf diesen Moment kein Mensch mehr sagen können, wer zum Beispiel bei welchem "Bambi" oder "Fernsehpreis" mit einer Trophäe nach Hause ging. Es wird sich hingegen jeder an den Auftritt des todkranken Rudi Carrell erinnern, oder daran, wie Marcel Reich-Ranicki plötzlich herumbrüllte, weil ihm das Niveau einer Preisverleihung mit einem Mal zu niedrig vorgekommen war.

Monica Lierhaus wurde jetzt im ZDF ausgestellt. Zwei Tage später säftelte "Tagesschau"-Chefredakteur Kai Gniffke in einem Blog: "In ihrem Blick war die unprätentiöse Freundlichkeit, die ich schon seit Jahren an dieser Frau schätze." Von ARD und ZDF ist wenig zu erwarten. Unser öffentlich-rechtliches Fernsehen ist so mittelmäßig, wie es ist, weil die Politik es exakt so will. Nur eins könnten die Anstalten ausnahmsweise tun, und sei es für einen kurzen und nicht ganz so geilen Moment: sich schämen.

© SZ vom 09.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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