"Tatort" aus Weimar:Fotokopie vom Smartphone

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John Geist (Ronald Zehrfeld) heißt der Chef eines Sicherheitsunternehmens, in dem Kira Dorn (Nora Tschirner) ermittelt. (Foto: MDR/MadeFor/Steffen Junghans)

Im Weimarer "Tatort" geht es um eine Sicherheitsfirma, bei der nichts in Sicherheit ist. Und Lessing zitiert Rilke - aber Vorsicht: Spoilergefahr.

Von Holger Gertz

Die Fußballbundesliga ist längst in die Phase der Geisterspiele eingetreten, im Tatort etabliert sich das Untergenre "Geister-Tatort". Im Herbst lief die Folge "Limbus" aus Münster, Professor Boerne war in der Vorhölle gelandet, wo den ganzen Tag Karnevalssendungen im Fernseher liefen und die ewig langen Flure so tiefschwarz ausgemalt waren, dass man schon beim Zusehen Beklemmungen bekam. Die Episode funktionierte tatsächlich, eben weil die Vorhölle so wunderbar hergerichtet worden war. Und weil man immer halbwegs wusste, um was es geht. Der Untote Boerne schwafelte sein überspanntes Zeug, aber niemand hörte es - da war die Richtung klar.

Der Weimarer MDR-Tatort von Mira Thiel und Murmel Clausen geht zu Neujahr in eine ähnlich außerweltliche Richtung. "Der feine Geist" als Episodentitel deutet es an, und die Abteilung Szenenbild hat auch hier alles getan: Sogar die ewig langen Flure gibt es, allerdings sind sie hell und führen durch die Abgründe eines Sicherheitsunternehmens, in dem nichts in Sicherheit ist. Wie überhaupt gar nichts mehr in Sicherheit ist, nicht mal die Zukunft des Weimarer Ermittlerduos Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen), der ja, so war es zu lesen, über die Zukunft seiner Rolle nachdenkt. Sie haben also - Spoiler - in diesem Tatort versucht, den guten Lessing so halb sterben zu lassen, ihn aber auch als Geisterspieler neu zu erfinden. Technisch toll gemacht, inhaltlich aber ein eher zusammenhangloses Potpourri von Szenen, Eigenartigkeiten und ein paar Highlights: Wenn Hauptkommissar Stich (Thorsten Merten) erst den Computerbildschirm mit dem Smartphone abfotografiert und das Smartphone dann auf den Fotokopierer legt, illustriert er schön die behauptete digitale Überforderung der Polizei in Thüringen. Aber während der Geister- Tatort in Münster den Zuschauer auf alle Abwege mitnahm, gibt's im Geister- Tatort von Weimar nach einer Stunde einen Knall, danach sortiert sich alles neu und fällt zugleich auseinander.

Am Ende aber präsentiert der untote Lessing seinen themengerechten Rilke: "Das ist Leben. Bis aus einem Gestern die Einsamste von allen Stunden steigt, die, anders lächelnd als die andern Schwestern, dem Ewigen entgegenschweigt." Sie persiflieren also den bitterernst gemeinten Abschiedsschmerz, der mittlerweile überall ausbricht, wenn sich ein Fernsehkommissar verabschiedet. Wenn man das Ganze so versteht, geht's eigentlich.

Das Erste, Freitag, 1. Januar, 20.15 Uhr.

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