"Tatort" Stuttgart:Verdammte Erinnerung

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Vogt (Jürgen Hartmann) will vergessen - und erinnert sich zu genau. (Foto: SWR/Patricia Neligan)

Rechtsmediziner sind im "Tatort" komische Käuze und zuständig für zynische Sprüche. In Stuttgart übernimmt der stille Dr. Vogt diesmal die Hauptrolle. Eine gute Wahl.

Von Claudia Fromme

Es wird viel gestorben im deutschen Fernsehen, und naturgemäß muss es dann Menschen geben, die den Tod begutachten. Die Jobbeschreibung der TV-Rechtsmediziner ist neben der beruflichen Qualifikation vor allem der Charakterzug "komischer Kauz", und bis auf den sehr dominanten Professor Boerne in Münster sind sie im Tatort Steigbügelhalter der Dramaturgie. Da ein Stichwort für die Kommissare, dort ein flapsiger Spruch, damit das Ableben das kuschelig warme Wohnzimmer nicht zu sehr mitnimmt. Prototyp: der raubeinige Dr. Roth aus Köln. Aber auch: der stille Dr. Vogt aus Stuttgart. Während im Rheinland Darsteller Joe Bausch vor allem außerhalb des Tatorts große Auftritte hat, schlägt im Krimi "Vergebung" nun die Stunde von Jürgen Hartmann.

Als Dr. Vogt zu einer Wasserleiche gerufen wird, erkennt er sie sofort als seinen Kindergartenfreund. Den Kommissaren Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) erzählt er nichts davon, zu groß ist sein Schmerz, zu groß aber auch der Wunsch, professionell zu funktionieren. Es gelingt ihm nicht, und als die Witwe ihren Mann identifiziert und mit Vogt vertraut spricht, ist klar: Dieser Fall wird anders als alle Fälle zuvor, der Sidekick wird zum Protagonisten.

Vogt holt sein altes Leben ein, mit aller Wucht

Vogt seziert seinen alten Freund - und leidet. Vogt wühlt in der Vergangenheit - und das bereitet nur Schmerz. Vogt ermittelt - und bringt sich in Lebensgefahr. Vogt will vergessen - und erinnert sich zu genau.

Der Einzelgänger ist vor seinem alten Leben davongerannt, jetzt holt es ihn ein, wie eine riesige Welle, mit aller Wucht. Die alte Clique, die alte Liebe, die nie sein durfte, die Kollegen, die sich fragen, warum sie praktisch nichts über ihn wissen, obwohl sie seit Jahren zusammenarbeiten.

Flashbacks aus Vogts Teenagerzeit wechseln sich ab mit Zeilen aus dem Gedicht "Lethe" von Conrad Ferdinand Meyer aus dem 19. Jahrhundert, in dem es um Liebe, Jugend und Vergänglichkeit geht. In der griechischen Mythologie ist die Lethe der Fluss des Vergessens. Wer ihr Wasser kostet oder in ihr badet, der verliert die Erinnerung. Funktioniert bei Vogt nur leider nicht, das macht es so kompliziert.

Die starke Präsenz des Rechtsmediziners in dem Film von Katharina Adler (Buch) und Rudi Gaul (Buch und Regie) hat Darsteller Jürgen Hartmann selbst angeregt. Eine gute Idee! Fordert die Kommissare heraus, den Fall anders anzugehen, fordert die Menschen vor den Bildschirmen heraus, den Fall mit anderen Augen zu sehen. Vor allem, weil Hartmann seinen Job verdammt gut macht.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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