Die zweitschönste Figur in diesem Tatort aus Ludwigshafen ist der Arzt Hanno Roters, eigentlich eine Nebenrolle. Roters hat in einem Pflegeheim den Totenschein für einen alten Mann ausgestellt, der allerdings im Feuer des Krematoriums wieder zu sich kommt, aber da ist dann auch nichts mehr zu machen. Es zeigt sich, dass dem Nicht-Toten zuvor in mörderischer Absicht Insulin gespritzt wurde, der Arzt nimmt trotzdem alle Schuld auf sich; gerade ist ja auch seine Frau mit dem Chef durchgebrannt, weshalb er eigentlich, Glück im Unglück, dessen Stelle bekommen hätte, aber auch da ist dann ja jetzt nichts mehr zu machen. Faszinierenderweise ist der Doktor dabei zerzaust gemütlich und so treuherzig halbfröhlich, dass die Kommissarin Stern sich auf der Stelle in den Tollpatsch verknallt. Und spätestens bei dieser leicht übermütigen Wendung, in deren Folge Roters' knuddeliges Bäuchlein zu sehen ist, denkt man ungläubig: Moment, ist das wirklich ein Tatort aus Ludwigshafen, wo sonst so gut wie nie eine Überraschung den Fluss heruntergeschwommen kommt?
Wer lange lebt, hat viel Zeit, sich Feinde zu machen, sagt Dr. Odenthal und weiß, wovon sie spricht
Dabei verfilmt Regisseur Tom Lass, der zum Beispiel Folgen der Serie Druck inszenierte oder mit Pola Beck zusammen die wunderbar unromantische Romantik in Liebe. Jetzt erfand, hier eigentlich eine sehr moralische Story (Buch Stefan Dähnert). Zunächst glauben Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) bei dem Insulin-Fall an kriminelle Machenschaften der Heimleitung. Aber dann tritt - namensgebend für diese Episode - "Lenas Tante" auf, Frau Doktor Odenthal, klein, resolut, aufrecht, eine gefürchtete Staatsanwältin a. D., und platziert bedeutungsvoll den Hinweis, dass ein sehr alter Mensch auch sehr viel Zeit hatte, sich Feinde zu machen. Es geht hier um Rache, Ende der Diskussion. Und die Frau weiß, wovon sie spricht.
Natürlich ist sie die schönste Figur. Niki Odenthal, eine würdevolle, undurchschaubare und sehr trinkfeste Frau, der die großartige Schauspielerin Ursula Werner etwas von einer Mutter Courage des Rechtsstaats gibt, etwas beinah Helene-Weigel-Haftes. Mütterlich, aber alles andere als kuschelig, findet Niki es gar nicht gut, dass die Nichte immer noch in Ludwigshafen sitzt, bei Johanna Stern wittert sie da mehr Ehrgeiz. Es ist wirklich das allererste Mal, dass Lena Odenthal einem ein bisschen leidtut.
Die Frische dieses Tatorts jedenfalls ist wirklich überraschend. Und wer weiß, vielleicht ist ja, wenn schon nicht bei Doktor Roters' Patienten, dann doch zumindest beim Sonntagskrimi in Ludwigshafen noch etwas zu machen. Mit etwas Feuer.
Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.
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