"Tatort" Dresden:"Wie wär's mal mit 'ner Work-Wife-Balance, Herr Schnabel?"

Lesezeit: 3 Min.

Zwei gegen einen - da hat Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach) keine Chance. (Foto: MDR/Gordon Mühle)

In Dresden lügen sich die Kommissarinnen dreist gegenseitig ins Gesicht. Und ihr Chef träumt von einem altmodischen Schäferstündchen. Die "Tatort"-Nachlese.

Kolumne von Johanna Bruckner

Zuallererst, die Erkenntnis:

Der König ist tot, es lebe der König. Wobei der "König der Gosse", um den es im gleichnamigen Dresdner Tatort geht, eine zynische Karikatur des "Königs der Diebe" ist. Robin Hood nahm von den Reichen und gab den Armen. Hans-Martin Taubert kassiert vom Staat für die Versorgung von Obdachlosen, misshandelten Frauen, Flüchtlingen - und investiert in Pelzmäntel und Edelfisch beim Nobelitaliener. Sozialunternehmer nennt sich die Berufsbeschreibung neudeutsch, und von dieser Sorte Menschenfreund gibt es gleich zwei in diesem Tatort. Zumindest bis Taubert in Minute 25 den zweiten Mordversuch nicht überlebt. Der König ist tot, es lebe der König!

An sich geht es um:

Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Wie behandeln wir eigentlich die Schwächsten in unserer Gesellschaft? Ist es in Ordnung, an den Elendigen zu verdienen, wenn die das selbst gar nicht so schlimm finden? Wie viele Chancen hat ein Mensch verdient? Große Fragen, auf großer Bühne - im übertragenen und im Wortsinne. Dror Zahavi, Regisseur der Dresdner Folge, ist nicht der Erste, der den prominenten Sendeplatz am Sonntagabend nutzt, um den Zerstreuung suchenden Zuschauern Lektionen in Moral zu erteilen. Doch während die Botschaft im vergangenen Schweizer Tatort zum Thema Sterbebegleitung als Kanzelpredigt daherkam, inszeniert Zahavi seinen Film als mehrbödige Crossover-Parabel zwischen Krimi, Comic und Theaterstück.

Ganz schön viel künstlerische Ambition für den erst zweiten Fall des neuen Ermittlerinnen-Duos aus Dresden. Aber glücklicherweise verstehen Alwara Höfels (Kommissarin Henni Sieland) und Karin Hanczewski (Kommissarin Karin Gorniak) ihren Job ganz hervorragend. Wann immer der künstlerische Anspruch anstregend zu werden droht, bringen sie den nötigen Pragmatismus rein. Notfalls mit Humor. Oder wie es Ermittlerin Gorniak formuliert: "Hier gibt's 'nen gemischten Salat für elf Euro. Womit ist der gemischt - mit acht Euro?"

Bester Dialog:

Es läuft ohnehin schlecht in der Beziehung von Kommissarin Henni Sieland und ihrem Freund Ole Herzog. Und dann bringt sie abends auch noch unangekündigt drei Obdachlose mit nach Hause.

Henni Sieland: Kann ich dir das ganz kurz erklären?

Ole Herzog: Bist du wahnsinnig? Was ist das?

Henni Sieland: Entschuldige mal bitte, du bist doch der Erste gewesen, der mit so 'nem scheiß "Refugees welcome"-T-Shirt durch die Gegend gerannt ist!

Ole Herzog: Ja. Aber das ist 'n T-Shirt und das sind drei Penner in echt. Ja, wie auch immer. Jedenfalls sind das Einheimische und "Einheimische welcome" hab' ich nicht angezogen. Weißt du was, die Sozialnummer können wir von mir aus ja durchziehen, aber nicht unangekündigt - und schon gar nicht, wenn ich Lachs gekauft hab' für uns beide! Ich bin nicht Jesus mit seiner wunderbaren Lachs-Vermehrung.

Szenen wider das Tatort-Einerlei:

Ermittler, die Schwäche zeigen, sind en vogue - das wissen wir spätestens, seit Boom-Boom-Bulle Nick Tschiller (Til Schweiger) am Hamburger Hafen in den Dreck sank und heulte, weil wieder mal irgendeine wichtige Frau in seinem Leben entführt/vergewaltigt/getötet worden war. In Dresden ist Schwäche zeigen erfrischenderweise out. Das fängt bei Kommissariatsleiter Schnabel an, der vor dem Überbringen der Todesnachricht im Hausflur das Angehörigengespräch probt. Später erklärt er die Aufgabenteilung im Team wie folgt: "Das ist wie beim Stierkampf: Die beiden machen den Jungen mürbe, aber für den entscheidenden Stoß holen sie den Torrero."

Tatsächlich kommen die beiden, also Sieland und Gorniak, beruflich ganz prima alleine zurecht - wenn nur die privaten Sorgen nicht wären. Sieland muss sich vor Freund Ole für ihre Prioritätensetzung rechtfertigen. Und Gorniaks Sohn Aaron tut das, was pubertierende Rotzlöffel gerne mal tun: Unordnung schaffen, bei Ermahnung renitent reagieren, im Baumarkt etwas mitgehen lassen. Die Kommissarinnen hätten also Gründe genug, um sich bei der gemeinsamen Autofahrt mal so richtig auszukotzen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie lügen sich lieber dreist gegenseitig ins Gesicht. Läuft bei mir. Dito.

Die besten Zuschauerkommentare:

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Top:

Das Spiel mit den Klischees in diesem Tatort. Hilflos beobachten die Obdachlosen Hansi, Platte und Eumel, wie Sozialunternehmer Taubert von einer Brücke gestürzt wird. Seinen selbsternannten Bodyguards bleibt nur noch eines zu tun: ein Handy suchen und die Behörden alarmieren. Doch das ist gar nicht so einfach, wenn das eigene Erscheinungsbild die Straße verrät.

Mann vor Gaststätte: Wozu brauchen Sie denn das?

Eumel: Polizei rufen, du Penner!

Ein Penner schimpft das Bürgertum einen Penner.

Wenn's etwas zu kritisieren gibt, ...

... dann die stellenweise künstlerische und moralische Überfrachtung. Im "König der Gosse" treten nicht nur Hansi, Platte und Eumel als Ankläger gegen eine Gesellschaft auf, die sich nicht um jene schert, die irgendwann abgehängt wurden. Parallel lässt Sozialunternehmer Nummer zwei, Gerald Schleibusch, in seinem Laientheater die "Bettleroper" aufführen. Während dem Bettler-Darsteller auf der Theaterbühne zu "mehr Elend, mehr Elend" geraten wird, damit das Volk Mitleid zeige, zitiert Wohltäter Schleibusch im Zuschauerraum Brecht. Puh.

Einer geht noch:

Sieland und Gorniak klopfen Sprüche wie sonst nur Thiel und Boerne - und das ist gut so, denn Frauenfiguren dürfen viel zu selten lustig sein. Leidtragender ist in dieser Episode Chef Schnabel, der doch nur ein schönes altmodisches Schäferstündchen mit seiner alten Flamme vom Betrugsdezernat verbringen will.

Schnabel: Jetzt is' Feierabend -Work-Life-Balance, war doch neulich Ihre Rede.

Sieland: Wie wär's denn mal bei Ihnen mit 'ner Work-Wife-Balance, Herr Schnabel?

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