Sinn und Unsinn von Online-Petitionen:Ich will die Ruhe stören

Lesezeit: 3 min

Das Karussell von Petition und Gegenpetition im Internet dreht sich munter. (Foto: SZ-Grafik, Foto: Apple)

Jeden Tag möchten Menschen die Welt verändern - und immer mehr glauben, eine Petition im Netz sei der richtige Weg dafür. Oft kommt dabei nur Unsinn heraus. Wie sinnvoll ist das Verfahren?

Von Laura Hertreiter

Justin Bieber nervt, er soll nach Kanada ausgewiesen werden. Markus Lanz ist doof, er soll seine ZDF-Show verlieren. Alice Schwarzer hat Steuern hinterzogen. Sie kann, wenn's denn sein muss, bei ihrem Heftchen Emma bleiben, aber bitte: Weg mit ihrem Bundesverdienstkreuz.

Viele Menschen haben ihre eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit, und um ihr zum Erfolg zu verhelfen, richten sie mal eben eine kleine Petition ein, online, ein paar Mausklicks reichen, auf OpenPetition, change.org oder gleich auf der Webseite des Deutschen Bundestages oder des amerikanischen Präsidenten.

Dort steht zum Beispiel, das Popkind Bieber gefährde die Sicherheit der Amerikaner und sei "ein schrecklicher Einfluss auf die Jugend", also: weg mit der Greencard. Mehr als 240 000 Menschen haben unterzeichnet. Dass Lanz aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen verschwinden soll, begründet die Autorin, die sie nach dem entgleisten Fernsehtalk des Moderators mit Sahra Wagenknecht auf OpenPetition veröffentlicht hat, mit dem "notorisch peinlichen" Verhalten des Talkmoderators. Medien berichteten, das ZDF gab eine Stellungnahme ab, das volle Programm.

Petition und Gegenpetition

Dann entdeckten besonders Witzige die Meta-Ebene. Der Piraten-Politiker Christopher Lauer eröffnete die Petition "Markus Lanz soll mal bitte seine Show so machen wie er will, immerhin ist er ja erwachsen". Fernsehkabarettist Dieter Nuhr scheiterte beim Versuch, eine "Petition gegen Onlinepetitionswahn" einzureichen an den Nutzungsbedingungen zur Veröffentlichung. Klar, irgendjemand anderes sammelt jetzt Unterschriften für den Erhalt von Nuhrs Petition. Auf mehr Krawall war nur noch Zeit-Herausgeber Josef Joffe aus, der sich dazu verstieg, die "digitale Verwünschungskultur" mit der Hetze gegen Juden im Dritten Reich gleichzusetzen.

Das Karussell von Petition und Gegenpetition und Berichterstattung dreht sich seit dem munter. Aber warum? Tatsächlich haben die meisten Fälle, schon gar nicht der Fall Lanz, wenig mit der klassischen Petition zu tun. Der war Jörg Mitzlaff, dem Gründer der Plattform OpenPetition, auf der Stimmen gegen Lanz gesammelt wurden, Grund genug, künftig keinen Protest mehr gegen Menschen zuzulassen: Die Seite sei kein "Meinungsportal", sondern ein "politisches Werkzeug".

Eine Petition war ursprünglich ein politisches Instrument, das Einzelnen und Minderheiten die Chance gibt, auf Missstände hinzuweisen. Seit dem 18. Jahrhundert sind Petitionen juristisch geregelt, die Möglichkeit zur Eingabe ist im Grundgesetz gesichert. Jeder, der mit einem an die Regierung gerichteten Gesuch innerhalb von sechs Wochen mehr als 50 000 Unterstützer auftreibt, muss von der Regierung gehört werden.

Etwa 60 solcher Anfragen landen jeden Tag im Petitionsausschuss des Bundestages, der seit 2005 online zu erreichen ist: Für niedrigere Versicherungsbeiträge, für bessere Lebensmittelkennzeichnung, gegen Windparks.

Auf einem offiziellen Petitionsweg soll auch Bieber um seine Greencard gebracht werden. Der Antrag wurde auf der Website des Weißen Hauses eingereicht. Von dort aus landen Gesuche auf dem Tisch des Präsidenten, wenn sie innerhalb eines Monats mehr als 100 000 Unterstützer finden. Für die Bieber-Abschiebung reichten wenige Tage. Eine Antwort von Barack Obama steht noch aus, dem Präsident ist keine Frist gesetzt, bis wann er sich äußern muss. Möglicherweise hat er vorher Wichtigeres zu erledigen.

Damit unterscheiden sich die offiziellen Petitionen maßgeblich von den Eingaben auf freien Plattformen. Im Fall Lanz, zum Beispiel, solidarisierten sich Tausende Empörte blitzschnell, und dennoch geschah exakt: nichts. Weil die Anti-Lanz-Petition in eine andere Kategorie fällt. Sie ist eine von Hunderttausenden, die derzeit im Netz kursieren. Auf Plattformen, wie OpenPetition, Change.org oder Campact kann jeder sein Anliegen veröffentlichen, debattieren und unterzeichnen lassen kann. Für die Rettung eines Delfinbabys in Japan, die Legalisierung von Cannabis oder mehr Personal in Pflegeeinrichtungen. Im Unterschied zur Bundestags- oder White-House-Petition ist der Adressat nicht zu einer Reaktion verpflichtet.

Via Kommentarspalte zum Netz-Megafon

Solche Petitionen sind weniger politisches Instrument als Netz-Kommunikation. Erst die Schlagzeilen und Kommentarspalten machen sie gerade zum Netz-Megafon. Mit allen Vor- und Nachteilen: Im besten Fall ist die Online-Petition eine Bereicherung für den öffentlichen Diskurs, wenn sie Themen jenseits politischer oder medialer Agenda in den Fokus rückt. Im schlechtesten Fall sind Petitionen nur Ressentiments und Stammtischparolen. Ein Großteil davon versandet unbeachtet. Dass es auch anders geht, zeigt die umstrittene Petition gegen die "Akzeptanz sexueller Vielfalt" im Lehrplan oder jene gegen die "Drosselkom" im vergangenen Jahr.

Um beim Schreibtischprotest das große Wort führen zu können, muss man sich nicht gerade anstrengen: Wer früher mit Block und Bleistift Unterschriften sammelte, bleibt heute bequem auf der Couch sitzen. Und das, ohne Gesicht zeigen zu müssen. Meist genügt es, sich mit (nicht unbedingt echtem) Namen und E-Mail-Adresse auszuweisen, und selbst das kann man fälschen. Deshalb warfen Kommentatoren den Lanz-Gegnern vor, nur aus der "digitalen Anonymität" und im "animalischen Rudel mutig" zu sein.

MeinungSimulierte Demokratie im Internet
:Klick, Maus und Shitstorm

Die Online-Petition gegen ZDF-Moderator Markus Lanz mag wie ein Beispiel für direkte Demokratie erscheinen, doch sie ist nicht viel mehr als eine Kundenbewertung. Solche Online-Simulationen von Aktion, Gemeinschaft und Willensbildung lenken von wirksamem politischem Engagement ab.

Ein Kommentar von Andrian Kreye

Das muss nicht schlimm sein. Wie man von Facebook, Twitter, Blogs, Leserkommentaren und Foren weiß, sind auch Klarnamen kein Garant für kluge Kommentare. Umgekehrt kann auch "SexyChick81" kluge Beiträge liefern. Dazu kommt: Wer weiß überhaupt, ob ein Name echt ist?

Der Bundestag jedenfalls nicht mit Sicherheit. Selbst die Profis vom Parlament prüfen nur stichprobenartig: Die Mitarbeiter senden einzelnen Nutzern einen Brief an die bei der Anmeldung angegebene Adresse. Kommt er als unzustellbar zurück, wird das Benutzerkonto gelöscht. In den kommenden Monaten soll die Identifikation mit dem elektronischen Personalausweis etwas zuverlässiger werden.

Der Medienkritiker Jeff Jarvis ist Initiator einer so selbstironischen wie erfolglos verpufften Petition mit dem Ziel "alle Petitionen abzuschaffen". Sie seien nur dazu da, um den Antragstellern Aufmerksamkeit zu verschaffen. Seine eigene Petition sei da keine Ausnahme. Also: weg damit.

© SZ vom 05.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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