Jetzt gibt es also einen Volksaufstand gegen das ZDF. So scheint es zumindest, weil vorläufig mehr als 170.000 Menschen eine Petition unterzeichnet haben, die den Rauswurf des Moderators Markus Lanz einfordern. Das sind immerhin fast zehn Prozent der Zuschauer, die bei der Sendung zuschauten, welche die nachhaltige Empörung auslösten. Das war eine seiner spätabendlichen Talkshows, bei der er die Oppositionspolitikerin der Linkspartei Sahra Wagenknecht zu Gast hatte.
Man kann darüber streiten, ob Markus Lanz versucht hat, eine unbequeme Meinung mit reaktionärem Geplapper wegzudrängen, oder ob es wirklich eine Unverschämtheit war, dass er Sahra Wagenknecht übers Maul fuhr. Höflichkeit gehört schließlich nicht zur Berufsbeschreibung von Journalisten. Eigentlich gehört es sogar zu den grundlegenden Moderatorenpflichten, dass sie den Redefluss von Politikern stoppen, die stur ihr Parteiprogramm herunterbeten.
Man könnte Markus Lanz sogar vorwerfen, dass sein öffentliches Bedauern am Freitag der eigentliche Fehler war, weil er, ähnlich wie Marietta Slomka beim Interview mit Sigmar Gabriel, doch nur sauberes Handwerk bewiesen hat.
Aber darum geht es längst nicht mehr. Es geht um die Empörung. Und da liegt auch schon das Problem mit der Petition gegen Lanz. Was sich als direkte Demokratie geriert, ist nicht viel mehr als eine Kundenbewertung.
Markus Lanz ist nur Zielscheibe für die steigende Unzufriedenheit eines Fernsehpublikums, das sich nicht damit zufrieden geben will, dass hinter der dürren Ödnis der öffentlich-rechtlichen Medienrandgebiete ja die Schlaraffenländer der Internetplattformen, Kabel- und Privatsender liegen. Weil sie sich als Konsumenten um ihre freie Wahl betrogen sehen, mit Geld und Aufmerksamkeit nur dafür zu bezahlen, was ihnen wirklich gefällt.
Reduktion auf ein Minimum an Mausklicks
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wird eben mit Pflichtgebühren finanziert, wie man sie auch für Müllabfuhr und Trinkwasser bezahlt. Weil die Programme von ARD und ZDF aber für eine steigende Mehrheit von Zuschauern verzichtbar geworden ist, geht die Idee von der Grundversorgung nicht mehr auf.
So gesehen gehört ein tendenziöser Moderator auch eher in die privatwirtschaftlichen Medien, die keinen Auftrag haben, sondern ein Geschäftsmodell, das oft auch eine politische Ausrichtung für eine bestimmte Zielgruppe bedeutet. Doch ist so eine Petition im Internet deswegen politischer Widerstand?
Initiatorin der Petition ist die Betriebswirtin Maren Müller, eine ehemalige Linkspartei-Genossin von Sahra Wagenknecht. Nach der Sendung, sagte sie Kollegen von Spiegel Online, sei sie so aufgebracht gewesen, dass sie nicht schlafen konnte. "Also habe ich meinen Rechner hochgefahren und die Petition da reingehackt. Ich wusste nicht, wie ich diesen Frust anders hätte abbauen können."
Das Aufsetzen so einer Petition dauert auf der Webseite openpetition.de nicht lange. Die Benutzerführung ist leicht verständlich und stringent. Zwei der drei Initiatoren arbeiten hauptberuflich bei einer Preisvergleichswebseite, wissen also, wie man komplexe Vorgänge auf ein Minimum an Mausklicks reduziert.
Damit aber steht die Online-Petition in der Tradition der "mag ich"-"mag ich nicht"-Reflexe, die soziale Netzwerke wie Facebook ihren Nutzern entlocken, um möglichst umfassende Meinungsbilder ihrer Nutzer an Werbekunden zu liefern. Die angebliche Mausklick-Demokratie ist deswegen kein Ausdruck eines politischen Willens, sondern Abbild momentaner Launen.
Manche Laune kann im Rahmen der digitalen Schneeballsysteme zu einem "Shitstorm" anschwellen. Doch ein paar hunderttausend Petitionsklicker sind keine Bewegung, auch wenn die traditionellen Medien sich gerne verleiten lassen, Klickzahlen als relevantes Abbild einer Volksmeinung zu interpretieren.
Immerhin: Facebook hat in Deutschland mit 26 Millionen registrierten Nutzern schon mehr Mitglieder als die katholische Kirche. Doch schon bei Twitter reduziert sich die digitale Öffentlichkeit mit geschätzt einer Million Nutzern zur lautstarken Minderheit. Es macht es nur so einfach, weil Meinung vermeintlich messbar ist, und zwar ebenfalls mit wenigen Klicks.
So wird Politik zum passiven Konsum. Denn der Klick, egal ob mit Maus oder Fernbedienung, ist kein aktives Handeln, sondern Konsumentscheidung. Nun kann man die digitalen Medien aus dem eigenen Leben noch einfacher ausblenden als die Fernsehsender.
Und doch sind die Simulationen politischer Aktion im Netz ein Problem mit Folgen, die weit über den gegenseitigen Ärger über Markus Lanz und seine streitbaren Gegner hinausgehen. Wenn es darum geht, nicht nur Empörung zu zeigen, sondern echten Widerstand zu leisten, hat das Internet nämlich eine durchaus wichtige Rolle. In freiheitlichen Gesellschaften wie in autoritären Systemen kann es als Meinungsforum, als Mobilisierungswerkzeug und Mittel der Organisation wirken.
Es war vor allem der arabische Frühling, der gezeigt hat, welche Rolle das Netz spielen kann. Der tunesische Aktivist Sami Ben Gharbia hat beispielsweise ein sehr schlüssiges Modell entwickelt, wie Protest im digitalen Zeitalter funktionieren kann.
Impertinenz ist kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Im Idealfall ist das ein Zusammenspiel von Straße, Exil, Internet und traditionellen Medien, die gemeinsam eine Bewegung bilden können, die sehr viel wirksamer sein kann, als die traditionellen Aufstände - wie ja gerade das Beispiel Tunesien gezeigt hat.
Soziale Netzwerke wie Twitter, Enthüllungsplattformen wie Wikileaks und Blogs wie Ghabrias Webportal Nawaat bündeln Informationen und Aktion. Traditionelle Medien nehmen diese Fluten der Informationen auf, verifizieren, ordnen und speisen ihre Berichte und Analysen wieder zurück ins Netz.
Dort kann die Opposition sie wieder aufnehmen und nutzen. Wobei die direkte Aktion auf der Straße das wichtigste Element in diesem System der politischen Aktion bleibt.
In freiheitlichen Ländern wie denen Europas geht es aber nicht um Extreme. Markus Lanz Langeweile und Impertinenz sind auch keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch gerade deswegen ist die Entwertung der Politik durch die Passivität des politischen Klickens noch wirksamer. Lassen sich Aktion, Gemeinschaft und Willensbildung mittels einfacher Benutzeroberflächen simulieren, wird das die Energien breiter Schichten soweit ablenken, dass wirksame politische Aktion immer unwahrscheinlicher wird. Das entwertet auch die Kraft des Internets.