Berichten im Krieg:Wie man weitermacht

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Das Studio von Echo Moskwy: Der russische Radiosender wurde am 1. März von Roskomnadsor, der Aufsichts- und Zensurbehörde für Medien, abgeschaltet. Er hatte kritisch über den Krieg berichtet. (Foto: Mikhail Japaridze/imago images/ITAR-TASS)

Viele Journalistinnen und Journalisten verlassen Russland aus Angst vor Verfolgung, ganze Redaktionen berichten jetzt aus dem Exil. Wie "Reporter ohne Grenzen" ihnen helfen will.

Von Anna Ernst

Der 24. Februar, jener Donnerstag, an dem der russische Angriffskrieg begonnen hat, wird nicht nur als Tag der Katastrophe für die Ukraine in die Geschichte eingehen. Auch für Russlands Bevölkerung hat sich seit jenem Tag das Leben verändert. Massiver denn je geht der Kreml gegen Kritik und Proteste im eigenen Land vor. Im Eilverfahren wurde Anfang März das neue Mediengesetz verabschiedet, das jede Form von kritischem, unabhängigem Journalismus praktisch zunichtemacht. Am 25. März unterzeichnete Wladimir Putin noch eine Verschärfung dieses Gesetzes, das nun heftige Strafen vorsieht: Bis zu 15 Jahre Haft drohen jedem, der von den offiziellen Kreml-Erzählungen über das Geschehen in der Ukraine abweicht, der das Wort "Krieg" verwendet und angebliche "Falschinformationen" verbreitet.

Zahlreiche der verbliebenen, freien Medien mussten seitdem schließen. Der beliebte Radiosender Echo Moskwy etwa wurde am 1. März von Roskomnadsor, der russischen Aufsichts- und Zensurbehörde für Medien, abgeschaltet, weil er kritisch über die Invasion berichtet hatte. Ähnlich erging es der Nowaja Gaseta, die als wichtigste unabhängige Zeitung Russlands gilt. Ihr Chefredakteur Dmitrij Muratow war im Dezember noch für seine Bemühungen um die Presse- und Meinungsfreiheit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Nach Druck der Aufsichtsbehörde Roskomnadsor erklärte auch seine Zeitung in der vergangenen Woche, dass sie ihre Arbeit bis Kriegsende einstellt.

"Wir erleben einen Zusammenbruch der unabhängigen russischen Medienlandschaft", sagt Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen. Die international tätige NGO setzt sich weltweit für Pressefreiheit und gegen Zensur ein. Sorgenvoll beobachtet sie die Situation in Russland. Viele Medienschaffende seien angesichts der neuen Gesetze noch nachts "Hals über Kopf" in Flieger gestiegen, um das Land zu verlassen, sagt Mihr. Teilweise würden komplette Redaktionen ins Ausland flüchten.

Kremlkritische russische Zeitung
:"Nowaja Gaseta" bis Kriegsende eingestellt

Unter dem Druck neuer Mediengesetze in Russland setzt nun auch eine der wichtigsten unabhängigen Zeitungen ihre Arbeit aus.

Betroffen sind nicht nur Mitarbeiter der großen Medien wie die Nowaja Gaseta. Viele kleinere Onlinepublikationen, Podcaster, Journalistinnen und Journalisten, die über eigene Websites und soziale Medien berichteten, trifft es hart. Diese kleineren Kanäle seien zwar im Ausland weniger bekannt, hätten in Russland aber oft eine beeindruckende Reichweite besessen, betont Mihr. Und sie spielten eine wichtige Rolle bei der Beschaffung unabhängiger Informationen über den Krieg und die russische Politik.

Deutschland macht den Reportern die Einreise gerade schwer

Die meisten der Journalisten fliehen nach Georgien oder Armenien, teils auch ins Baltikum, weil ihnen dort die Einreise am leichtesten möglich ist - im Gegensatz zu Deutschland. Die Bundesrepublik stellt ihnen aktuell nur Schengen-Visa aus, also Touristenvisa mit einer Gültigkeit von bis zu drei Monaten. In den ehemaligen Sowjetrepubliken haben es russische Journalisten leichter. Dort ist auch Russisch noch immer weit verbreitet. Wer in Armenien etwa den Fernseher einschaltet, bekommt meist russischsprachiges Programm zu sehen.

Zahlreiche Journalisten, die nun in Eriwan oder auch im georgischen Tiflis ankommen, wollen versuchen, die Bevölkerung in der Heimat weiterhin mit unabhängiger Berichterstattung aus dem Exil heraus zu versorgen. "Wir erleben, dass Journalisten und teilweise ganze Redaktionsgemeinschaften nun eigentlich weiterarbeiten wollen", sagt Christian Mihr. Doch es gibt Hürden: Oft ist sind technische Unterstützung und Ideen für neue Formate nötig, um Russlands Online-Zensur umgehen zu können. Vor allem aber fehlt es an schnellem, flexiblem Geld, um im Exil eine neue Redaktion aufzubauen, wenn die bisherige Finanzierungsstruktur zusammengebrochen ist. "Viele, viele Anfragen" würden derzeit bei seiner NGO eingehen, sagt Mihr.

Ein neuer Fonds soll helfen, er wird auch von deutschen Medienhäusern unterstützt

Abhilfe schaffen soll künftig ein Fonds: der sogenannte JX Fund, ein europäischer Fonds für Journalismus im Exil. Reporter ohne Grenzen hat ihn gemeinsam mit der Rudolf-Augstein-Stiftung und der Schöpflin-Stiftung ins Leben gerufen. Einige große deutsche Medienhäuser haben bereits ihre Unterstützung signalisiert. Den Exiljournalisten soll der Fonds eine möglichst unbürokratische finanzielle Soforthilfe gewähren. Gleichzeitig versteht er sich als eine Art Schnittstelle, die die zahlreichen deutschen Hilfsangebote von Unternehmen, Initiativen und staatlichen Stellen bündelt und die Hilfe dorthin weiterleitet, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Und das sei eben nicht ausschließlich nur in der Ukraine, erklärt Mihr: "Oft finden die Hilfsangebote nicht zusammen mit den Nachfragen." Viele ukrainische Journalisten würden derzeit noch in ihrem Land bleiben und dort weiterarbeiten wollen. Ihnen müsse anders geholfen werden - etwa mit Schutzausrüstungen. Reporter ohne Grenzen unterstützt sie von einem Pressezentrum in Lwiw aus. Der neue Fonds aber soll vor allem jenen geflohenen Journalisten zugutekommen, die sich nun in Drittländern eine neue Existenz aufbauen müssen.

Christian Mihr ist Journalist, Menschenrechtsaktivist und Experte für internationale Medienpolitik. Seit 2012 ist er Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. (Foto: Jule Halsinger)

Die Erfahrung zeigt, dass Exilmedien einen wichtigen Beitrag leisten können. Ein gutes Beispiel ist Meduza, eins der reichweitenstärksten unabhängigen Nachrichtenportale in russischer Sprache, das seinen Sitz in der lettischen Hauptstadt Riga hat. Gegründet wurde es bereits im Oktober 2014 von Galina Timtschenko, der ehemaligen Chefredakteurin der russischen Onlinezeitung Lenta.ru. Nachdem Russlands Aufsichtsbehörde Roskomnadsor ihre kritische Arbeit gerügt hatte, war Timtschenko vom Lenta.ru-Inhaber kurzerhand vor die Tür gesetzt worden. Viele Mitarbeiter protestierten, wurden ebenfalls entlassen und gingen mit ihr ins lettische Exil, von wo aus sie seitdem ihre Arbeit unter dem Namen Meduza fortsetzen - ohne Zensur und ohne die ständige Angst vor der Verfolgung durch russische Sicherheitsbehörden. Auf der Website berichten sie kritisch und investigativ über den Krieg und die Pläne des Kremls.

Die Menschen in Sicherheit zu bringen, reicht nicht

Angesichts der Vielzahl internationaler Regionen, in denen die Pressefreiheit immer stärker eingeschränkt wird, will Reporter ohne Grenzen mit dem neuen JX Fonds aber nicht allein russischen Exiljournalisten helfen. Auch viele afghanische Journalisten, die nach der Machtübernahme der Taliban im vergangenen Jahr aus dem Land geflohen sind, benötigen nach wie vor Hilfe - auch wenn der Krieg in der Ukraine die Taten der Taliban in der deutschen Öffentlichkeit aktuell überschattet. "Reporter ohne Grenzen hat seit Herbst 150 Journalisten und ihre Familienangehörigen bei der Evakuierung unterstützt", sagt Christian Mihr. Das seien insgesamt etwa 500 Menschen. Viele von ihnen würden noch immer in Unterkünften festhängen und könnten noch nicht wieder ihrer Arbeit nachgehen. Auch ihnen soll der neue Fonds zugutekommen. Um über Unterdrückung, Krieg und Gräueltaten weltweit aufzuklären, reiche es nicht, unabhängige Journalisten in Sicherheit vor Verfolgung zu bringen, sagt Mihr. "Ihre Stimmen dürfen auch nicht verstummen."

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