Nun fällt das Wort in der Berichterstattung von RT Deutschland also doch: Krieg. Wurde es in der vergangenen Woche noch ganz vermieden, seit Russland am Donnerstag den Krieg begonnen hat, findet es sich inzwischen in den Online-Beiträgen und dem Liveprogramm des russischen Auslandssenders. Welche Wahrheiten der Sender anerkennt, welche nicht, und welche er zu Halbwahrheiten vermengt, ist deshalb bemerkenswert, weil RT (früher Russia Today) zum Medienunternehmen Rossija Sewodnja gehört, der sich direkt aus dem russischen Staatshaushalt finanziert. Er richtet sich in seiner Berichterstattung ganz nach Putins Darstellung und sendet auch live nach Deutschland - obwohl ihm das eigentlich schon verboten wurde, und obwohl nun auch die EU gegen die "giftige und schädliche Desinformation in Europa" der Staatssender RT und Sputnik vorgehen will.
"Aber welche Alternative hätte er denn gehabt?," heißt es währenddessen am Montag zu Putins Angriff auf die Ukraine in der Talksendung Fasbender im Gespräch auf RT DE, von dem früheren DDR-Oberst Bernd Biedermann an den RT-Moderator Thomas Fasbender gerichtet, Autor einer gerade erschienenen Putin-Biografie im Manuscriptum-Verlag. Im Moment sei das gar kein Krieg, heißt es dann, nur eine "selektive militärische Operation".
Die russische Medienaufsicht wäre mit dieser Wortwahl zufrieden. Am Samstag teilte die russische Medienaufsicht Roskomnadsor mit, dass sie einheimischen Medien verbiete, ihn mit Begriffen wie "Angriff", "Invasion" oder "Kriegserklärung" zu charakterisieren. Die Begriffe sollen aus Berichten auch nachträglich gelöscht werden, ebenso Hinweise auf von russischen Streitkräften in der Ukraine getötete Zivilisten. Auch RT zeichnet ein Bild des Krieges, in dem Russland der ukrainischen Bevölkerung zu Hilfe eilt, um das Land zu "entmilitarisieren" und "entnazifizieren". Die Ukraine wird dabei zum "radikalen bewaffneten antirussischen Instrument in den Händen des Westens".
Eine Lizenz hat der Sender hier nie beantragt, wäre wohl auch aussichtslos gewesen
RT DE sendet Putins Sicht auf die Dinge via Livestream und Satellitenempfang seit Mitte Dezember auch nach Deutschland, damals zur Überraschung der deutschen Medienaufsicht. Denn der Sender hat hierzulande gar keine Lizenz, um lineares Programm zu senden. Die zuständige Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Landesmedienanstalten hat die fehlende Lizenz schon Anfang Februar beanstandet und die Verbreitung des Senders in Deutschland untersagt. RT DE sende ein zulassungspflichtiges Programm mit Sitz in Deutschland, habe aber hierzulande nie eine Lizenz beantragt, so eine Sprecherin vergangenen Freitag gegenüber der SZ. Allerdings wäre es zumindest unwahrscheinlich, dass der Sender damit Erfolg gehabt hätte. Denn ein Prinzip der deutschen Rundfunkzulassung ist die Staatsferne, die mit einer aus dem russischen Staatshaushalt finanzierten Mutterorganisation nicht gegeben sein dürfte. Die von der ZAK verfügte Einstellung des linearen Programms betreffe "alle Verbreitungswege" von RT DE, insbesondere auch die verschiedenen Livestreams.
Trotzdem sendet RT DE munter weiter und macht sich dafür die Langwierigkeit juristischer Auseinandersetzungen zunutze. Die zuständige RT DE Productions GmbH ficht das Verbot der ZAK vor dem Verwaltungsgericht Berlin an, wie das Gericht bestätigt. Die Begründung: Sie sei in Wirklichkeit eine "unabhängige Produktionsfirma" und nicht der "Betreiber des Fernsehsenders RT DE" mit Sitz in Moskau. Nun muss geklärt werden, wer tatsächlich für das Programm von RT DE verantwortlich zeichnet. Laut Gericht wird über die Klage "in absehbarer Zeit noch entschieden".
Bis zu der Entscheidung gilt eigentlich das Sendeverbot. Es sei denn, RT würde einen Eilantrag beim zuständigen Gericht einreichen. Laut der zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) habe dies die RT DE Productions GmbH zwar mehrfach angekündigt, jedoch bisher unterlassen. Weil RT weitersendet, hat die MABB nun reagiert: Sie droht mit einem Zwangsgeld von 25 000 Euro und will dieses festsetzen, sollte RT DE sein lineares Programm bis zum 4. März 2022 nicht einstellen. Der RT DE Productions GmbH stehe "nach wie vor frei, einen Eilantrag" einzureichen, so eine Sprecherin der MABB am Dienstag gegenüber der SZ. In dem Verfahren geht es nur um das lineare Programm des Senders via Satellit und Livestreams. Unberührt davon kann RT DE seine Inhalte auf Abruf zur Verfügung stellen, was der Sender bereits seit 2014 in Deutschland macht, früher unter dem Name RT Deutsch.
Doch inzwischen versucht auch die EU, RT DE zu verbieten, und erzielt dabei schon Erfolge: Am Sonntag kündigte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, gegen russische Staatsmedien wie RT und Sputnik sowie deren Tochtergesellschaften vorzugehen. Anders als auf der deutschen Ebene, wo es derzeit nur um das formale Fehlen einer Lizenz geht, formulierte von der Leyen inhaltliche Argumente: Sputnik und RT werden, so von der Leyen auf Twitter, "nicht länger ihre Lügen zur Rechtfertigung von Putins Krieg verbreiten können".
Seit Montag im Programm: Dokus statt aktueller Berichterstattung
Die Chefredakteurin von RT, Margarita Simonjan, erwiderte: "Wir wissen, wie wir unser Geschäft angesichts von Verboten betreiben können. Darauf haben uns diese Freiheitsliebenden acht Jahre lang vorbereitet." Keine einzige Person, "die in irgendeinem Land treu für uns gearbeitet hat und weiterhin arbeitet", werde entlassen.
Schaltet man seit Montag das Liveprogramm von RT DE ein, fällt aber auf, dass kaum noch aktuelle Berichterstattung gesendet wird. Dokus in Dauerschleife füllen das Programm, am Dienstag laufen immer wieder die halbstündigen Beiträge "Syrischer Tango" und "Wer hat Angst vorm Weltuntergang". Auf diesbezügliche Nachfrage bei RT DE reagierte der Sender bis Dienstag nicht.
Einen Hinweis auf einen möglichen Grund dafür gibt ein Vorgang bei einem Schwesterunternehmen von RT DE. Bei der Berliner Redaktion der Videonachrichtenagentur Ruptly, ebenfalls eine Tochter von Rossija Sewodnja, die auch RT mit Inhalten beliefert, verlassen die Mitarbeiter das Unternehmen mittlerweile in großen Zahlen, wie einer von ihnen der SZ bestätigt. Der Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte, ist wie viele seiner Kollegen aus politischem Protest krankgeschrieben. Wer es sich finanziell leisten könne und nicht etwa auf ein an die Arbeit gebundenes Visum angewiesen sei, habe direkt gekündigt, sagt er.
Auch die großen Tech-Konzerne wollen die Kanäle von RT DE sperren
Laut Einschätzung der Deutschen Journalistenunion Verdi Berlin Brandenburg habe das ganze mittlere Management von Ruptly das Unternehmen verlassen, so der Landesgeschäftsführer Jörg Reichel. Bei Ruptly und RT DE, deren Belegschaften Überschneidungen aufweisen, hätten bis Dienstag insgesamt Mitarbeiter in einem mittleren zweistelligen Bereich gekündigt oder sich krankschreiben lassen. Nicht alle Mitarbeiter seien ideologisch involviert gewesen. Vielen von ihnen sind Quereinsteiger in den Medien, kommen keineswegs nur aus Russland oder Deutschland, sondern der ganzen Welt. Die redaktionelle Linie hätten sie bisher zwar akzeptiert, doch nicht wenige, so erzählt es auch der Mitarbeiter, hätten lieber bei CNN, BBC oder Reuters gearbeitet, wenn es für sie möglich gewesen wäre.
Am Dienstagvormittag reagierten auch die großen Tech-Konzerne auf das angekündigte Vorgehen der EU. Die Betreiber von Facebook, Twitter, Tiktok und Google wollen demnach auf Aufforderung der EU die Kanäle von RT und Sputnik ab sofort sperren. Auch Google, zu dem die Videoplattform Youtube gehört, blockiere mit sofortiger Wirkung Kanäle von RT und Sputnik in ganz Europa, heißt es von dem Konzern am Dienstagvormittag. Twitter kündigte an, die bereits bestehenden Warnhinweise für staatliche Medien mit weiteren Labels zu versehen. Gemeint sind wohl neue rote Ausrufezeichen, die nun die Tweets von RT DE markieren.
Bereits vor Dienstag hatten die Betreiber von Facebook, Instagram, Twitter und Youtube den Druck auf RT in Europa schrittweise erhöht. So schränkte beispielsweise Facebook die Werbefinanzierung von RT-Inhalten ein. Anfragen der SZ an RT DE blieben bis Dienstagnachmittag unbeantwortet.