"Polizeiruf" aus Rostock:Schwerer Stoff

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Nicht die beste Vater-Sohn-Beziehung: Sami (Jack Owen Berglund, links) und Alexander Bukow (Charly Hübner) in einer Szene des Rostocker Polizeirufs "Kindeswohl". Im Hintergrund: Keno (Junis Marlon) und Katrin König. (Foto: dpa)
  • Im neuen Polizeiruf aus Rostock geht es um Kinder, die zu Pflegefamilien ins europäische Ausland geschickt werden.
  • "Kindeswohl" stellt die Frage: Was passiert, wenn man Kinder nicht mehr erreicht, wenn sie entgleiten?
  • Man hätte sich zu diesem schweren Stoff mehr Informationen gewünscht, trotzdem ist der Polizeiruf sehenswert.

Von Claudia Tieschky

Muss man sich Sorge um Katrin König machen? Die Kommissarin vergisst ihren Kaffeebecher auf dem Autodach, starrt ihn an, als wüsste sie nicht, was das ist und greift schließlich mit einer Gier danach, als hätte sie seit Jahren keinen Kaffee bekommen. Manchmal schaut sie auch einen großen Burger oder einen Mann so an. Man erinnert sich, dass die sonst zackige Ermittlerin (gespielt von Anneke Kim Sarnau) im letzten Polizeiruf 110 aus Rostock einen Beweis fälschte. Üble Sache.

Übel ist auch das, womit es Katrin König und Alexander Bukow (Charly Hübner) in der Folge namens "Kindeswohl" zu tun bekommen. Ums Kindeswohl geht es gerade nicht, sondern darum, wie sich skrupellose Menschen damit bereichern, Jugendliche in Pflegefamilien nach Polen zu vermitteln. Ganz legal, wie sich herausstellt, was den Hauptkommissar Röder (Uwe Preuss) rasend macht: "Das kann doch nicht wahr sein! Wo leben wir denn?" Röder glaubt auch, dass sein Team eine große Familie ist. Den Eindruck kann man haben, weil sich alle ständig ergebnislos anraunzen und sich sowieso viel zu nahe sind.

Wortkarg dagegen wirken die zwei Freunde, die eine furchtbare Tat begehen und in Richtung polnische Grenze laufen. Der eine, Keno, ist ein gewalttätiges Pflegekind mit Waffe und der andere ein weichlicher, behüteter Junge. Der ist Kommissar Bukows Sohn Sami. Sie ziehen durch Winterwälder wie Kinder in einem Märchen, das nicht gut endet. Und dann ist da noch ein dritter, Otto, der verzweifeltste, der Keno aus Polen einen Abschiedsbrief geschrieben hat. Keno weiß nicht, was in dem Brief steht, er kann nicht lesen.

Was passiert, wenn man Kinder nicht mehr erreicht, wenn sie entgleiten? In diesem Winterfilm (Regie: Lars Jessen) hängt die Antwort mit brutaler Konsequenz vom sozialen Status ab, aber auch davon, ob da jemand ist, der ein Kind schützt. Der Zuschauer wird sich fragen, wie realistisch die Verwicklung eines Jugendamts in systematische Vernachlässigung und Ausbeutung ist, wie sie der Film darstellt. "Wenn ein Autokonzern seine Produktion nach Tschechien verlegt, um Kosten zu sparen, dann kann das jeder nachvollziehen", so verteidigt sich die Frau vom Jugendamt im Krimi.

Schwerer Stoff, zu dem man sich mehr Informationen wünschte als den dürren Satz im Abspann: "Derzeit leben etwa 850 Kinder aus Deutschland in Pflegefamilien im europäischen Ausland." Generell macht es sich das Drehbuch (Christina Sothmann, Lars Jessen, Elke Schuch) nicht einfach: Bukow selbst war schon lang an dem Punkt, an dem er Sami vor Hilflosigkeit nur anbrüllte. Jetzt verfolgt er seinen Sohn wie einen Täter und leidet wie ein Hund.

Das ist schlimm, es ist schmerzhaft, es ist sehenswert. In einem dieser dramatischen Momente hat König keinen Kaffeebecher zum Anstarren, sondern sagt Bukow ein paar harte, wahre Sätze. Dann macht sie die Autotür auf und kotzt kurz. Man muss sich um sie keine Sorgen machen.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 06.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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