Polizeiruf 110:Dieser "Polizeiruf" ist mehr Endzeitdrama als Krimi

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Olga Lenski (Maria Simon) und Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) treffen auf Lennard Kohlmorgen (Jürgen Vogel). (Foto: Oliver Feist/rbb)

Apokalypse jetzt: Im neuen "Polizeiruf" aus Brandenburg kapern Cyberterroristen das Stromnetz und die Menschen fangen Fische mit bloßen Händen.

Von Holger Gertz

Bei Olga Lenski (Maria Simon) wird eingebrochen, die Täter haben sie und ihre Tochter im Schlaf gefilmt, das herumliegende Smartphone liefert den Beweis. Dieser Eingriff ins Privateste zieht der Kommissarin sämtliche Bretter unter den Füßen weg, sie muss auf einem Bauernhof zu sich selbst finden und begegnet dort dem Selbstversorger Lennard Kohlmorgen (Jürgen Vogel). Lenskis Not potenziert sich ungewollt, denn Kohlmorgen ist ein "Prepper", der glaubt, dass die Welt bald untergeht. "Einmal einen Fisch mit den eigenen Händen gefangen - und Sie sind ein neuer Mensch", sagt er zur Kommissarin, die einen Fisch mit den eigenen Händen fängt und dann aber feststellt, dass sie trotzdem der alte angstbesetzte Mensch geblieben ist.

Der Polizeiruf "Demokratie stirbt in Finsternis" ist mehr Endzeitdrama als Krimi; alles gerät ins Rutschen, schließlich gehen sämtliche Lichter aus, weil das Stromnetz von Cyberterroristen gekapert worden ist, und spätestens da wird aus dem Kontrollverlust der Kommissarin der Kontrollverlust von allen. Denn wenn überall der Strom ausfällt, ist das nichts anderes als der Weltuntergang.

Kalendersprüche auf Recyclingpapier

Die Aktivisten drehen der Welt die Lampen aus, damit die Leute mal wieder über das nachdenken, was alles schiefläuft, und in seiner Gesellschafts- und Kommerzkritik wird der leise Film sehr laut und unkonkret. "Wir reiten alle sehenden Auges in den Untergang unseres eigenen Planeten", hechelt ein unangenehm überzeichneter Apokalyptiker: "In unserer Welt brauchen wir keine Dokumente, die uns erklären, wer wir sind." Der Prepper sagt: "Das Glück kann man nicht festhalten." Und die Kommissarin sagt: "Unter dem Druck der Welt verschrumpeln unsere Seelen", außerdem: "Das ist die Logik des modernen Menschen: arbeiten, um zu kaufen. Mehr arbeiten, um mehr zu kaufen. Und dann zwischen dem ganzen gekauften Zeug tot umfallen." Klingt nach einem Kalenderspruch auf Recyclingpapier.

Angenehm beiläufig dagegen in diesem ungewöhnlichen Polizeiruf mit Höhen und Tiefen: wie in der Dunkelheit aus den letzten akkubetriebenen Geräten das übliche atemlose Gestammel der Billig-TV-Moderatoren herausquillt, auch im Moment der Apokalypse witzeln die Morgencrews, und in den Nachrichtenkanälen blühen Gerüchte.

Das Fernsehen wird sich also treu bleiben, sogar am letzten Tag.

Polizeiruf 110 , Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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