Trauma Loveparade (Spotify)
Im Mai ist der Gerichtsprozess um die Loveparade-Katastrophe in Duisburg zu Ende gegangen - fast zehn Jahre, nachdem 21 junge Menschen im Gedränge eines überfüllten Tunnels ums Leben gekommen sind. Ein Urteil gab es nicht, Verurteilungen ebenso wenig. Der Musikjournalist Julian Brimmers und die Journalistin Viola Funk rekonstruieren mit ihrem Team den schrecklichen Tag und die Aufklärungsarbeit danach in einem beeindruckend akribischen Podcast in sieben Teilen. Die Macher haben mit Journalisten geredet, die damals dabei waren, darunter die damalige Zeit-Reporterin Andrea Hanna Hünniger, die selbst in Lebensgefahr geriet. Sie sprechen aber auch mit Angehörigen und Freunden von Opfern, mit Gutachtern und Veranstaltern. Die Beschreibungen des Unglücks sind schwer erträglich, aber nach den sieben halbstündigen Episoden versteht man - soweit es irgend möglich ist -, was im Juli 2010 bei einer der größten Katastrophen im Deutschland der Nachkriegszeit geschehen ist. Kathleen Hildebrand
Szpital Polski
Patienten kommen so gut wie nicht zu Wort in diesem Krankenhaus des Grauens. Sie haben schließlich auch nichts zu melden. Sie sind bloße Objekte, Opfer der Willkür zweier Ärzte: der Hautärztin Prof. Dr. Malatyńska und des Chirurgen Dr. Schwarz. Zwei Berserker ihres Faches, skrupellos und hemdsärmelig kreativ, wenn es ums Operieren geht. Einem Pianisten mit den sprichwörtlichen zwei linken Händen werden noch zwei rechte transplantiert. Stelle sich nur die Frage, so Malatyńska, ob das zulässig sei oder ob es Doping auch in der Kunst gebe. Gerne beheben die beiden Mediziner auch charakterliche Defizite, indem sie in den Organen der Patienten herumfuhrwerken. Die Performancekünstlerin und Hörspielmacherin Mariola Brillowska hat diesen Podcast in zehn Operationen geschrieben, sie spricht auch die Hautärztin, Philipp Mummenhoff ist ihr Sparringspartner. Jede Folge ist fünf Minuten kurz, medizinisch extrem fragwürdig und deshalb brachial komisch. Stefan Fischer
Podcasts des Monats:Das sind die Podcast-Tipps im Juli
Bastian Pastewka gibt es gleich in zwei Podcasts zu hören. Außerdem wird ein wahrer Polit-Krimi aufgeklärt. Unsere Podcast-Empfehlungen.
The Michelle Obama Podcast
Sie ist wieder da: Michelle Obama, Anwältin mit Harvard-Abschluss und Publikumsliebling in den USA, hätten viele gern als Präsidentschaftskandidatin gesehen. Aber mit dem Weißen Haus ist Obama nach der Präsidentschaft ihres Mannes durch. Lieber macht sie einen Podcast, das nächste Projekt nach einem Buch und der Tour zum Buch und dem Film zur Tour zum Buch. Und doch wieder ein wenig anders. Im The Michelle Obama Podcast spricht die 56-Jährige mit engen Vertrauten über Beziehungen, Freundschaft, Gesundheit. Mal klingt das politisch fundiert, aber nicht aktionistisch, wenn sie mit ihrem Mann Barack Obama über die politische Zukunft der USA und junge Wähler spricht. Und dann klingt es wieder persönlich, ohne aber den sachlichen Anspruch zu verlieren, wenn sie mit einer befreundeten Gynäkologin über die Wechseljahre spricht. Es wirkt, als hole Michelle Obame nach, was sie acht Jahre im Weißen Haus zurückhalten musste - sie will selbst zu Wort kommen, andere inspirieren und, ja, auch unterhalten. Neun Folgen sind geplant. Carolin Gasteiger
Lesen Sie hier eine längere Rezension zu The Michelle Obama Podcast.
Fremdgehen
Hier werden keine Geschichten über Liebesaffären ausgepackt, sondern die Ukrainerinnen Maria und Mariya stehen im Zentrum. Was der Titel bedeutet? Ein Blick in den Duden am Anfang jeder Folge klärt auf. Fremd: "Eine andere Herkunft aufweisend." Gehen: "Sich mit bestimmter Absicht irgendwohin begeben." Nach Deutschland sind sie gekommen, um zu studieren, um hier zu leben. Der Frage, wann sich ihre Wahlheimat wie ein Zuhause und wann wie ein fremdes Land anfühlt, gehen sie nach. Was den Podcast so charmant macht, sind die vielen interkulturellen Beobachtungen der Podcasterinnen: von den verschiedenen Trinkkulturen der Deutschen und der Ukrainer über das WG-Leben in beiden Ländern bis hin zu Wörtern in den jeweiligen Sprachen, die sich nur schwer übersetzen lassen. "Mavka" beispielsweise, eine Gestalt aus der slawischen Mythologie und Äquivalent zur Nixe. Doch die Mavka lebt im Wald und nicht im Meer, frei übersetzt also eine Waldjungfrau. Nicht nur an den Stimmen von Maria und Mariya macht sich die ukrainische Herkunft bemerkbar - sie ist integraler Bestandteil des Podcasts. Johannes Nebe
True Crime - Die Sprache des Verbrechens
Noch ein True-Crime-Format am deutschen Podcastmarkt: Zugegeben, bei True Crime - Die Sprache des Verbrechens von Bayern 3 gibt es einen eigenen Twist. Es geht um linguistische Forensik, also die Analyse von Sprache in der kriminalistischen Arbeit. Der Moderator Sebastian Winkler befragt den medienerfahrenen Ex-Verfassungsschutz-Mann Leo Martin und den Sprachprofiler Patrick Rottler über deren Arbeit an der Schnittstelle von Verbrechen und Textanalyse. Wer ist der Verfasser eines anonymen Drohbriefs? Stammt ein Schenkungsschreiben wirklich von der verstorbenen Oma oder hat es der Beschenkte selbst aufgesetzt? In 20-minütigen Folgen klären Martin und Rottler, wie aus einem Sprachbild ein Täterprofil erstellt werden kann - mal anhand eigener Arbeit, mal anhand bekannter Fälle. Etwa dem des Unabombers, der sich auch durch ein falsch verwendetes Sprichwort in seinem Manifest verriet. Komplexe Geschichten wie diese bleiben in der Knappheit des wöchentlichen Podcasts allerdings an der Oberfläche. Auch über knallige Soundeffekte, die der Ernsthaftigkeit der Fälle nicht immer gerecht werden, muss man hinweghören. Dann lernt man entweder wie man anonyme Schreiber entlarvt, oder, je nach kriminellem Antrieb, wie man selbst nicht in übliche Fallen tappt. Aurelie von Blazekovic
ARD Radiofestival. Lesung
www.swr.de/swr2/ard-radiofestival
"Ich verabscheue Reisen", schrieb der Ethnologe Claude Lévi-Strauss und begann dann mit diesem Satz doch ein ganzes Buch über das Reisen, in dem er nebenbei den Strukturalismus erfand. Schreiben über das, was man woanders erlebt hat und damit sich selbst oder alles andere zu erklären, verbindet die Reisenden und die Daheimgebliebenen, ob sie es nun lieben oder hassen, in die Welt aufzubrechen. Weil der Sommerurlaub in diesem Jahr mit besonderen Hindernissen bestückt ist, lud die ARD für ihr Radiofestival 40 Schriftstellerinnen und Schriftsteller ein, zu diesem Thema einen kurzen, persönlichen Text beizutragen. Felicitas Hoppe, Leif Randt, Heinz Helle und viele andere haben mitgemacht. Noch bis September läuft das Festival, und in den bisher veröffentlichten, knapp 25 Episoden lässt sich bequem per Kopfhörer eine Gedankenweltreise durch die deutsche Gegenwartsliteratur antreten. Nicolas Freund