"To The Bone" auf Netflix:Schon der Trailer löst Empörung aus

Lesezeit: 3 min

Lily Collins, die früher selbst an Magersucht litt, spielt Ellen und hat für die Rolle gruselig stark abgenommen. (Foto: Gilles Mingasson/AP/Netflix)

Gegen den Netflix-Film protestieren die ersten schon, bevor sie ihn überhaupt gesehen haben. Angeblich soll "To The Bone" Magersucht verharmlosen - aber tut er das wirklich?

Von Katharina Riehl

Diesmal war die Empörung schneller als das eigentliche Ereignis. An diesem Freitag erst startet bei Netflix das Magersuchtsdrama To the Bone mit Lily Collins - die Debatte über den Film aber läuft schon, seit der Streamingdienst den ersten Trailer ins Netz gestellt hat. Zwei auf Anorexie spezialisierte Psychiaterinnen erklärten in Interviews, dass der Film eine Gefahr für Jugendliche darstelle, unzählige Medien berichteten über die "heftigen Proteste", inzwischen gibt es eine Online-Petition gegen die Ausstrahlung von To the Bone.

Dass die Kritik der Ärztinnen (die beide wohlgemerkt auch nur den Trailer des Films kannten) so viel Aufmerksamkeit bekam, liegt auch daran, dass es die zweite Debatte dieser Art ist, der sich Netflix in diesem Jahr ausgesetzt sieht. Ende März startete die Teenie-Serie 13 Reasons Why ( Tote Mädchen lügen nicht), in der in 13 Episoden die Gründe für den Suizid einer Schülerin aufgearbeitet werden. Es liefen Sturm, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: der deutsche Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, die australische Stiftung für Jugendmedizin, in den USA die Vereinigung der Schulpsychologen sowie die Gesellschaft für klinische Kinder- und Jugendpsychologie und die Vereinigung für geistige Gesundheit aus Kanada.

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Der Film soll Anorexie einen gewissen Glamour verleihen und ihn trivialisieren

Das ist viel Ärger für zwei Produktionen, mit denen Netflix ja vor allem seine jugendliche Stammkundschaft vergrößern will. Und es stellt sich natürlich die Frage, ob das so erfolgreiche amerikanische Unternehmen hier möglicherweise leichtfertig sein Image als TV-Ersatz für die ganze Familie aufs Spiel setzt.

To the Bone, der Magersuchtsfilm, erzählt die Geschichte einer jungen Frau namens Ellen, die sich im Laufe der vergangenen Jahre bis auf die Knochen heruntergehungert hat. Ihre Mutter ist verzweifelt, ihre Stiefmutter ist verzweifelt, ihre Halbschwester ist verzweifelt, ihr Vater hält sich aus allem raus. Ellen hat schon unzählige Therapien hinter sich und macht trotzdem jeden Abend so viele Sit-ups, dass die Haut um ihre deutlich hervortretende Wirbelsäule blau und grün gefärbt ist. Die eigentliche Erzählung beginnt, als sie einen Platz in einer neuen Therapieeinrichtung bekommt, bei dem charismatischen, unkonventionellen Arzt Dr. William Beckham (Keanu Reeves).

Die Kritiker (die auch nur den Trailer kannten) haben dem Film vorgeworfen, Anorexie zu trivialisieren und mit einem gewissen Glamour zu versehen; problematisch sei außerdem, dass der Film möglicherweise ein Happy End haben könnte, so zitierte der britische Guardian die Psychiaterin Dasha Nicholl. Das, so wohl die Befürchtung, könnte bei den Zuschauern den Eindruck erwecken, dass man so eine Magersucht mal unverbindlich ausprobieren kann - was man natürlich nicht kann.

"Jeder macht aus dem, was er sieht, das, was er braucht", sagt die Expertin Eva Baumann

Ganz falsch sind die Analysen anhand des Trailers nicht, tatsächlich nimmt To the Bone (ohne zu viel verraten zu wollen) am Ende eine Wendung, die man als hoffnungsvoll verstehen soll. Und die Jugendlichen in der Therapie beim schönen Arzt leiden und weinen, aber sie lachen, tanzen und küssen auch - und obwohl Lily Collins (die früher selbst an Magersucht litt) für die Rolle gruselig stark abgenommen hat, ist sie natürlich immer noch eine schöne Frau. Nicht alle Zuschauer werden in ihrem dürren Körper nur ein warnendes Beispiel sehen. Bleibt also die Frage: Ist das wirklich so schlimm?

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Anruf bei Eva Baumann, Professorin und Leiterin des Center for Health Communications der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, die den schönen Satz sagt: "Jeder macht aus dem, was er sieht, das, was er braucht." Grundsätzlich, so Baumann, sei es erst einmal etwas Gutes, wenn durch fiktionale Unterhaltungsformate für solche Themen sensibilisiert werde - weil man so mehr junge Leute erreiche als mit einer Reportage. "Entertainment Education" nennt man das.

Wichtig ist, sagt Baumann, "dass eine solche Produktion sich Expertenrat einholt, und "möglichst unterstützendes didaktisches Material anbietet", womit man vermutlich einen Kern des Problems berührt. Netflix ist ein kommerzieller Anbieter und unterliegt etwa in Deutschland nicht mal den Jugendschutzbestimmungen. Würde sich die öffentlich-rechtliche ARD einem Thema wie Suizid oder Magersucht widmen, würde der Sender vermutlich im Anschluss eine Talkshow zum Thema senden und einen Online-Chat mit einem Pädagogen einrichten.

Am Ende sagt Eva Baumann dann noch: "Ich will das auf keinen Fall verharmlosen, und Risiken dürfen nicht bewusst in Kauf genommen werden." Aber, sagt sie, trotzdem gelte: "Fiktionale Unterhaltung ist selten tödlich."

To the Bone , bei Netflix.

© SZ vom 14.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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