Eher irrationale Ängste also.
Ängste, die man menschlich vielleicht nachvollziehen kann. Bei der Formulierung tun sie sich dann aber schwer. Deshalb schreiben sie zum Beispiel: "Die muss man alle abknallen an der Grenze!" Da versuche ich dann, eine Art Dolmetscherposition einzunehmen. Ich antworte also: "Liebe Frau Müller, lieber Herr Schmidt, Sie haben offenbar Angst davor, dass zu viele Menschen kommen, die Ihnen fremd sind. Deshalb wollen Sie eine andere Politik anregen. Sie glauben ja eigentlich nicht ernsthaft, dass man diese Menschen erschießen muss." Das resultiert auch öfter in einer Art von Einsicht.
Und die dritte Gruppe?
Besteht aus waschechten Rassisten. Und diese Gruppe ist zumindest in meinen Postfächern sehr viel größer als ich das erwartet hätte. Und sie traut sich inzwischen wieder, extrem offen zu ihrer Menschenverachtung zu stehen. Früher hat man mir anonym "Verpiss dich Kanake" geschrieben. Heute schreibt man mir das mit Namen, Doktortitel und Privatadresse in der Signatur. Es scheint selbstverständlich.
Wie oft schickt man Ihnen solche Aussagen?
Quasi täglich. Wenn ich einen kontroversen Artikel verfasst habe, kommen auch mal viele Hundert Nachrichten an einem Tag. Nicht alle aber in diesem plumpen Duktus. Man schrieb mir zum Beispiel auch schon, dass eine Ratte, die in einem Pferdestall geboren ist, trotzdem immer eine Ratte bleiben wird - und niemals ein Pferd werden kann.
Immerhin schon gehobene Bildsprache.
Diese Zeilen kamen auch von einem Jura-Professor, der mich auf insgesamt 20, in bestem Deutsch formulierten Seiten ins Bild gesetzt hat, warum ich niemals ein Deutscher sein werde - also, um seine Metapher aufzugreifen, immer eine Ratte bleibe.
Woher kommt diese Salonfähigkeit?
Es gab da einen schleichenden Weg zur Normalität - mit ein paar für mich eindeutigen Wegmarken: Eine davon ist mit Sicherheit das Buch von Thilo Sarrazin, einstmals immerhin Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank. Wenn ein Bundesbanker und angesehener Politiker ein Buch schreibt, das voll von Rassismen ist, wirkt das, als sei so etwas völlig normal, in Ordnung oder sogar gut. Das setzt sich jetzt unter anderem mit der AfD und ihrem zum Teil völkischen Denken fort. Und natürlich mit Menschen wie Donald Trump. Es ist ja kein genuin deutsches Phänomen.
An einer für viele sicher irritierenden Stelle im Buch gehen Sie einen sehr radikalen Schritt: Sie leiten eine unter Klarnamen von der Arbeitsadresse verschickte, rassistische E-Mail an den Gesamtverteiler der Firma weiter. Der Absender wurde daraufhin, wenn auch nicht ausschließlich deshalb, entlassen. Ist der Pranger ein Weg zu einer besseren Gesellschaft?
Ich reflektiere das in dem Kapitel ja auch: Ich fühle mich selber schlecht dabei. Das ist Selbstjustiz. Deshalb habe ich mich lang gefragt: "Was sagt mir das im Nachhinein? Warum habe ich das getan?" Die Antwort war sehr eindeutig: Ich fühle mich alleingelassen mit dieser Form von Hass.
Von wem?
Von der Justiz, aber auch von meinem Umfeld, das nicht laut genug widerspricht. Weil es vielleicht aber auch tatsächlich nicht weiß, dass es diesen ganzen Dreck gibt. Auch das ist ein Grund für das Buch.
Und dann ist der Pranger die Lösung?
Nein, wahrscheinlich nicht. Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass wir zu Anstand und einem vernünftigen Miteinander, um diese sehr alt klingenden Wörter mal zu benutzen, nur zurückfinden, wenn wir Grenzen aufzeigen. Notfalls eben auch öffentlich. Es gibt nun mal Dinge, die unsagbar sein sollten. Und über den Pranger habe ich eine Grenze geschaffen. Ich habe den Mann bloßgestellt. Keine Frage. Aber damit hat er zumindest gespürt, dass da offensichtlich eine Linie war, die er überschritten hat. Nicht nur für mich als Betroffenen, sondern offenbar auch für größere Teile der Gesellschaft. Denn eines müssen wir bitte sehr dringend festhalten: Nicht ich habe mich aus der Gesellschaft verabschiedet, indem ich menschenverachtenden Hass ausgespien habe. Das waren schon die Menschen, die mich beschimpfen oder mir den Tod wünschen. Also ist es auch nicht meine Aufgabe, sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Das müssen sie schon selbst schaffen.