Unheimliche Nachbarschaften. So heißt ein Buch des bedeutenden Ideenhistorikers und Literaturwissenschaftlers Helmut Lethen. Es geht ihm da, wie in anderen Studien, um eine "Sphäre des Austauschs" in der nervösen Zeit zwischen den Weltkriegen: eine Sphäre, "in der Radikale, die sich politisch durch Welten von einander getrennt empfanden, lebhaft miteinander kommunizierten".
Nun ist Helmut Lethen dieser Untersuchungsgegenstand näher gerückt als erwartet. Denn seine Frau Caroline Sommerfeld-Lethen, mit der er seit zwei Jahrzehnten verheiratet ist, Kinder hat und in Wien zusammenlebt, ist vor zwei Jahren zu den neurechten "Identitären" übergelaufen.
Sie nimmt an fremdenfeindlichen Fackelzügen teil - und macht den privaten politischen Streit publik
Caroline Sommerfeld-Lethen hat vor zwölf Jahren eine viel gelobte philosophische Dissertation über Immanuel Kant unter dem Titel "Wie moralisch werden?" veröffentlicht, und sie war gern gesehener Gast auf geisteswissenschaftlichen Tagungen. Heute marschiert sie bei Fackelzügen der Wiener Identitären zum Gedenken an die Schlacht gegen die Türken von 1683 mit. Wer das fragwürdig finde, müsse, so meint sie, ein "Individuum auf Gemeinschaftszerstörungsdroge" sein und somit "asozial im Wortsinne".
Caroline Sommerfeld schreibt (nur unter diesem Namen) Blogs für das rechtsintellektuelle Magazin Sezession unter der Ägide von Götz Kubitschek. Sie glaubt an den "Großen Austausch", wonach Europas Bevölkerung durch Muslime unterwandert und ersetzt werden soll. Den ungarisch-amerikanischen Milliardär und Mäzen George Soros hält sie für einen Strippenzieher der "Masseneinwanderung". Im Februar dieses Jahres wurde Sommerfeld als Köchin einer Wiener Waldorfschule suspendiert, weil sie auf rechtsradikalen Internetseiten schreibe. Auf der Wiener Erster-Mai-Demonstration hielt sie ein Plakat hoch, auf dem stand: "SPÖ = Islampartei".
Ihr Mann hingegen, Helmut Lethen, ist so etwas wie ein intellektueller Parade-Achtundsechziger. Er stammt aus rheinisch-katholischem Milieu und wurde dann einerseits Germanist, andererseits Mitglied maoistischer Splittergruppen im Zuge der Studentenbewegung. Er bekam deshalb erst keine Stelle an einer deutschen Universität, lehrte dann in den Niederlanden - "glücklich den Grabenkämpfen entronnen", wie er in seinen Erinnerungen schreibt -, wurde nach der Wende Professor in Rostock und war bis 2016 Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK) in Wien /Linz, das jetzt Thomas Macho leitet.
In den kommunistischen Kadern der Siebzigerjahre wurde Helmut Lethen, Jahrgang 1939, einst des "Versöhnlertums" bezichtigt. Mit Faszination und gelehrter Einfühlung blickte er hernach auf die Denker und Dichter der Extreme, auf die Avantgarden der sozialistischen und konservativen Revolutionen wie Carl Schmitt, Bertolt Brecht oder Ernst Jünger; seine Suhrkamp-Studie "Verhaltenslehren der Kälte" wurde zum Theorie-Kultbuch über die Intellektuellenkämpfe, Menschenbilder und Obsessionen der Zeit der Weimarer Republik.
Er wollte seine Erkundungen der politischen Extreme eigentlich schon im Literaturarchiv in Marbach abheften: der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen, bekannt für seine "Verhaltenslehren der Kälte".
(Foto: IFK)Helmut Lethen ist heute, sicher, immer noch ein Linker, wenn auch eher ein liberal distanzierter, der erklärtermaßen in der "BRD" angekommen und an Zwischentönen interessiert ist. Ihm kann es weder passen, dass ihm, wie vor einiger Zeit bei einem Podium in Hamburg, beschieden wird, wenn man den Philosophen Peter Sloterdijk zitiere, dann nenne man einen der "Namen, die keinen Platz in unserem Diskurs haben". Aber ebenso wenig kann ihm gefallen, dass seine 36 Jahre jüngere Frau jetzt jede Woche mit antiliberalen Leuten zum Wiener Identitärenstammtisch geht, die "die Heimat verteidigen" wollen.