Digitale Medien:Wider die Willkür

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Neben Youtube nutzen auch Amazon, Booking und Google Shopping illegale Tricks, um Verbraucher in eine bestimmte Richtung zu lenken. (Foto: Ralph Peters/imago images)

Youtube lässt Inhalte verschwinden und sperrt Kanäle. Warum, bleibt oft ein Geheimnis. Wie die EU das Problem lösen will.

Von Philipp Bovermann

Für die rechtskonservative Wochenzeitung Junge Freiheit, die immer wieder mit verschwörungsmythologischen Motiven spielt, war es ein gefundenes Fressen: "Offenbar ist Lachen verboten", lautet die Überschrift eines in der vergangenen Woche erschienenen Artikels. Youtube hatte kurzfristig den Kanal des im rechten Lager beliebten Satirikers Uwe Steimle gesperrt. "Die haben mir vorgeworfen, gegen irgendwelche Community-Regeln verstoßen zu haben, ohne zu sagen, worum es überhaupt geht", raunte Steimle.

Ebenso wie Steimle war es wenige Wochen zuvor dem neurechten Blog "Achse des Guten" ergangen, im Oktober sperrte Youtube außerdem zwei Videos der kritischen Aktion "Alles auf den Tisch", die vermeintlich unterdrückte Wahrheiten über die Corona-Pandemie auf die Bühne hebt. Die Plattform verwies jeweils allgemein auf ihre Community-Richtlinien, die es verbieten, medizinische Falschinformationen zu verbreiten, ohne zu erläutern, welche Aussagen in den Videos genau zu beanstanden seien. Der Medienanwalt Joachim Steinhöfel verschickte einstweilige Verfügungen, in denen er unter anderem auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit verwies. Alle Videos und Kanäle sind inzwischen wieder abrufbar.

Auch Youtubern, die sich nicht für vermeintliche Verschwörungen interessieren, sondern für Games, Schminke oder Kuchen, passiert das immer wieder: Plötzlich ist das Video weg - und dann rätseln sie, was genau sie denn Falsches gesagt oder getan haben. Uwe Steimle verglich Youtube mit der DDR; auf der Plattform herrsche eine Willkürjustiz. Der Direktor der Landesmedienanstalt NRW formuliert es nur unwesentlich diplomatischer: Es sei "grenzwertig, dass Industrie-Unternehmen allein darüber entscheiden, wer wie welche Meinung öffentlich machen kann".

Nicht jeder möchte gegen einen Großkonzern vor Gericht ziehen

Die Europäische Union möchte diesen Zustand beenden. Ein "Gesetz über digitale Dienste" soll digitale Plattformen beim Umgang mit Inhalten verbindlichen Regeln unterwerfen, noch im Frühjahr könnte es verabschiedet werden und muss dann in nationales Recht umgesetzt werden. Aktuell schreibt das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz lediglich vor, dass die Plattformen strafbare Inhalte entfernen müssen. Was gegen deren Richtlinien verstößt, ohne zugleich strafbar zu sein, wie etwa das Verbreiten medizinischer Falschinformationen, regelt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz nicht. Es gelten also die Richtlinien. Der Anbieter setzt gewissermaßen sein Hausrecht durch, so erklärt es der Medienrechtler Christian Solmecke. Lediglich ein Urteil des Bundesgerichtshofs schränke das ein: Plattformen müssen die Nutzer vor einer Sperrung ihres Kanals informieren, ihnen den Grund für die drohende Maßnahme mitteilen und ihnen eine Möglichkeit zur Stellungnahme geben. Ob die Plattform das im Fall der "Alles auf den Tisch"-Videos getan hat, versucht derzeit das Landgericht Köln zu klären.

Nicht jede Nutzerin und jeder Nutzer will allerdings einen Rechtsstreit mit einer in Irland ansässigen Außenstelle eines Megakonzerns führen. Das Gesetz über digitale Dienste soll daher vorschreiben, dass die Plattformen einheitliche, leicht zugängliche und verständliche Beschwerdeverfahren einführen. Vor einer Sperrung sollen sie genau mitteilen müssen, was in einem Video zu beanstanden ist, samt einfacher Möglichkeit zum Widerspruch. Innerhalb von zehn Arbeitstagen müssen sie Beschwerden bearbeiten - Letzteres steht so zumindest in der Fassung eines möglichen Gesetzestextes, die das Europäische Parlament erarbeitet hat. Nach dessen Vorschlag sollen die Nutzer "erforderlichenfalls einen menschlichen Ansprechpartner" erhalten, wenn sie Beschwerden einreichen. Die Entscheidungen darüber seien "von qualifiziertem Personal" und in "nicht willkürlicher Weise" zu treffen. Eine klare Verschärfung gegenüber dem Vorschlag der EU-Kommission, die lediglich fordert, dass die Plattform Beschwerden "zeitnah" und "sorgfältig" bearbeitet.

Unabhängig davon, welche Position sich im nun anstehenden Trilog zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und Mitgliedländern durchsetzt, wäre es wohl das Ende der Blackbox Youtube. Das Unternehmen, das zum Google-Konzern gehört, hat das offenbar bereits eingesehen. Vergangene Woche hat es "neue Features zur Verbesserung der Creator Experience" angekündigt. Zum Beispiel "Zeitstempel", die angeben, in welcher Minute und Sekunde ein Video gegen die Community-Richtlinien verstößt. Die Plattform kommt damit einer Forderung der geplanten Regulierung zuvor.

Ist die Pressefreiheit "zu achten" oder sollte sie "gelten"?

Ist also alles gut, die Meinungsfreiheit vor der Willkür der Digitalkonzerne gerettet? Nicht ganz. Ein Satz im Entwurf des EU-Parlaments hat vor allem in Deutschland für Irritationen gesorgt. Er findet sich in Artikel 12, Absatz 1.

Dort steht: "In ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen achten die Anbieter von Vermittlungsdiensten die Meinungsfreiheit, die Medienfreiheit und den Medienpluralismus und andere Grundrechte und Grundfreiheiten, wie sie in der Charta und den für Medien geltenden Bestimmungen in der Union verankert sind." Das klingt unverdächtig. Der Kulturausschuss und der Rechtsausschuss hatten allerdings gefordert, die Pressefreiheit deutlicher zu formulieren; dass sie nicht nur zu "achten" sei, sondern, dass sie gelte.

Die nun beschlossene Formulierung könnte bedeuten, dass die Richtlinien der Plattformen über der Pressefreiheit stehen und diese somit die Sichtbarkeit legal publizierter Artikel verringern oder sie ganz sperren dürfen. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger sehen dadurch die Freiheit der Presse und der Meinung im Internet gefährdet. Deren Grenzen seien "die allgemeinen Gesetze und nicht engere allgemeine Geschäftsbedingungen digitaler Großkonzerne", schreiben sie in einer gemeinsamen Erklärung. Andernfalls könne beispielsweise Facebook entscheiden, ob die Nutzer legale Presseartikel über die Möglichkeit eines Laborunfalls als Corona-Ursache zu Gesicht bekommen oder nicht.

Die EU-Abgeordnete Alexandra Geese, die die Fraktion der Grünen im parlamentarischen Verhandlungsprozess um den Gesetzesentwurf koordiniert hat, sagt, sie könne die Vorbehalte sehr gut verstehen - "dass man sagt, es ist besser, Medien über die gute, bewährte deutsche Gesetzgebung und eine staatsferne Medienaufsicht zu kontrollieren, als dass Mark Zuckerberg entscheidet". Allerdings würde dabei nicht richtig verstanden, dass soziale Plattformen keine linearen Medien seien. Es sei im Zweifelsfall nötig, dass die Plattformen die Reichweite populistischer publizistischer Beiträge einschränken und sie beispielsweise mit Hinweisen oder einem Fakten-Check versehen dürfen. Solche Inhalte würden ansonsten "millionenfach durchs Netz gejagt" und die Unternehmen könnten nichts dagegen tun.

In Deutschland sei die Medienlandschaft noch einigermaßen in Ordnung, da könne man auf solche Eingriffsmöglichkeiten der Plattformen eventuell noch verzichten, "aber wir machen hier Gesetzgebung für 27 Mitgliedstaaten". Die EU-Kommission erwähnt die Pressefreiheit in ihrem Entwurf gar nicht.

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Es sieht also so aus, als dürften die digitalen Plattformen künftig zwar nicht mehr so willkürlich wie bisher agieren, ihre souveräne Macht über die Inhalte aber behalten - auf expliziten Wunsch der EU. Das dürfte noch zu interessanten Debatten führen.

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