ARD-Doku über Liebe zu einem Häftling:Er sitzt im Knast, sie wartet draußen auf ihn

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Einen Mann mit "Ritterblut" wünscht sich Marion - in Rudi glaubt sie, diesen Mann gefunden zu haben. (Foto: obs)

Er nennt sie "Baby", sie ihn "Rudilein". Die ARD-Doku "Ritterblut" kommt ihren Protagonisten schmerzhaft nah - der Zuschauer muss eigene Vorurteile abbauen.

TV-Kritik von Ralf Wiegand

Es ist ein äußert schmerzhafter Film, den die Autorin Sigrid Faltin da abgeliefert hat. Schmerzhaft, weil er sich durch eine Nähe auszeichnet, die beinahe körperlich wehtut. Ritterblut heißt diese Dokumentation zweier Leben, zweier Menschen, die sich in eine Extremsituation begeben haben. Sie, Marion, 48, lebt allein und träumt von der großen Liebe. Von dem Mann "mit Ritterblut", der sie liebt, wie sie es verdient hat. Er, Rudi, 48, lebt in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal, er hat einen Menschen auf dem Gewissen, unter anderem. 23 Jahre seines Lebens saß er im Gefängnis.

Sein Profil hat er auf das Internet-Portal jail-mail.net gestellt, das Brieffreundschaften nach draußen vermittelt. Marion hat im Fernsehen eine Reportage über Häftlinge gesehen, zum Schluss gab es einen Hinweis auf diese Seite. Marion findet Rudi (Foto). Was aus ihnen wird, ob etwas aus ihnen wird, zeigt dieser Film.

Über das Phänomen von Frauen, die sich in Häftlinge verlieben, ist schon viel geschrieben worden, auch in Studien, die ein ganz fürchterliches Bild dieser Frauen zeigen. Oft seien sie verletzte Personen, denen der Häftling wie eine Verheißung erscheine: Den können sie kontrollieren, der kann sie nicht verletzen; dazu erführen sie die totale Hingabe, überwältigende Emotion. Da ist dann wohl eher die Frau die mit dem Ritterblut, die mutig in das Leben eines Mannes reitet, vor dem sich die Gesellschaft so sehr fürchtet, dass sie ihn weggesperrt hat.

"Jeder Mörder ist ein sicherer Hafen, weil er eingeschlossen ist", schrieb die amerikanische Autorin Sheila Isenberg 1991. Manche Frauen schafften sich auf diese Weise gar selbst das Drama in ihrem Leben aus Alltäglichkeiten.

Sie lebt 660 Kilometer entfernt, aber wenn Rudi rauskommt, will sie ihn aufnehmen

Auch Marion aus Ritterblut hat ihre Geschichte hinter sich, bevor sie Rudi findet. Besonders an dem Film ist, dass der Zuschauer die Wünsche und Hoffnungen, die Vergangenheit und Verletztheit von Marion und Rudi sehr nah erleben darf, ja: erleben muss. Der Film beginnt, als Rudi noch im Knast sitzt und darum kämpft, dass die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Marion schreibt ihm seit acht Monaten, er schreibt zurück, Hunderte Briefe. Er nennt sie "Baby", sie ihn "Rudilein". Sie lebt 660 Kilometer entfernt, aber wenn Rudi rauskommt, will sie ihn aufnehmen. Als es so weit ist, bleibt das Kamerateam dabei.

Unfassbar viel Vertrauen müssen Marion und Rudi zu Sigrid Faltin gefasst haben, denn sie erzählen ihr alles. Sie über sich, er über sie, sie über ihn, er über sich und beide zusammen. Sie wolle, sagt die Autorin, die Stigmatisierung von Gefangenen abbauen und die Leistung von Frauen wie Marion würdigen, deren gelebte Sozialarbeit. Der Zuschauer muss dafür aber erst mal über seine Vorurteile drüber, die beide bedienen: die fast verschwenderisch träumerische Marion und der vom Knast innerlich gebrochene Rudi, der nie wirklich in Freiheit gelebt hat.

"Dann nimmt sie auf einmal mich. Mich Bandit", sagt er einmal, fassungslos. Ob sie den Zusammenstoß ihrer Welten aushalten? Der Film gibt zumindest eine Teilantwort.

Ritterblut, ARD, 22.45 Uhr.

© SZ vom 31.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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