Serie: Meine Leidenschaft:"Wenn ich eine Mauer baue, hält die ein Leben lang"

Lesezeit: 6 min

Das Schild für das Hühnerhaus hält Sonya Kraus schon mal dorthin, wo es mal montiert werden soll, wenn es fertig ist. (Foto: Julia Rothhaas)

Die Moderatorin und Autorin Sonya Kraus hämmert, sägt und schleift für ihr Leben gern. Doch zum Handwerken gehört nicht nur das richtige Werkzeug, sondern auch die Suche danach. Wo also ist der verdammte Dremel?

Von Julia Rothhaas

"Warum finde ich hier nix mehr?", fragt Sonya Kraus und wühlt in der nächsten Kiste. "Wo ist der Dremel hin?" Den braucht sie schließlich für das Schild, das über dem Hühnerstall hängen soll. Mit dem Werkzeug will sie einen Schriftzug in das Holz fräsen, "The Kardachickens" hat sie bereits mit Bleistift auf die Platte vorgezeichnet. Die Hühner, die hier bald einziehen sollen, werden wie die kalifornischen Fernsehschwestern heißen. Doch bevor die Tiere kommen, muss sie das weiß-grüne Spielhaus in der hinteren Ecke des Gartens zum Stall umbauen, das von ihren beiden Söhnen nicht mehr genutzt wird. Aber nicht mal an der Rampe oder am Zaun kann sie an diesem Märztag weiterarbeiten, denn es regnet in Strömen.

Jeder, der hin und wieder was repariert oder selbst baut, weiß: Zum Handwerken gehört nicht nur der Bohrer oder der Schraubenzieher, sondern auch die Suche danach. Also verschwindet Kraus, Moderatorin, Autorin und Schauspielerin, wieder im Keller ihres Hauses in Frankfurt am Main. In den vollgestellten Räumen sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Eigentlich ist die Werkstatt im Keller gut sortiert, auf weiß lackierte Erdbeerkisten hat sie bunte Zettel geklebt: Fugen. Unterlegblöcke. Kellen. Schleifwolle. Dichtungen. Stichsäge. Aber das Haus wird in Kürze umgebaut, ein Anbau kommt auf das Nachbargrundstück, wo bereits ein riesiges Loch in der Erde klafft. Also musste ein Teil des Kellers schon mal umziehen, daher das Chaos und vom Dremel keine Spur. Das Schild für den Hühnerstall muss also warten.

Sonya Kraus vor einem Teil ihrer Ausrüstung. Die Werkzeuge hat sie in Kisten nach Funktion sortiert. (Foto: Julia Rothhaas)

Nichts zu machen. Die 49-Jährige schlägt die Kellertür hinter sich zu und setzt sich an den langen Esstisch, der neben einer offenen Küche steht. Hier kocht sie Tee oder mal ein paar Nudeln, aber ihr natürliches Habitat ist die Baustelle, der Keller, der Baumarkt. "Wenn man kocht, steht man 50 Minuten lang in der Küche und fünf Minuten später ist alles aufgegessen. Wenn ich eine Mauer baue, hält die ein Leben lang."

Kraus streicht sich die goldglänzenden Locken aus dem Gesicht. Diejenigen, die sie als Glücksfee aus dem Fernsehen kennen oder als Moderatorin von Sendungen wie "Talk Talk Talk", würden von der zierlichen Frau mit dem perfekten Lächeln wohl nicht unbedingt Sätze erwarten wie: "Baustelle ist für mich schön" und "Je größer und schwerer Elektrogeräte sind, desto besser". Ein bisschen kokett? Nicht im Geringsten: Für Sonya Kraus war das Handwerken von klein auf mehr als nur ein Hobby, sondern Notwendigkeit, Schutzraum, Motivation.

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Kraus ist elf Jahre alt, als sich ihr Vater das Leben nimmt. Fünf Jahre zuvor war der neun Monate alte Bruder an plötzlichem Kindstod gestorben, nun ist sie mit ihrer Mutter allein. Die sei beim Heimwerken so begabt gewesen wie Kraus heute beim Kochen, also übernimmt das Mädchen sämtliche Reparatur-Arbeiten im Haushalt. Einfach neu kaufen, dafür ist das Geld nicht da. Deswegen muss die Mutter auch das Haus der Familie verkaufen, ein weiterer Verlust. "Seit diesem Zeitpunkt war eine eigene Höhle zu haben immer mein Antrieb", sagt sie. Während sich andere Kinder mit 14 Jahren neue Turnschuhe kaufen oder einen Walkman, schließt sie ihren ersten Bausparvertrag ab. Zwei Jahre später kann sie streichen, tapezieren, schleifen, Teppichböden verlegen.

Nach dem Abi fängt sie an, hauptberuflich als Model zu arbeiten. Eigentlich plant sie, sich mit ihrem Ersparten ein Studium zu finanzieren, doch dann kauft sie sich stattdessen ein Haus, da ist sie 23 Jahre alt. Der Plan: Aus der runtergewirtschafteten Hütte ein gemütliches Zuhause machen, der Startschuss für ihre ersten Pilgerreisen in den Baumarkt. Zu der Zeit gibt es noch keine Stiefmütterchen vor dem Eingang, keine Deko-Abteilung mit Windlichtern und Zimmerbrunnen, keine pudrigen Töne auf unzähligen Farbkarten. "Ich bin da angeguckt worden, als hätte ich mich verlaufen", sagt Kraus.

"Ich komme an keinem Sperrmüllhaufen vorbei."

Anleitungen, wie man was selbst reparieren kann, gibt es damals noch nicht hundertfach im Netz, also fragt sie die Mitarbeiter im Baumarkt: Wie montiert man ein Waschbecken? Wie baut man eine Steckdose ein? Im Keller fängt sie an, Fliesen zu legen, "bis ich im ersten Stock angekommen war, kannte ich jede Schraube mit Vor- und Nachnamen." Anderthalb Jahre werkelt sich Kraus durch die Zimmer, während sie auf der Baustelle lebt. Als sie fertig ist, zieht ihre Mutter ein. Platz ist genug, plötzlich haben sie wieder das Zuhause, das beiden so gefehlt hat.

Parallel zu ihrer Model-Tätigkeit kommt das Fernsehen. Sie ist 25 Jahre alt, als sie Maren Gilzer beim "Glücksrad" ablöst. Die Ratesendung gibt es nach langer Pause nun wieder, am 27. April dreht Kraus mit Thomas Hermanns für RTL 2 das Rad. Die junge Moderatorin tritt damals in diversen Formaten auf, 2003 erfüllt sich ein Traum, als sie die Heimwerker-Show "Do it yourself SOS" moderieren darf. "Da habe ich mit Schreiner-, Elektro-, Maurer-, und Spenglermeistern zusammengearbeitet, die mir alles beigebracht haben, was ich noch nicht wusste", sagt Kraus strahlend. "Eine superbezahlte Lehrlingsausbildung in allen Gewerken."

Mittlerweile legt sie nicht mehr ständig selbst Hand an. Sagt sie. Nun ja: Das Kopfteil des Bettes wird sie neu beziehen, im Nebenraum steht ein antikes Klavier, das sie aufarbeiten will, die Ikea-Regale kürzt sie, und dann ist da ja noch das Hühnerhaus. "Ich habe in der Garage lauter Projekte, die ich mal machen will, eine Heimwerker-Krankheit." Und es werden stetig mehr: "Ich komme an keinem Sperrmüllhaufen vorbei, ohne dass ich da was rausziehe."

Sonya Kraus präsentiert nicht nur das "Glücksrad", sondern auch die Baugrube auf ihrem Grundstück. (Foto: Julia Rothhaas)

Dass sie an diesem Tag nun nicht wie geplant zeigen kann, was sie drauf hat, findet Kraus gar nicht gut. Also springt sie auf, schlüpft in schwarze Stiefel und klettert in die Baugrube auf dem Nachbargrundstück, trotz Regens. So als wollte sie beweisen: Die Tussi kann auch Schlamm. "Mein Mann sagt immer: Der liebe Gott hat mir zwei linke Hände geschenkt und Sonya", ruft sie, während sie aus dem Loch klettert. In der Garage schnappt sie sich dann Schutzbrille, Handschuhe und einen Hammer, geht einmal ums Haus zu einer Außentreppe und beginnt, den Putz abzuschlagen. Wollte sie längst gemacht haben, die groben Steinquader, die sich hinter dem Beton verstecken, sehen doch viel schöner aus. Bähm, bähm, zack, schon bröselt die Wand zu Boden.

Verstecken will sie ihre Krankheit nicht, sondern anderen Mut machen

Wie Sonya Kraus im strömenden Regen gegen die Wand hämmert, könnte man als Sinnbild nehmen für eine Frau, die sich nicht abbringen lässt von ihrem Weg, selbst wenn der sich zum Hindernisparcours wandelt. Ihr Motto lautet schließlich: "Es ist, wie es ist." Als bei ihr im September 2021 Brustkrebs diagnostiziert wird, entscheidet sie sich nicht nur für eine Chemotherapie und eine vorsorgliche Mastektomie, sondern auch für einen offenen Umgang mit ihrer Krankheit. Verstecken will sie sich nicht, sondern anderen Frauen Mut machen und für Vorsorge werben. Auf Instagram schreibt sie ihren Fans: "Alle wollen wissen: Was ist mit deinen Haaren? Tja, da ist nicht mehr viel übrig" oder "Status quo? Haarkranz vorne rum noch okay, hinten Glatze. Wimpern ade, aber die Falschen kleben auch bombe auf der Haut. Läuft bei mir."

Wenigstens ein bisschen Beton abschlagen: Sonya Kraus trägt dafür vorbildlich eine Schutzbrille. (Foto: Julia Rothhaas)

Zugute kommt ihr der unbeirrbare Lebenswille. "Ich habe meinen Bruder verloren, meinen Vater, mein Elternhaus, meine Brüste", sagt sie, während sie am Esstisch ihre Beine verknotet. "Doch all das hat mir gezeigt, dass ich mit jeglicher Situation zurechtkomme. Ich habe keinen Bock auf Durchhängen, auf Kopf-in-den-Sand-Stecken, auf Mich-selbst-Bemitleiden." Sie ist erschüttert, als sie in der Klinik miterlebt, dass manche Frauen auf eine Chemotherapie verzichten, aus Angst, die Haare zu verlieren. Deshalb wäre sie am liebsten Botschafterin für Kunsthaare, ihre Posts verlinkt sie inzwischen mit #nohairdontcare und #lovemywigs. "Ich wusste nicht, wie toll Perücken sind. Mein Gott, wieso saß ich so oft 45 Minuten still und habe mir die Haare ondulieren lassen, wenn ich die aus der Schachtel innerhalb von zwei Minuten aufsetzen kann?"

Sie zwirbelt eine Kunstlocke um ihren Finger, dann hat sie doch noch eine Idee, wo der Dremel sein könnte. In der sogenannten Krusch-Schublade in der Küche sammelt die Familie all die Dinge, die Mama als Nächstes reparieren soll. Ganz oben liegt ein Furzkissen ihrer Söhne, das ein Loch hat. Nur vom Dremel keine Spur. Doch was soll man machen: Es ist eben, wie es ist.

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände braucht Sonya Kraus fürs Handwerken:

Der Akkuschrauber

(Foto: Julia Rothhaas)

"Davon habe ich mindestens fünf unterschiedliche Exemplare, das hier ist der Handlichste. Für seine Größe hat er trotzdem richtig Wumms und sogar eine Schlagvorrichtung. Ich habe auch große und schwere Schlagbohrmaschinen, damit komme ich aber manchmal körperlich an meine Grenzen. Selbstverständlich besitze ich eine Kettensäge, die läuft mit Benzin, das ist richtig geil."

Der Schraubenkoffer

(Foto: Julia Rothhaas)

"Ich habe bestimmt fünf Stück davon, perfekt sortiert nach kleinen und großen Schrauben - sofern da nicht zuvor ein anderer dran war. Was allerdings wirklich noch in meinem Werkzeugsortiment fehlt: eine Mauerwerksfräse. Damit kann man Mauern aufsägen, etwa für ein Fenster. So eine hätte ich wirklich unglaublich gerne."

Die Heißklebepistole

(Foto: Julia Rothhaas)

"So eine Klebepistole gehört in jeden Haushalt. Damit kann ich alles wieder an- und zusammenkleben: Schmuck für den Adventskranz, Schuhsohlen, meine Kostüme für das Burning-Man-Festival in Nevada. Erst heute morgen habe ich damit die zerbrochenen Fußballpokale meiner Söhne zusammengeklebt."

Tischtennis mit Günter Wallraff , Schwimmen mit Ulrike Folkerts , Surfen mit Maximilian Brückner : Weitere Folgen von " Meine Leidenschaft " finden Sie hier .

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