Kolumne: Vor Gericht:Eheliche Pflichten

Lesezeit: 2 min

"Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt", schrieb der Bundesgerichtshof 1966 (Symbolbild). (Foto: Silas Stein/dpa)

Noch bis in die 1970er-Jahre gab es die Rechtsprechung, dass Frauen ihren Männern für Sex zur Verfügung zu stehen haben. Spuren davon finden sich bis heute.

Von Ronen Steinke

Die "Mach' die Beine breit"-Rechtsprechung war ein Phänomen der 1960er- und 1970er-Jahre. Eine ordentliche deutsche Ehefrau müsse für ihren Mann zur Verfügung stehen, völlig klar, Sex sei ein Anrecht des Mannes: Darin waren sich am 2. November 1966 die Richter - ausschließlich Männer - des 4. Zivilsenats am Bundesgerichtshof einig.

"Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt", so fügten die Richter in ihrer unnachahmlichen Sprache noch an. "Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen, zu denen die Unwissenheit der Eheleute gehören kann, versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen."

Das ist, zum Glück, lange her. Im Jahr 1977 war es damit vorbei. Allerdings nicht, weil die Richter ihre Überzeugung von einer solchen "ehelichen Pflicht" aufgegeben hätten. Es war erst eine Gesetzesänderung durch den Bundestag, die das Thema abräumte. Bis dahin hatte nämlich im Gesetz das Prinzip gegolten, dass die Familiengerichte bei einer Scheidung stets nach der "Schuld" eines Partners suchen mussten. Das heißt, nach Verstößen gegen eheliche Pflichten. Dieses Prinzip gab der Bundestag dann auf.

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Aber: "So ganz vorbei ist es mit diesem Denken noch nicht", sagt ein Familienrichter, Andreas Frank. Da sollte man hinhören: Vor Kurzem ist er zum Vorsitzenden des Deutschen Familiengerichtstags gewählt worden, eines der angesehensten Ämter in diesem Fachgebiet. Höhere Gerichte locken seit Jahren mit Posten. Frank, 51, ist trotzdem am Amtsgericht Cuxhaven geblieben, wo er seit Jahren auch als Mediator arbeitet.

Er sagt: Er könne sich heute immer noch furchtbar aufregen über Überbleibsel dieses "Beine breit"-Denkens. Manche Gerichte wie etwa das Oberlandesgericht Brandenburg oder auch der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 16. April 2008 seien immer noch der Meinung, dass eine Ehefrau nicht selbst entscheiden dürfe, ob sie Sex mit einem anderen haben wolle. Wenn die Eheleute sich trennen und die Frau vom Mann Unterhalt möchte, kann der dann unter Umständen zu ihr sagen: Wenn du mit anderen Männern anbandelst, gibt's weniger Geld. Kurz gesagt: Schätzelein, was du im Bett machst, bestimm' immer noch ich.

"Das geht faktisch fast immer gegen Frauen, deren Sexualität auf diese Weise reglementiert und überwacht wird", sagt der Familienrichter Andreas Frank. Er findet: Der Unterhalt, den Männer ihren Frauen zahlen müssen, auch schon vor einer rechtskräftigen Scheidung, "ist keine Keuschheitsprämie. Und er ist auch keine Lizenzgebühr für das Exklusivzugriffsrecht auf den Körper der Ehefrau". Aber immer noch würden manche Männer vor Gericht so argumentieren. Wie in den 1960er-Jahren. Und leider, sagt er, kämen manche immer noch damit durch.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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