Kolumne: Vor Gericht:Der Mann, der niemandem fehlte

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Der Mörder von Heinz N. dachte an alles, leerte seinen Briefkasten, knipste das Licht in der Wohnung an und aus, gab eine Steuererklärung ab. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Zehn Jahre lang blieb der Mord an einem Berliner Rentner unbemerkt. Das sagt etwas über den Umgang der Gesellschaft mit dem Alter aus.

Von Verena Mayer

Manche Verbrechen gehen einem nicht mehr aus dem Kopf. Der Mord an dem Rentner Heinz N. in Berlin gehört dazu. Der alte Mann wurde 2007 von einem Bekannten erschossen. Dieser versteckte die Leiche und kassierte danach die Rente seines Opfers, zehn Jahre lang. Vor dem Berliner Landgericht ging es nicht nur um einen außergewöhnlichen Kriminalfall und die Frage, wie es in einem bürokratischen Land wie Deutschland sein kann, dass jemand ein Jahrzehnt lang das Geld eines Toten ausgezahlt bekommt. Der Prozess hat auch meinen Blick auf die Gesellschaft stark beeinflusst.

Der Angeklagte war kein ausgekochter Berufsverbrecher. Sondern ein unscheinbarer Typ Mitte 50, der einen schlecht laufenden Antiquitätenladen hatte und in seinem Kiez bekannt dafür war, gegen kleines Geld bei Handwerksarbeiten zu helfen. So lernte er auch den Rentner Heinz N. kennen, der nach dem Tod seiner Frau Liesel allein in einer Erdgeschosswohnung lebte. Der 81-Jährige hatte keine Kinder und kaum soziale Kontakte. Umso mehr freute er sich, dass ihn der Angeklagte immer wieder besuchte, Dinge für ihn erledigte, sich kümmerte. Der merkte irgendwann, dass Heinz N. Sparbücher und eine gute Rente hatte. Geld, das er selbst gut gebrauchen konnte.

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Nachdem er Heinz N. getötet und die Leiche in der Tiefkühltruhe versteckt hatte, die in der Küche des Rentners stand, ging er weiter im Haus von Heinz N. ein und aus. Er leerte den Briefkasten, überwies die Miete, gab eine Steuererklärung für Heinz N. ab. Schaltete immer mal wieder das Licht und das Wasser an und ab. Das reichte, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Monat für Monat konnte der Angeklagte das Geld des Rentners abheben. Heinz N. fehlte niemandem. Den Leuten in dem beschaulichen Viertel nicht, in dem sich alle zumindest vom Sehen kannten. Dem Vermieter nicht, dem Hausmeister nicht, der glaubte, über alles und jeden Bescheid zu wissen. War halt ein alter Mensch, da interessierte man sich nicht so, sagte ein Zeuge in erschreckender Offenheit.

Immerhin einen Anlass zur Hoffnung gab es in dem Prozess. Er kam in Person eines Nachbarn von Heinz N. Er war der einzige, dem etwas seltsam vorkam. Der an die Wohnung des Rentners klopfte, die Hausverwaltung nervte, sich nicht abwimmeln ließ, wenn bei der Polizei wieder jemand sagte: Der gute Mann ist erwachsen, wir können leider nichts tun. Nach zehn Jahren traf er auf einen Polizisten, der sich die Wohnung näher ansehen wollte und den Toten in der Tiefkühltruhe fand.

Der Angeklagte wurde verhaftet, als er wieder einmal Geld vom Konto seines Opfers abhob. Er wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Aber es stand auch eine Art unsichtbare Anklage im Raum. Sie richtete sich gegen uns alle und unseren Umgang mit alten Menschen.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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