Kolumne: Vor Gericht:Der Porsche

Lesezeit: 2 min

Schneller als die Polizei erlaubt: Ein Kommissar soll mit einem Porsche 911 gefahren sein, der ihm nicht gehörte (Symbolbild). (Foto: Christian Endt)

Hat ein Polizist ein Auto, das für eine verdeckte Ermittlung bestimmt war, für sich selbst benutzt?

Von Verena Mayer

Die meisten Menschen kennen Gerichtsprozesse nur aus Filmen oder Serien. Da sieht man dann, wie Leute in den Saal gerufen werden und Staatsanwältin und Verteidiger beginnen, die Zeugen zu befragen. Nach einer Stunde gibt es ein Urteil und die Gerechtigkeit ist wiederhergestellt. Die Realität unterscheidet sich schon beim Faktor Zeit von der Fiktion. Die Zeit scheint sich vor Gericht zu dehnen. Ständig hat noch jemand eine Frage, wird ein Antrag gestellt, muss etwas beraten werden. Vor allem aber wartet man. Darauf, dass ein Verfahren überhaupt angesetzt wird, darauf, dass die Prozessbeteiligten eintrudeln. Man wartet auf Schöffen und auf Zeuginnen, man wartet, weil Mittagspause ist oder ein Anwalt etwas mit seinem Mandanten besprechen muss.

Nicht selten wartet man auch auf die Hauptperson, den Angeklagten. Wie an diesem Morgen im Dezember. Um 9.30 Uhr soll in Saal 101 des Berliner Kriminalgerichts ein Polizist erscheinen, der eine beachtliche Karriere beim Landeskriminalamt hinter sich hat. Als Leiter eines Kommissariats war er für verdeckte Ermittlungen zuständig. Und zwar dafür, dass die Ermittler eine bestimmte Identität annehmen können, wenn sie sich irgendwo einschleusen, um ein Verbrechen aufzuklären.

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Der Angeklagte organisierte etwa geheime Wohnungen, Handys oder Autos. Dabei soll er allerdings auch für sich in die Bargeldkasse gegriffen haben, die für solche Operationen zur Verfügung stand. Insgesamt 72 000 Euro sollen fehlen. Dazu soll er einen Motorroller unterschlagen und einen Porsche 911 aus dem Bestand der Polizei für sich selbst genutzt haben.

Das will man alles natürlich genauer wissen. Wie verdeckte Ermittler arbeiten und wofür genau sie einen Porsche benötigen. Der Angeklagte aber ist auch um 9.45 Uhr noch nicht erschienen, die Prozessbeteiligten müssen auf dem kalten Flur vor dem Gerichtssaal warten. Um kurz nach zehn Uhr lässt der Amtsrichter das Verfahren aufrufen. Um 10.05 Uhr, alle sitzen endlich auf ihren Plätzen, schaut der Richter auf die Uhr und fragt den Verteidiger, ob sein Mandant noch komme. Der schüttelt den Kopf. Der Angeklagte habe ein ärztliches Attest vorgelegt, er sei nicht verhandlungsfähig. So wie auch schon beim ersten Mal, als der Prozess stattfinden sollte. Da hatte der Angeklagte Corona, im November.

Der Richter überlegt, dann sagt er, dass er den Arzt anrufen werde, um herauszufinden, ob der Angeklagte wirklich entschuldigt ist. Sollte er das nicht sein, werde er vorgeführt und notfalls verhaftet, damit der Prozess stattfinden kann. Der Richter redet so leise, dass man kein Wort versteht. "Man hört Sie hier hinten nicht!", ruft eine Zuschauerin. Der Richter erklärt alles noch mal. Gegen 10.15 Uhr ist der Verhandlungstag zu Ende. Richter, Staatsanwalt und Verteidiger packen ihre Sachen zusammen, die Zuschauer schlüpfen in ihre Jacken. Es wird einen neuen Termin geben. Wann, ist nicht klar. Nur, dass man wieder mal wird warten müssen.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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