Es ist Zeit für einen neuen Duft, also gibt es Kaiserschmarrn. "Wir sind stolz auf den Geruch bei uns daheim, aber manchmal muss man ein bisschen nachjustieren", sagt Michael Köhlmeier. Es gehe um die Grundstimmung im Haus, vor allem, wenn man am Vortag Zwiebeln angebraten habe. Dann bleiben alle Türen geschlossen und die Fenster weit geöffnet. Gibt es hingegen Kaiserschmarrn, öffnet er alle Zimmertüren. "Wegen der Vanille!", sagt Köhlmeier. Und bittet in seine Küche.
Den kleinen Raum als "knallvoll" zu bezeichnen, ist nicht übertrieben: Links neben der Tür steht eine Kommode, die fast platzt vor in- und aufeinandergestapelten Tellern, Schüsseln, Tassen, Gläsern, Büchern, Dosen, CDs. Auch in weiteren Regalen ist jeder Zentimeter dreifach genutzt. Die Arbeitsplatte auf der Küchenzeile wiederum bleibt zwar frei, ist aber nur so groß wie ein Schneidebrett, weil drum herum Öle und Essige stehen, der Messerblock, Gewürzgläser. Selbst an der Wand gibt es kein freies Plätzchen mehr vor lauter Bildern, Fotos, Zeitungsausrissen - so wie auch im ganzen Zuhause des Schriftstellerpaars Michael Köhlmeier und Monika Helfer im österreichischen Hohenems, nahe Bregenz. Wie es also in dem Haus riecht? Keine Ahnung. Die Augen haben viel zu viel zu tun.
Auf den kleinen Tisch vor dem Fenster hat Michael Köhlmeier seine blaue Plastikschüssel gestellt, eilig holt er alle Zutaten für den Kaiserschmarrn aus der Speisekammer. "Monika mag eigentlich nichts Süßes", sagt er, nur für den Kaiserschmarrn mache sie eine Ausnahme. Dabei ist seine Zubereitung jedes Mal eine Herausforderung für den 73-Jährigen, besonders wenn Gäste da sind. Nebenan im Wohnzimmer sitzt ja noch der Lektor der beiden, später will Sohn Lorenz vorbeikommen, der in der Nähe arbeitet und lebt. "Ich koche sonst immer nur für zwei", sagt Köhlmeier und holt Eier und Milch aus dem Kühlschrank. Er ist jetzt etwas aufgeregt, heute muss der Kaiserschmarrn gelingen. "Ich kämpfe seit Jahren mit ihm, aber perfekt habe ich ihn noch nicht hinbekommen."
Am Vorabend hat Michael Köhlmeier in Bregenz aus seinem neuen Buch gelesen, "Frankie", die Geschichte um einen Teenager und dessen Großvater, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, ein bisschen Coming-of-Age, ein bisschen Familienroman, ein bisschen Thriller und eine Prise Road Novel. Köhlmeier ist ein unglaublicher Vielschreiber, (fast) kein Jahr ohne neuen Roman, Hörspiel, Theaterstück, Drehbuch, Novelle. 2021 erschien "Matou", in dem sich ein Kater Gedanken über die großen Fragen der Menschheit macht, bekannt wurde er in den Neunzigerjahren mit seinen freien Neuerzählungen von Sagen aus dem griechischen Altertum oder von den Nibelungen. Auch seine Frau, die Schriftstellerin Monika Helfer, ist mehr als fleißig. Die beiden sind seit vierzig Jahren ein Paar und pflegen eine "Schreib-Manufaktur", wie sie sagen. Jeder arbeitet für sich, doch zweimal am Tag reden sie über die Bücher, die sie gelesen haben, über Passagen, bei denen sie nicht weiterkommen, über Anregungen am Manuskript des anderen, die auch schon mal wehtun können. All das geschieht natürlich: beim Essen.
Kochtipps holt er sich auf Youtube
Mit dem Kochen hat Köhlmeier erst spät begonnen, zuvor hat Helfer immer gekocht für ihn und die vier Kinder. Doch irgendwann hatte sie keine Lust mehr; genug gekocht im Leben, beschloss sie. Also musste Köhlmeier übernehmen. Für Experimente ist er nicht zu haben, bei ihm gibt es nur Gerichte, die er kennt. Wie Spaghetti Aglio Olio, eine seiner Leibspeisen, "genial und einfach, aber wenn man es richtig machen will, auch komplex!" Kochtipps holt er sich bei Youtube. Gemüse etwa, hat er kürzlich gelernt, wird dann perfekt, wenn man es vor dem Anbraten in einem Gemisch aus einem Teil Zucker und vier Teilen Salz marinieren lässt. Dann reichen nur 30 Sekunden in der Pfanne, und Karotte, Zucchini, Brokkoli behalten ihren Geschmack.
Er schüttet nun Mehl in die Schüssel, "nach Augenmaß, das wiege ich nicht ab", gibt Zucker hinzu, etwas Milch und einen Schwups gesalzenen Karamellsirup, seine Geheimzutat. Dann trennt er die sechs Eier, gibt das Gelb zur Mischung sowie zwei Packungen Vanillinzucker, die das Haus zum Duften bringen sollen (Vanille nennt er "Gottesbeweis") und eine Packung Orangenschale (Zitronenzesten findet er besser, aber er mag jetzt keine abziehen). Anschließend verrührt er das Gemisch mit seinem Mixer und schlägt danach das Eiweiß mit einer Prise Salz auf. "Manche geben einen Schuss Mineralwasser dazu, aber ich habe da keine Verbesserung bemerkt", sagt Köhlmeier. "Nun darf das alles ein bisschen quellen. Das sag ich, der Dilettant." Er schüttelt lachend den Kopf.
Für den Kaiserschmarrn hat er sich nicht auf Youtube beraten lassen. Nachdem er in Lech am Arlberg in einem Restaurant den "besten Kaiserschmarrn aller Zeiten" gegessen hatte, ging er in die Küche und bat um Hilfe. Seitdem bäckt er die Teigmischung erst im Backofen, bevor der Schmarrn in der Pfanne fertig gebraten wird. "Hier ist das Timing entscheidend, so wie auch beim Schreiben", erklärt Köhlmeier ins Mixergejaule hinein. Man könne ja auch nicht einen perfekten Satz an den nächsten reihen, wer soll das dann noch lesen? Deshalb gilt: Das Rezept ist Nebensache, die Gesamtkomposition muss stimmen.
Mehr noch als Kochen liebt er seine Gitarren
Seine größte Leidenschaft ist allerdings nicht der Kaiserschmarrn, sondern die Musik. Folk, Blues, Country, da gehe ihm das Herz weit auf. 37 Gitarren besitzt Köhlmeier, viele akustische, darunter Ukulele und Mandoline, aber auch E-Gitarre-Spezialitäten wie eine Stratocaster und eine Fender Telecast aus den Sechzigerjahren. Gespielt wird täglich, auf der Treppe im Haus (im Winter) oder auf der Treppe hinter dem Haus (im Sommer). Aber als Schriftsteller darüber sprechen, dass er auch Gitarre spielt? Nein, viel zu eitel, findet er. Ein bisschen schade, aber auch sehr sympathisch. Dazu kommt aber noch ein wunder Punkt: Die Musik macht es ihm nicht so leicht. "Bei zwei Dingen im Leben habe ich gemerkt, dass ich nicht so zurückgeliebt werde, wie ich liebe: Mathematik und Musik."
Dem perfekten Kaiserschmarrn fehlt jetzt noch der Eischnee, Löffel für Löffel hebt Köhlmeier die feste Masse unter den Teig. Nur schlampig mischen, das sei der Trick, das Weiß müsse weiter zu sehen sein in dem hellbeigen Brei, sonst geht die Fluffigkeit verloren. "Hach", stöhnt er und zieht hastig sein kariertes Hemd aus, "der Teig ist zu flüssig, nicht gut." Er gibt die Mischung in eine gebutterte Auflaufform und bröselt eine Handvoll Korinthen darüber. Alufolie drauf, ab in den vorgeheizten Ofen bei 180 Grad.
Köhlmeier hat sich vor dem Ofenfenster platziert, er muss jetzt darüber wachen, dass der Teig weder zu flüssig noch zu kuchig wird. Eine Herausforderung, weil "beim Kaiserschmarrn kann man unglaublich viel falsch machen". Dann macht er sich ans Abspülen. "Ich gehöre zu den Köchen, die parallel immer aufräumen", sagt Köhlmeier.
Während der Teig im Ofen langsam dunkler wird, gibt er braunen Rohrzucker in die Pfanne und lässt ihn karamellisieren. Anschließend hebt er mit einem Pfannenwender die Masse aus dem Ofen in die Pfanne und brät den Teig dort weiter. Er zerhackt die großen Stücke mundgerecht, den Pfannenwender hält er dabei wie einen Meißel. Es ist heiß geworden in der kleinen Küche, und endlich riecht es nach Vanille, auch wenn Köhlmeier zwischendurch doch die Tür zum Flur geschlossen hat, damit die Katze nicht ständig im Weg ist.
Köhlmeier schnappt sich eine Gabel und probiert. "Das mache ich normalerweise nie. Man weiß schon, ob es passt", sagt er. Sein Sohn Lorenz koste während des Kochens so oft, dass er keinen Hunger mehr habe, wenn das Gericht fertig ist. Zwei Minuten später sticht die Gabel wieder nach einem Stück in der Pfanne, "jetzt ist es gut".
Monika Helfer hat im Nebenzimmer, einer Mischung aus Esszimmer, Wohnzimmer und Schlafnische für das Mittagschläfchen, den Tisch gedeckt. Neben jedem Teller steht ein Schälchen mit selbstgemachtem Himbeerkompott und Jogurt. "Weil es so schön kühl im Mund ist", sagt Helfer. Da kommt Köhlmeier mit der Pfanne um die Ecke, er verteilt den Kaiserschmarrn auf den Tellern und fächert Staubzucker, zu Deutsch Puderzucker, über die Teigstücke und plumpst auf seinen Stuhl.
Und, zufrieden mit dem Ergebnis? "Nicht wirklich", sagt Michael Köhlmeier. "Nicht fluffig genug und etwas zu dunkel." Seine Gäste sehen das anders, "ist doch wunderbar", ruft auch Monika Helfer. Ob der Kaiserschmarrn seine "Unvollendete" bleiben wird? Es gibt Hoffnung: Es hat zwar Jahre gedauert, aber inzwischen bekommt er Bratkartoffeln perfekt hin.
Keine Leidenschaft ohne Zubehör! Diese Gegenstände benötigt Michael Köhlmeier für seinen Kaiserschmarrn:
Die Pfanne
"Es heißt immer, für den Kaiserschmarrn brauche man unbedingt eine gusseiserne Pfanne. Ich habe aber keine. In der Teflonpfanne geht es genauso, da brennt es auch nicht so schnell an."
Die Korinthen
"Meine Frau Monika mag keine Rosinen, also verwende ich für den Kaiserschmarrn immer Korinthen. Das sind dunkle kleine Trauben, die süßer sind als Rosinen. Die quellen aber vor allem nicht so fett auf, wenn sie warm werden."
Das Handrührgerät
"Warum ich so gerne in meiner Küche koche? Weil ich weiß, wo ich alles finden kann. Gucken Sie, ein Griff, schon habe ich den Rührbesen für den Mixer in der Schublade gefunden. Früher hatten wir mal ein Gerät, das sah aus wie ein alter Cadillac in Rosarot und Weiß."
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