Kolumne: Vor Gericht:Im Namen der Christen

Lesezeit: 2 min

(Foto: SZ)

In vielen deutschen Gerichten hängen Jesus-Kreuze an der Wand. Eine Richterin oder Staatsanwältin aber darf kein Kopftuch tragen. Warum eigentlich?

Von Ronen Steinke

Gibt es eigentlich ein Wort dafür, dass in deutschen Gerichtssälen riesige Kreuze hängen können, aber eine Richterin oder Staatsanwältin kein Kopftuch tragen darf? Die Frage geht mir immer durch den Kopf, wenn ich sehe, wie Menschen in schwarzer Robe miteinander über Gesetze und Strafen verhandeln, unter einem meterhohen, aus Holz geschnitzten Jesus am Landgericht Saarbrücken zum Beispiel. Der guckt dann herunter, leidet, und wer sich daran stört, hat Pech.

Solche Kreuze hängen tausendfach in Deutschland. In großen Gerichten wie in kleinen. In den kleinen, immerhin, ist es wohl entspannter. Ein freundlicher, lebenserfahrener Richter an einem baden-württembergischen Amtsgericht hat mir einmal erzählt, was er von der christlichen Symbolik am Ort der Rechtsprechung halte: nichts. Wenn er morgens in einen Saal komme, hänge er deshalb als Erstes immer das Kreuz ab und lege es in die Schublade. Darüber habe sich noch nie jemand beschwert.

Symbole an den Wänden repräsentieren die Justiz insgesamt

Die deutsche Rechtslage ist, wenn es um religiöse Symbole geht, merkwürdig gespalten. Einerseits gibt sich der Gesetzgeber wahnsinnig besorgt und alarmiert, wenn es um das islamische Kopftuch geht. Allerhöchste Verfassungsgüter werden dann in die Waagschale geworfen, das bayerische Richter- und Staatsanwaltsgesetz verbietet dieses Kleidungsstück ganz kategorisch, weil Bürgerinnen und Bürger bei Gericht sonst an der "Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz" zweifeln würden.

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Andererseits gibt sich der Gesetzgeber vollkommen unbekümmert, wenn es um die Gerichtsgebäude geht. Das basiert auf dem Argument: Die individuelle Richterin müsse neutral aussehen. Das Gebäude hingegen - da sei das nicht so dramatisch. Das sei ja "nur" der architektonische Rahmen. Dem christlichen Brauch, religiöse Symbole nicht auf dem Kopf zu tragen, sondern an die Wand zu hängen, kommt diese feine Unterscheidung entgegen. Was aber bestimmt nur Zufall ist.

Ich frage mich manchmal, wenn ein Angeklagter auf die Richterbank vor ihm blickt und hinter den Richtern das Symbol des Kreuzes sieht, ob es nicht eigentlich umgekehrt viel logischer wäre. Eine Richterin mit Kopftuch: Das wäre ein Anblick, bei dem ihm wahrscheinlich trotzdem noch klar bliebe, dass dies nur eine Richterin unter vielen ist, nicht "die" Justiz. Symbole an den Wänden hingegen repräsentieren eher die Justiz insgesamt.

Und ich freue mich dann über Geschichten wie diese, die mir neulich eine junge Rechtsreferendarin aus Nordrhein-Westfalen erzählte. Sie trägt Kopftuch, und in dem kleinen Provinzgericht, in das sie für ihre Ausbildung geschickt worden ist, sagte die Richterin, die sie ausbildet, zu ihr: "Kein Problem, Sie können trotzdem im Gerichtssaal verhandeln. Bei uns machen wir das so, wie wir das für richtig halten, und wenn sich jemand beschwert, dann schauen wir weiter." Es hat sich niemand beschwert.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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