Klimaschutz:Wir Umweltsünder

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Flugreisen, Fleischkonsum und Shopping: alles auf Kosten der künftigen Generationen und der Länder auf der Südhalbkugel (Foto: Imago Stock&People)

2. Mai ist Erdüberlastungstag: Deutschland hat seine Ressourcen für 2018 verbraucht. Wenn alle leben würden wie wir, bräuchte es drei Erden. Warum es so verdammt schwer ist, nachhaltig zu sein.

Von Thomas Hummel

Andreas Meißner kennt das Paradox mit dem Umweltschutz, er kann es rund um sein Büro in München-Giesing studieren. Die Rentnerin, erzählt er, die hier seit Jahrzehnten in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebe, mit immer denselben Möbeln, ohne Auto, in den Geschäften im Viertel einkaufe, nicht groß in Urlaub fahre - "die hat noch nie was von Nachhaltigkeit gehört, sie lebt aber sehr umweltbewusst". Auf der anderen Seite gibt es die sogenannten Bildungsbürger, die sehr wohl Bescheid wissen über Erderwärmung, Artensterben, Müllberge. Für die Umweltschutz ein wichtiges Gut ist. Eigentlich.

Denn Mülltrennen ist das eine, aber zwei Fernreisen im Jahr hat man sich schon verdient. Dazu als Firmenwagen ein SUV. Meißner sagt: "Steigendes Einkommen führt im Allgemeinen zu mehr CO₂-Verbrauch."

Meißner, 52, arbeitet als Psychiater und Psychotherapeut und beschäftigt sich mit den psychologischen Aspekten des Umweltschutzes. Er selbst versucht, sein Wissen in Handeln zu überführen. Meißner fliegt seit zehn Jahren nicht mehr, weil das zu viel klimaerwärmendes Kohlendioxid ausstößt. Er nimmt beim Einkaufen eine Blechdose mit, um Verpackungsmaterial zu sparen, will nur einmal pro Woche Fleisch essen, fährt viel Fahrrad, benutzt möglichst selten elektronische Geräte, besitzt kein Smartphone. Trotzdem liege er nach dem CO₂-Rechner des Umweltbundesamts (BMU) bei zehn Tonnen pro Jahr, laut Weltklimarat darf eine Person höchstens zwei Tonnen emittieren, damit die globale Temperatur nicht um mehr als zwei Grad ansteigt. "Es ist erschreckend", sagt Meißner.

In Deutschland gänzlich nachhaltig und umweltbewusst zu leben, ist verdammt schwer. Manche sagen auch: Das ist aufgrund der Anforderungen einer westlichen Leistungsgesellschaft unmöglich. Gänzlich nachhaltig zu leben, würde jedenfalls bedeuten, dass sich die Menschen erheblich einschränken müssten.

Die Umweltorganisation Global Footprint Network (GFN) bestätigt das. Sie hat eine Art Buchungssystem entwickelt, mit dem sie den ökologischen Fußabdruck eines Menschen, eines Landes, der Welt misst. Sie analysiert den Verbrauch von natürlichen Ressourcen, die Menge an Abfall sowie Emissionen und stellt sie den Mengen gegenüber, die die Erde in der gleichen Zeit verarbeiten und wieder herstellen kann. Das Ergebnis in Kürze: Wenn alle so leben würden wie die Menschen in Deutschland, bräuchte es drei Erden, damit die Rechnung aufgeht. Bereits am 2. Mai hat die Bundesrepublik demnach die ihr zustehenden Ressourcen für 2018 verbraucht, GFN nennt es den Erdüberlastungstag. Danach leben die Deutschen bis Silvester auf Pump, auf Kosten der Zukunft.

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Dabei ist das Datum zum ersten Mal nach hinten gerutscht, im vergangenen Jahr war der deutsche Erdüberlastungstag am 24. April. Befindet sich das Land also auf einem guten Weg? Das will die Organisation Germanwatch, die mit GFN zusammenarbeitet, daraus nicht ableiten. Die Rechnung basiert auf Zahlen von 2014, damals liefen wegen eines milden Winters die Heizungen seltener, der Energieverbrauch sank. Inzwischen ist nach Berechnungen des BMU der CO₂-Verbrauch wieder gestiegen, beim Verkehr zum Beispiel gingen die Emissionen nach oben. Eine wirkliche Wende ist nicht absehbar.

"Wir müssen die großen Linien sehen", sagt Julia Otten, Referentin bei Germanwatch. Der Überlastungstag für die gesamte Erde rutsche immer weiter nach vorne, er wird diesmal wohl Anfang August sein. Und die europäischen Industriestaaten stagnierten auf hohem Niveau. Deutschlands Hauptprobleme seien der hohe Verbrauch von Ackerland sowie die Landwirtschaft generell. Und der Ausstoß von Kohlendioxid. Daran habe die Industrie einen großen Anteil - und die Politik, die bei Reformen zu zögerlich sei: Ein Ausstieg aus der Kohle oder eine Agrarwende würden sehr helfen.

Auf der anderen Seite müssten die Menschen nachhaltiger leben. Gerade die, die das Problem kennen. "Es ist absolut widersprüchlich, wie wir leben", sagt Otten. "Wir haben das Wissen um die ökologische Krise, handeln aber nicht danach. Ich glaube, dass uns das individuell und gesellschaftlich überfordert." Der Mensch komme nicht damit klar, etwas, das ihm zur Verfügung steht, einfach mal nicht zu nutzen. Und selbst, wenn er das schafft, muss er es aushalten, wenn der Rest weitermacht wie bisher. Wieso soll man sich ein Kaffeebehältnis kaufen, morgens daran denken, es in die Tasche zu packen, es abends abspülen, während sich alle anderen den bequemen Wegwerfbecher geben lassen? Und überhaupt: Rettet das die Welt?

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Auto fahren ist schön, radeln ist besser!

Wenn sie denn gerettet werden muss. "Es scheint ja alles in Ordnung zu sein", sagt Meißner. Die Supermärkte seien voll, das Benzin komme aus der Zapfsäule - "da fragen viele: Was wollen die Umweltnörgler?" Würde der Klimawandel stinken, unternähme der Mensch schnell etwas dagegen.

Mit dem erhobenen Zeigefinger komme man nicht weit, erklärt der Psychotherapeut. Es sei ein Fehler, allzu oft Ratschläge zu geben, was man besser machen oder vermeiden solle. "Da fühlt sich der andere klein und bei Fehlern ertappt. Das erzeugt Widerstand." Stattdessen solle die Umweltbewegung ein "positives Narrativ" schaffen, nicht nur Verzicht anmahnen, sondern neues Verhalten anpreisen. Nach dem Motto: Auto fahren ist schön, radeln ist besser!

Meißner empfindet sein Leben jedenfalls nicht als Einschränkung. Zugreisen seien auch toll und Bio-Lebensmittel ohnehin gesünder. Und wenn er mit dem Rad am Münchner Stau vorbeifahre, überkomme ihn bisweilen Schadenfreude. Doch es schimmert bei ihm auch Resignation durch. Denn damit der Mensch die Erde so nutzt, dass sie sich ausreichend regenerieren kann, müsste sich noch viel ändern. In der Gesellschaft - und bei ihm selbst.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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