Italien:Wenn Päpste zu Filmstars werden

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Auch für Schriftsteller und Filmemacher immer wieder reizvoll: die gewaltige Kulisse des Petersplatzes am 30. Dezember 2000. (Foto: DPA)

Die Kirchen leeren sich, Priesterseminare verwaisen, die Kritik an überkommenen Vorstellungen reißt nicht ab - in Filmen und Büchern aber sind Päpste und Kirchenstaat en vogue wie nie.

Von Stefan Ulrich

Die Brunnen auf dem Petersplatz strahlen wie Leuchtbojen aus der Menschenmenge im nächtlichen Rom. Die Masse der Gläubigen, oder nur Neugierigen, sprengt die Kolonnaden des Bernini. Viva-Rufe und Klatschen übertönen das Rauschen des Wassers. Es sind so viele gekommen, um Pius XIII. zu sehen bei seinem ersten öffentlichen Auftritt, den Kardinal aus den USA, den das Konklave vor zwei Tagen zum Papst gewählt hat. Wird er, wie Pius XII. und Pius XI., ein konservativer Papst werden? Oder hat er mit seiner Namenswahl noch anderes im Sinn?

In festlicher Unruhe wartet die Menge, bis auf der Benediktionsloggia an der Fassade des Petersdoms eine Silhouette erscheint. Sie hebt sich, gleich einem Scherenschnitt, vom hellen Inneren ab. Allen ist klar: Das ist er. Wird der neue Hirte seine Herde gleich für sich einnehmen, wie es dem Vorgänger Franziskus mit seinem "Buonasera!" gelungen ist?

Katholische Kirche
:Italiens berühmtester Exorzist ist tot

Pater Gabriele Amorth nahm für die katholische Kirche 70.000 Teufelsaustreibungen vor. Er rede täglich mit dem Satan, sagte er einmal in einem Interview.

"Ihr habt Gott vergessen", donnert Pius wie ein mittelalterlicher Bußprediger los. "Ich bin Gott näher als euch. Euch werde ich nie nahe sein. Denn jeder ist allein vor Gott."

Totenstille herrscht unten. Erschrocken, betreten schauen die Menschen zu der Gestalt, die mit ausgefahrenem Zeigefinger auf sie deutet. "Ich muss nicht beweisen, dass Gott existiert. Ihr müsstet beweisen, dass er nicht existiert." Dann fordert Pius XIII. die Massen auf, sich 24 Stunden am Tag mit Gott zu beschäftigen. Nur für ihn dürfe Platz sein, nicht für Freiheit oder Selbstbestimmung. Die Menschen ahnen dabei nicht, wie zerrissen dieser Papst in Wirklichkeit ist, wie bange er diesem Auftritt entgegen blickte.

Benedikts Gespräche auf Platz eins der Bestsellerliste: Wieso, um Himmels willen?

Willkommen in der katholischen Kirche der Zukunft - wie sie Paolo Sorrentino entwirft. Der flamboyante Filmemacher und Oscar-Gewinner hat erstmals für den "piccolo schermo" gedreht, wie in Italien das Fernsehen genannt wird. Zehn Folgen hat die Serie "The Young Pope", eine 40 Millionen Euro teure italienisch-französisch-amerikanische Gemeinschaftsproduktion, die beim Filmfestival in Venedig die Kinofilme in den Schatten stellte. Seit Freitag wird sie in Deutschland ausgestrahlt. Mit "The Young Pope" will Italien nach "Gomorrha" und "1992" beweisen, dass es zur ersten Serienliga gehört - und Sorrentino, dass er nicht nur großes Kino kann.

Der Regisseur der "Grande Bellezza" hat einen Ruf zu verlieren. Für die Produktionsfirmen Sky, Canal+ und HBO geht es um viel Geld. Warum haben sie sich ausgerechnet den Papst als Sujet erwählt, in einer Zeit, da Kirchenaustritte boomen, Messen verwaisen und Priesterseminare über Nachwuchsmangel klagen? Warum steht im materialistischen Deutschland Anfang Oktober das Buch "Benedikt XVI. - Letzte Gespräche" auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste? Und wieso, um Himmels willen, widmet der Weltautor Robert Harris seinen jüngsten Roman der Papstwahl im Vatikan? "Konklave" heißt sein Thriller, der denselben Titel trägt wie ein Roman, den Roberto Pazzi 2002 veröffentlicht hat.

Der Vatikan: Eine Fundgrube für Dichter und Drehbuchautoren

In Literatur und Film sind Papst und Kirchenstaat en vogue. Geschichte und Zukunft der Nachfolger Petri wirken auf Unterhaltungskünstler wie das Schweißtuch der Veronica auf Pilger. Geheimnis und Verheißung, Martyrium und Glückseligkeit, Schweiß, Blut, Triumph, Liebe, Tod, Hölle, Himmel und ewiger Zweifel in Fragen der letzten Dinge bieten Stoff in Überfülle. Die Fantasie kann ins Blaue schießen, ohne die Bodenhaftung zu verlieren.

Intrigen, Frömmigkeit, Mord, Aufopferung, Hingabe, Inzest, Verschwendung, Kasteiung, Niederträchtigkeit, Erhabenheit, Laster, Reinheit, Sünde, Vergebung - alles offeriert der Vatikan, eine Fundgrube für Dichter und Drehbuchautoren, reich wie der Mythenkosmos der alten Griechen. "Die Borgias" etwa sind einerseits eine Fernsehserie mit 29 Episoden und mit Jeremy Irons in der Rolle des Papstes Alexander VI. Andererseits todsündigte dieser Pontifex auch im wirklichen Rom der Renaissance.

Er sah sich in der Tradition des Kriegsherrn Alexander des Großen, ernannte seinen Sohn Cesare zum Kardinal und zeigte sich gern mit seiner Mätresse Giulia Farnese, die die Römer "Braut Christi" tauften. Der Volksmund wähnte den Papst im Bund mit dem Teufel. Außerdem vergiftete Alexander seine Rivalen und begattete seine Tochter Lucrezia, was allerdings nicht gerichtsfest zu beweisen ist. Falls Alexander etwas bereichert hat außer seine eigene Familie, so ist es die Literatur (siehe Mario Puzo, "Die Familie").

Im Gegenzug kann die Kirche etwa Cölestin V. aufbieten, einen wahnsinnig frommen Eremitengreis aus den Abruzzen, der 1294 von einem besonders zerstrittenen Konklave als Notlösung zum Papst gewählt wurde, angesichts der Zustände in der Kirchenführung aber rasch wieder abdankte, was viele Jahrhunderte später ein Papst aus Marktl am Inn zum Vorbild nahm, um seinerseits zurückzutreten. Zum Dank ließ ihn sein Nachfolger Bonifaz VIII. einkerkern und, wie behauptet wird, ermorden. Nein, nicht Benedikt, sondern Cölestin. Natürlich ließen die Schriftsteller sich das nicht entgehen (Reinhold Schneider, "Der große Verzicht"; Ignazio Silone, "Das Abenteuer eines armen Christen").

"Es ist diese Kombination des Göttlichen und des Weltlichen, die derart fasziniert", erklärt sich der Schriftsteller Harris die Papamanie. Und wenn es die Wahrheit einmal nicht bunt genug treibt, hilft die Dichtung nach, mit Werken wie Dan Browns anfangs packenden, zunehmend grotesken und am Schluss absurden "Illuminati".

Oder mit Morris L. Wests prophetischem Roman von 1963 "In den Schuhen des Fischers", in dem ein Slawe aus dem kommunistischen Ostblock zum Papst gewählt wird. West war seiner Zeit auch in anderen Büchern voraus. In "Die Gaukler Gottes" (1981) lässt er einen Pontifex abdanken, weil der die Last der Amtes nicht mehr länger erträgt. 1998 veröffentlicht er dann den Roman "Eminenz" - in dem ein Kammerdiener geheime Dokumente des Papstes der Presse zuspielt und ein Argentinier neuer Pontifex werden soll. So weit, so realistisch. Jegliche Ähnlichkeiten mit heute lebenden Päpsten waren damals aber, so muss man vermuten, reine Erfindung.

Die Macht der Päpste fasziniert Regisseure und Autoren

Ein Wunder ist es, dass das real existierende Papsttum das alles ausgehalten und überlebt hat: literarische Ergüsse à la "Die Kinder des Papstes", "Der Selbstmord des Papstes" oder "Der Blutfischer - Wie der Teufel Papst wurde"; dramatische Offenbarungen wie Rolf Hochhuths "Der Stellvertreter"; ernsthafte Komödien wie Nanni Morettis "Habemus Papam" mit Michel Piccoli in der Rolle des abgängigen Oberhirten; und real existierende Päpste wie Stephan VI., der die verweste Leiche seines Vorgängers exhumieren und verurteilen ließ, oder Bonifaz VIII., dem der Ausspruch zugeschrieben wird: "Welchen Reichtum beschert uns doch dieses Märchen von Christus".

Und dann ist da noch ein weiteres Faszinosum, das die Päpste auch heute für Regisseure und Autoren attraktiv macht: die Macht. Julius II. war ein Kriegsfürst, der zugleich die Schweizergarde gründete und den Neubau des Petersdoms einleitete. Johannes Paul II. trug entscheidend dazu bei, das sowjetische Großreich zum Einsturz zu bringen. Franziskus, der gegenwärtige Papst, fordert die Weltmacht des Finanzkapitalismus heraus, indem er sagt: "Diese Wirtschaft tötet." Wenn das kein Stoff für Thriller, Krimis, Epen und Doku-Fictions ist.

Die vom modernen Rom abgeschottete Vatikanstadt mit ihren scharf bewachten Zugängen in den Leoninischen Mauern trägt das Ihre dazu bei, den Kirchenstaat spannend zu machen. Mysterium. Nichts ist attraktiver in dieser durchrationalisierten Zeit. EDV und Latein, Petrus und Profit, Gärten und Grüfte bilden einen verschwiegenen, von Heiligen und Machiavellisten bewohnten Mini-Kosmos, den Regisseure wie Zuschauer besonders gern durchs Schlüsselloch beobachten.

Sorrentino zeigt den Papst als grande bellezza - doch die Kirche verwirft sein Werk

Sorrentino, der mit seinen opulent-bizarren Bildern, die keinen Flirt mit dem Kitsch scheuen, vielleicht doch etwas vorschnell als neuer Federico Fellini gerühmt wird, kann sich diese Zauberwelt nicht entgehen lassen. Sein Pius XIII. (den er, als grande bellezza, mit Jude Law besetzt) staucht Kardinäle und Prälaten zusammen, verleitet den Beichtvater zum Bruch des Beichtgeheimnisses und macht eine Nonne (Diane Keaton) zur zweitmächtigsten Figur im Vatikan, nur um sie sogleich wieder zu erniedrigen. Dieser Papst trägt Flip-Flops, raucht, setzt ein Känguru in den Vatikanischen Gärten aus und beichtet, er glaube nicht an Gott, was er dann nur bedingt glaubwürdig als Scherz bezeichnet.

Sorrentino selbst sagt, Thema seiner Serie sei "der innere Kampf zwischen der Verantwortung als Oberhaupt der katholischen Kirche und dem Elend eines einfachen Mannes, den das Schicksal (oder der Heilige Geist) ausersehen hat, Papst zu werden".

Der echte Vatikan ist jedoch nicht erfreut über Sorrentinos Werk. Der Meister durfte nicht im Vatikan drehen, alles musste aufwendig nachgestellt werden, Könner wie Giorgio Armani wirkten bei der Ausstattung mit. Die kritische und qualitätsvolle christliche Wochenzeitung Famiglia Cristiana lobt viele Details an Sorrentinos Film, moniert aber, Kardinäle erschienen darin wie ihre Karikaturen und dem Ganzen fehle doch die "spirituelle Dimension".

Glücklicher ist der Vatikan offensichtlich mit dem Schriftsteller Robert Harris, der für sein "Konklave" die Originalschauplätze studieren und mit etlichen Leuten im Vatikan sprechen konnte. Sein relativ kurzer Thriller ist daher detailreich und in vielem nahe an der Wirklichkeit. Ähnlichkeiten mit lebenden Päpsten und Kardinälen erscheinen durchaus als gewollt.

Der Papst (à la Franziskus) lebt bescheiden im vatikanischen Gästehaus Santa Marta. Eines Tages wird er überraschend tot aufgefunden (à la Johannes Paul I.). Der Dekan des Kardinalskollegiums versucht, das in allerlei rivalisierende Gruppen zerteilte, von ehrgeizigen Glaubensmännern dominierte Konklave im Sinne von Kirche und Heiligem Geist zu einem guten Ende, sprich Papst, zu bringen. In der klaustrophobischen Atmosphäre der abgeschiedenen Versammlung scheitert ein Aspirant nach dem anderen. Bis dann . . .

Die Kirche selbst liefert mit ihren Verbrechen die Vorlage für die Filmemacher

Darf die Kirche sich beschweren, wenn sie als Blaupause und Bühnenbild der Massenunterhaltung herhalten muss? Und das gerade jetzt, wo in Franziskus ein Papst regiert, der Christus mehr beim Wort nimmt als viele seiner Vorgänger? Sicher nicht. Der massenhafte Missbrauch von Kindern und seine Vertuschung, Finanzgeschäfte mit dem organisierten Verbrechen, Hochmut, Intrigantentum, Weltfremdheit und Scheinheiligkeit in einem Reich, dessen Herrscher als Stellvertreter Christi auf Erden auftreten, liefern den Schriftstellern und Filmemachern die Vorlagen.

Dennoch bietet der Vatikan ein anderes Setting als etwa das politische Washington für "House of Cards" oder die Mafia für "Der Pate" und "Gomorrha". Trotz all ihrer Fehler und Verfehlungen stehen die Päpste für den ungeheuerlichen Anspruch, der Fels zu sein, auf dem Christus seine Kirche baut. Ihre Fallhöhe ist eine andere als die eines US-Präsidenten, Wallstreet-Bankers oder Cosa-Nostra-Paten. Und ihr Leben zwischen Anspruch und Absturz schafft jene Spannung, aus der Bücher, Filme und Serien entstehen, die Menschen fesseln.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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