Intersexualität:Ein eigenes Pronomen, Toiletten-Gesetze und "Herm Alex"

Intersexualität: "Welches auch immer": Eine geschlechtsneutrale Toilette in einem Restaurant in North Carolina, USA

"Welches auch immer": Eine geschlechtsneutrale Toilette in einem Restaurant in North Carolina, USA

(Foto: AFP)

Das Bundesverfassungsgericht hat gerade ein drittes Geschlecht anerkannt, jetzt ist die Gesellschaft am Zug. Wie gehen andere Länder mit Menschen um, die nicht nur weiblich oder männlich sind?

Von SZ-Korrespondenten

Gerade hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die deutsche Rechtsordnung ein drittes, unbestimmtes Geschlecht anerkennen muss. Schon seit 2013 bietet das Geburtenregister neben "männlich" und "weiblich" die Option, den Eintrag des Geschlechts offen zu lassen. Das geht vielen Intersexuellen - und wie sich nun zeigte auch den Richtern in Karlsruhe - nicht weit genug. Der Gesetzgeber muss bis Ende 2018 eine Neuregelung schaffen, in die als drittes Geschlecht etwa "inter", "divers" oder eine andere "positive Bezeichnung des Geschlechts" aufgenommen wird. Zur Begründung verwies das Gericht auf das im Grundgesetz geschützte Persönlichkeitsrecht.

Intersexuellen-Verbände fordern nun, dass die Gesellschaft nachzieht. Dass etwa ein eigenes Personalpronomen eingeführt wird, wie in Schweden. Oder dass es bei der Angabe persönlicher Daten etwa bei Bankgeschäften nicht allein die Wahlmöglichkeiten "Mann" und "Frau" gibt. Wie wird das in anderen Ländern geregelt? Wie steht es anderswo um die Geschlechterdebatte? SZ-Korrespondenten berichten:

Schweden: "Scheiß aufs Geschlecht" und das Pronomen "hen"

In Schweden kann man das Geschlecht eines Menschen an dessen Personennummer ablesen, die das Steueramt ausgibt und die man eigentlich für alles braucht, vom Arztbesuch bis zum Handyvertrag. Ist die letzte Ziffer gerade, gehört die Nummer einer Frau, ist sie ungerade, einem Mann. So sehr sich die Schweden auch bemühen, Unterschiede zwischen den Geschlechtern abzubauen, spätestens auf dem Papier bleibt die Gesellschaft zweigeteilt. Deswegen war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ein drittes Geschlecht einzuführen, auch Thema in den schwedischen Medien.

Schweden war 1972 eines der ersten Länder, das es Transsexuellen erlaubt hat, ihr eingetragenes Geschlecht zu ändern. Die Bedingung: Sie mussten sich sterilisieren lassen, diese Regel galt bis 2013. Im Frühjahr hat die Regierung beschlossen, Betroffene für diesen Eingriff zu entschädigen. Sie plant eine weitere Gesetzesänderung: Demnach soll es Schweden bald möglich sein, ihr offizielles Geschlecht ganz unabhängig von medizinischen Eingriffen zu ändern. Eine Reform, die Experten begrüßen, die aber auf die Situation intersexueller Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, kaum eingeht.

Auch über ein geschlechtsneutrales Pronomen ist in Schweden lange gestritten worden. Seit 2015 steht "hen" im Wörterbuch, gebraucht wird es schon viel länger - etwa für Personen, deren Geschlecht man nicht kennt, oder in Situationen, in denen es einfach egal ist. In vielen schwedischen Kindergärten und Schulen vermeidet man ohnehin Normen, die vorgeben, was typisch männlich und typisch weiblich ist. Im geschlechtsneutralen Egalia-Kindergarten in Stockholm etwa sind "er" und "sie" unerwünscht.

Als das neue Pronomen offiziell wurde, bekam auch die Diskussion um geschlechtsneutrale Toiletten in Schweden neuen Schwung. Das Sigtuna-Museum bei Stockholm machte Schlagzeilen, als es ein neues Toiletten-Schild aufhängte: Es zeigte nicht nur die normalen Zeichen für Frau und Mann, eine Figur mit und eine ohne Kleid, sondern eine dritte Figur mit halbem Kleid. Die Kampagne "Skit i kön" ("Scheiß aufs Geschlecht") wirbt dafür, solche Zeichen ganz abzuschaffen und auf die Toilettentüren nur zu schreiben, ob man sich hier setzen muss oder stehen darf.

Silke Bigalke

Kenia: Intersexuelle Babys - früher ein Fluch, heute akzeptiert

In Kenia wurde es lange als Fluch gesehen, ein Baby mit intersexuellem Geschlecht zu bekommen. Viele Neugeborene wurden einfach getötet. In der Sprache der Luo, eine der größten Volksgruppen, nannte man das dann "gebrochen von der Süßkartoffel".

Seline Okiki ist Vorsitzende der Zehn Lieben Schwestern, einer Gruppe von traditionellen Geburtshelferinnen im Westen Kenias. Sie sagte jüngst der BBC, die Situation habe sich mittlerweile etwas verbessert. Viele Intersex-Babys würden heute von ihren leiblichen Müttern akzeptiert oder von Pflegefamilien aufgezogen.

Lange war die prekäre Lage intersexueller Menschen in Kenia ein Tabuthema. Insofern war schon viel erreicht, als im vergangenen Jahr der Parlamentsabgeordnete Isaac Mwaura öffentlich ein Gesetz forderte, das die Rechte von Intersexuellen stärken, ihnen ein eigenes Geschlecht in Pass und Geburtsurkunde geben soll. Viel passiert ist seitdem jedoch noch nicht.

Bernd Dörries

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