Medizin:Was ist Intersexualität?

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Dritte Option: Drei Möglichkeiten für einen Geschlechtseintrag - weiblich, männlich und 'X'. (Foto: dpa)
  • Zwischen 0,2 und 0,5 Prozent - andere Quellen behaupten bis zu einem Prozent - der Bevölkerung sind nicht eindeutig Mann oder Frau und können demnächst auf ein "drittes Geschlecht" verweisen.
  • Früher wurde bei intersexuallen Kindern die penisartig vergrößerte Klitoris schnell operiert und aus dem geschlechtlichen Zwischenwesen äußerlich eine Frau gemacht. Inzwischen sehen Ärzte das Phänomen differenzierter.
  • Ursache ist meist eine Abweichung im Hormon- oder Chromosomenstatus.

Von Werner Bartens

Erika Schinegger wurde 1966 Weltmeisterin in der Abfahrt und 1967 österreichische Meisterin im Riesenslalom. 1968 bei den Olympischen Spielen in Grenoble erbrachte die Geschlechtsuntersuchung kein eindeutiges Ergebnis und die Goldmedaille in der Abfahrt der Damen wurde angezweifelt. Erika Schinegger musste aus dem Sport ausscheiden, ließ sich operieren, nannte sich später Erik und wurde Vater einer Tochter.

Dieses praktische Schwarz-Weiß-Denken, das allzu gefällige Entweder-Oder und das eindeutige Ja-oder-Nein, entweder Frau oder Mann, machen das Leben zwar einfacher - aber hat wirklich jemand geglaubt, dass das Leben einfach ist? Die Medizin ist da weiter, sie kennt in fast jedem Bereich fließende Übergänge, ein stetiges Kontinuum. Die Grenzziehungen zwischen gesund oder krank sind häufig willkürliche Festlegungen und verschieben sich je nach Mode. Ein bisschen schwanger gibt es zwar immer noch nicht, aber ansonsten ist fast alles eine Frage der Definition: Verrückt oder noch normal, erhöhte Cholesterinwerte oder pumperlgsund, Wohlfühlgewicht oder doch zu dick - wer will sich hier ein endgültiges Urteil anmaßen?

Inzwischen sehen Ärzte das Phänomen differenzierter

Auch die Frage nach Männlein oder Weiblein lässt sich nicht immer eindeutig klären. Zwischen 0,2 und 0,5 Prozent - andere Quellen behaupten bis zu einem Prozent - der Bevölkerung sind irgendwo dazwischen angesiedelt und können demnächst auf ihr "drittes Geschlecht" verweisen, wie die Karlsruher Richter nun entschieden haben. So gibt es etwa das "Adrenogenitale Syndrom", ein Enzymdefekt. "Dabei handelt es sich um eine Hormonstörung, die bei Frauen dazu führt, dass mehr männliche Geschlechtshormone ausgeschüttet werden - das bringt im Erscheinungsbild eine Vermännlichung mit sich, auch wenn der Chromosomensatz XX, also weiblich ist", sagt Felix Beuschlein, Chef der Endokrinologie am Universitätsspital Zürich. "Die Störung beginnt bereits im Mutterleib, deshalb kann die Geschlechtszuordnung schon bei der Geburt schwierig sein."

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Früher wurde die penisartig vergrößerte Klitoris schnell operiert und aus dem geschlechtlichen Zwischenwesen äußerlich eine Frau gemacht. Inzwischen sehen Ärzte das Phänomen differenzierter. Oft wird erst in der Pubertät von den Kindern selbst entschieden, in welche Richtung sie tendieren und ob sie ihr erlebtes Geschlecht durch chirurgische Eingriffe verstärken und das andere abschwächen wollen. "Sogar bei ein und derselben Erkrankung kann die äußere Erscheinung alle Zwischenstufen einnehmen, dann ist die Zuordnung überhaupt nicht eindeutig", sagt Hormonexperte Beuschlein. "Das gilt oft auch, wenn die Chromosomen klar einen männlichen oder einen weiblichen Satz aufweisen."

Chromosomenveränderungen wiederum lassen Menschen mit Turner-Syndrom und dem Chromosomensatz XO zwar phänotypisch weiblich erscheinen, so wie das Klinefelter-Syndrom mit einem XXY-Satz äußerlich männlich wirkt - fehlende oder zusätzliche Geschlechtschromosomen allein machen aber nicht den Mann zum Mann und die Frau zur Frau. Es gibt viel Spielraum dazwischen, und wie beim Adrenogenitalen Syndrom kann ein Überschuss oder Mangel an Hormonen die eindeutige Geschlechtsbestimmung unmöglich machen.

"Die eigene Geschlechtswahrnehmung ist entscheidend, biologisch lässt sich nicht immer eine scharfe Grenze ziehen", sagt Endokrinologe Beuschlein. "Ich finde es gut, dass man die Zuordnung zu einem Geschlecht offenlassen oder sich für eine dritte Variante entscheiden kann, da eine klare männliche oder weibliche Identifizierung biologisch nicht immer einwandfrei möglich ist."

Neben der Eintragung als ,weiblich' oder ,männlich' kann auch ,anderes' gewählt werden

Der Deutsche Ethikrat hat bereits 2012 entsprechende Empfehlungen verabschiedet, wonach Intersexuelle "mit ihrer Besonderheit und als Teil gesellschaftlicher Vielfalt Respekt und Unterstützung der Gesellschaft erfahren müssen". Berichte von Betroffenen haben gezeigt, dass Intersexuellen schlimmes Leid widerfahren ist. Daher müssen "Intersexuelle vor medizinischen Fehlentwicklungen und Diskriminierung in der Gesellschaft geschützt werden." Schon 2012 sprachen sich die Ethiker dafür aus, dass im Personenstandsregister "neben der Eintragung als ,weiblich' oder ,männlich' auch ,anderes' gewählt werden kann".

Im Jahr 2000 schaffte das Olympische Komitee schließlich die umstrittenen Geschlechtstests bei Sportereignissen ab. Die Debatte aber war damit keineswegs zu Ende. Als 2009 der Fall der südafrikanischen Läuferin Caster Semenya diskutiert wurde, die äußerlich vermännlicht wirkte, warnte die Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann davor, "ein junges Sportlerleben zu ruinieren". Manchmal weisen die Faktoren eben nicht eindeutig in Richtung Mann oder Frau. Das Geschlecht eines Menschen wird durch viele Faktoren geprägt. Und medizinische Tests hätten dann womöglich nur eine Folge: Sie würden die bisherige Identität eines Menschen erschüttern.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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